Pedalitäten für Pedanten

Stefan Winterstein dekonstruiert Heimito von Doderer

Von Andreas SolbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Solbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Erscheinen von Alexandra Kleinlerchers Arbeit über „Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer“ im Jahre 2011, unter dem Titel Zwischen Wahrheit und Dichtung publiziert, konnte man den Eindruck haben, dass zu dieser seit Jahrzehnten mit nicht selten polemischer Schärfe geführten Debatte nichts mehr wirklich Neues gesagt werden könnte. Die Arbeit von Kleinlercher belegt mit einer großen Anzahl von eindeutigen Fakten Doderers latenten und manifesten Antisemitismus sowie seine Verstrickung in den Nationalsozialismus. Auch nach Kleinlerchers faktenreicher Arbeit bleibt Doderers nationalsozialistische Parteinahme jedoch noch immer offen für eine mehr oder minder individuelle Bewertung, nach ihrer Untersuchung ist das Faktum jedoch – und seine nicht selten unappetitlichen Begleiterscheinungen, um es vorsichtig auszudrücken – nicht länger zu leugnen. In diesem Zusammenhang spielt, wie immer, wenn einem Autor von Rang konkrete nationalsozialistisch motivierte Unrechtstaten nicht nachzuweisen sind, die Frage nach der Aufrichtigkeit seiner späteren Wandlung eine nicht unerhebliche Rolle. Es ist genau diese Überzeugung, die die Debatte immer wieder befeuert, nämlich dass Doderer im Innersten immer ein Nazi geblieben sei oder, in den Augen seiner Verteidiger, dass sein Werk gerade in der überzeugenden Darstellung der „Menschwerdung“ und der Erkenntnis eigener wahnhafter Verstrickung in eine „zweite Wirklichkeit“ seine überragende Bedeutung erworben habe. Eine Vermittlung in dieser Frage ist nach Sachlage wohl nicht zu erwarten, und auch der von Stefan Winterstein vorgelegte Band wird die streitenden Parteien in dieser Frage nicht versöhnen können.

Dass er das gar nicht anstrebt, zeigt schon der Titel seiner Arbeit, denn es handelt sich hier um einen Versuch „gegen“ Doderer, und dieser Ansatz ist mit großer Sorgfalt und Übersicht gut gewählt. Winterstein nimmt sich vor, an einigen zentralen Texten von Doderer nachzuweisen, dass sie, anders als vom Autor suggeriert, nicht nur keine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus darstellen, sondern auch keine tauglichen Vorstellungen zur Auseinandersetzung mit der faschistischen Ideologie anbieten. Dazu geht er in einer, wie er es selbst nennt, didaktischen Struktur auf die Strudlhofstiege (1951) im Vergleich zu den Divertimenti No IV und V (1926) ebenso ein wie auf Die erleuchteten Fenster (1951), die er zum Fokus seiner Untersuchung erhebt. Hat er zu Beginn schon den Stillstandscharakter der Strudlhofstiege analytisch nachgewiesen, interessiert ihn an dem Roman um den Amtsrat Julius Zihal das Problem der Pedanterie, dem er zunächst einmal begriffsgeschichtlich nachgeht. Es kann nicht verwundern, dass Zihals biographische Entwicklung im Roman angesichts der konservativ-pedantischen Diskursivitäten nicht grundsätzlich überzeugen kann, zu sehr bleibt der Protagonist zwischen einem unguten bürokratischen Pedantismus und latentem Faschismus im Unentschiedenen. Winterstein führt seine Argumentation in den folgenden Kapiteln zu den Dämonen und zu dem Aufsatz „Sexualität und Totaler Staat“ weiter und erweist im abschließenden siebten Kapitel zu den Wasserfällen von Slunj, dass Doderers Konservatismus nicht dazu geeignet ist, die mörderische Logik des Nationalsozialismus zu unterlaufen oder gar aufzuheben.

Wintersteins Arbeit schließt an eine Reihe von Überlegungen an, die seit Jahren immer wieder für Diskussionen sorgen, indem sie Doderers Theorie der Überwindung der „Apperzeptionsverweigerung“ infrage stellen und ihren im Grunde apologetischen und in ihrer Apologie unwirksamen Charakter unterstreichen. Er argumentiert dabei auf einer außerordentlich textgesättigten und forschungsintensiven Ebene, auf der er zahlreiche scharfsinnige und weiterführende Beobachtungen macht. Ich möchte jedoch an dieser Stelle zwei Punkte anführen, die seiner Arbeit gewisse Grenzen setzen: Zum einen gelingt es Winterstein nicht restlos, vielleicht weil er es gar nicht wollte, den begriffsgeschichtlichen und -theoretischen Strang einer Arbeit zum Thema Pedanterie mit grundlegenden biographischen und poetologischen Fragen zu verbinden. Mancher Leser mag aber genau diese verdeckte Integration als reizvollen Leseimpuls empfinden. Zum anderen ist auch Winterstein mit einer Aporie konfrontiert, an der bislang noch jeder Diskussionsbeitrag gescheitert ist: Es ist zwar einerseits unabdingbar, Doderers Vorstellungen von der zweiten Wirklichkeit und dem Durchbruch zur wahren Apperzeption mit den politischen Untiefen seines Lebens zu kombinieren, andererseits aber werden diese Überlegungen von einem Begehren getrieben, sich des Politischen zu entäußern und sich in die Sphäre einer Ästhetik des Privaten zurückzuziehen. Doderer selbst schriebeibt in apologetischer Absicht dagegen an, aber es scheint, als ob das voraussehbare Scheitern dieser Denkfigur immer und immer wieder in genau jene unpolitische Privatheit zurückschnellt, die es politisch gerade so angreifbar macht.

Wintersteins Arbeit darf mit Fug und Recht als ein wichtiger Beitrag zur Dodererforschung betrachtet werden, reicht aber durchaus auch darüber hinaus. Mit der Begriffstopik der Pedanterie öffnet und aktualisiert er ein diskursives Feld bekannter Auseinandersetzungen und liefert eine Konfiguration zukünftiger Untersuchungen, die an weiteren Texten diese Problematik aufnehmen und auch für andere Autoren engführen können. Denn das steht am Ende der Arbeit von Winterstein, ohne dass er explizit darauf hingewiesen hätte: Doderers Rhetorik führt mitten hinein in die Überlegungen der „konservativen Revolution“, deren Inhalte, Verfahren und Ziele er teilweise kannte und teilte. Doderer war nie einer derjenigen, die nach 1945 in ostentativer Weise mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit abgerechnet haben, sondern er war ein national-konservativer Autor mit latenten antisemitischen Tendenzen, der nicht ohne Grund im Nationalsozialismus vorübergehend einen Rückhalt zu finden geglaubt hat. Alles das verbindet ihn mit nicht wenigen Vertretern der konservativen Revolution und ihren widerspruchsvollen ideologischen Weltbildern und apologetischen Konstruktionen, zu denen Doderer eine weitere Variante liefert. Wintersteins Arbeit schlägt in diese Richtung eine Begriffsschneise, an deren Rändern die sich kreuzenden politischen und ästhetischen Diskurse aufleuchten.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Stefan Winterstein: Versuch gegen Heimito von Doderer. Über „Ordnungspein“ und Faschismus.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2014.
224 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826054655

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