Genie, Wahnsinn und die Rockmusik

Stephen Kings Revival handelt von der wahnsinnigen Idee eines verrückten Wissenschaftlers

Von Sarah MohratRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Mohrat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Irgendwas. Irgendwas. Irgendwas. Ist passiert. Passiert, passiert. Irgendwas ist passiert.“ – Diesen Gedanken hat Jamie Morton immer wieder, nachdem er dem Wahnsinnigen, der sein Schicksal beeinflusst, das zweite Mal begegnet ist. Und selbst wenn man lange nicht versteht, was überhaupt passiert ist, begreift man doch eines: Irgendetwas ist in Jamies Welt passiert, das nicht hätte passieren dürfen.

Als der sechs Jahre alte Jamie dem jungen Prediger Charles Jacobs begegnet, wirft dieser einen Schatten über ihn. Einen Schatten, der ihn sein ganzes Leben lang verfolgen wird.  Reverend Jacobs und der kleine Jamie freunden sich im Jahre 1963 an, eine unschuldige Freundschaft, die auf gegenseitiger Loyalität und Bewunderung basiert. Die ganze Familie  Morton geht regelmäßig zum Gottesdienst beim Reverend am Sonntag und die Kinder der Mortons besuchen mehrere Male die Woche einen Bibelkurs, der von Jacobs und seiner Frau geleitet wird. Neben seiner Tätigkeit als Prediger bastelt Charlie in seiner Garage an kleinen elektrischen Experimenten herum, die für die Kinder Sinnbilder für Bibelausschnitte darstellen sollen. Schnell hat der charismatische junge Mann das Herz der Gemeinde für sich erobert. Als Jacobs jedoch sein Kind und seine Frau bei einem schrecklichen Autounfall verliert, fällt er vom Glauben ab. In einer gotteslästerlichen letzten Predigt teilt er seine unchristliche Meinung den Kirchgängern mit und wird gefeuert. Daraufhin wendet auch Jamie sich vom Christentum ab  und als die beiden sich nach langer Zeit wieder treffen, ist er ein heroinabhängiger Rockmusiker. Der ehemalige Prediger leitet nun einen Porträtstand auf dem Jahrmarkt und macht Jamie ein verlockendes Angebot. Als Jamie klar wird, dass Charlie nicht der rettende Helfer ist, der er vorgibt zu sein, ist es bereits zu spät.  Reverend Jacobs ist einem krankhaften Fanatismus verfallen: In seiner Besessenheit ist er bereit, bis zum Äußersten zu gehen und setzt mehrere Menschenleben bereitwillig aufs Spiel, um sein Ziel zu erreichen: Eine Tür zu öffnen, die für immer hätte verschlossen bleiben sollen. 

Stephen King stellt einmal mehr in Frage, warum seine Werke immer noch als Trivialliteratur abgetan werden. Die anfangs unbeschwerte Handlung des Romans spannt sich insgesamt über einen Zeitraum von 42 Jahren: Während die Teenagerzeit von Jamie noch in einer relativ ruhigen Umgebung stattfindet, wird die Zeit danach von der harten Realität des Drogenalltags überschattet. Dunkle Vorahnungen, die sich zum Ende hin verdichten, geben einen kleinen Vorgeschmack auf den finalen Höhepunkt des Werks.

Der Horrormeister führt seinem Leser die biedere Kleinstadt-Religiosität Amerikas und deren verheerende Auswirkungen vor Augen. Seine Figuren sind bis ins kleinste Detail ausgefeilt und befinden sich in einer ständigen Entwicklung. Hier fällt besonders der vom Schicksal gezeichnete Reverend Jacobs auf, der in einer Spirale aus Macht, Wissbegier und fanatischen Ideen gefangen ist. Im Gegensatz zu seinem letzten Roman „Mr. Mercedes“ spielt King in „Revival“ nicht mit verschiedenen Klischees aus der Horrorliteratur, sondern fokussiert sich auf die philosophische Frage, nach der alle eine Antwort suchen: Was wird mit uns passieren, wenn wir dem Tod ins Auge blicken?

King gelingt es, die Urängste der Menschheit in Worte zu fassen, wobei er tief in die Abgründe der menschlichen Seele blickt. Er befreit diese verdrängten Ängste und gibt ihnen eine neue, unheimliche Form. Dabei orientiert er sich für „Revival“ stark an dem Cthulhu-Mythos von H. P. Lovecraft. Auch Elemente aus seiner Kurzgeschichte „Briefe aus Jerusalem“ finden sich in dem Roman wieder. Vor allem jedoch steht ein Zitat von Lovecraft im Zentrum, das auch in der Handlung immer wieder eine Rolle spielt: „Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt“ – Worte, die auch nach der Lektüre von „Revival“ weiterhin rätselhaft bleiben.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Stephen King: Revival.
Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Kleinschmidt.
Heyne Verlag, München 2015.
511 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783453269637

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