Sauberes Handwerk?

Warum Charlotte Otters „Karkloof Blue“ ein schlechtes Buch ist und ich die Lektüre bei Seite 50 abbreche. Eine Begründung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt gute und schlechte Bücher, und gerade das Erfolgsgenre Krimi wird von mangelhafter Ware geradezu überschwemmt. Eben derart, dass es eigentlich erstaunlich ist, dass es noch ungeheuer viele Krimis gibt, die lesenswert sind. Was an die Mahnung von Thomas Wörtche erinnert, der immer wieder betont hat, dass es für einen guten Krimi auch einen guten, soll heißen professionellen Autor braucht. Der Krimi erfordert ein bestimmtes Handwerk, das  eben nur von Profis beherrscht wird. Aber seien wir ehrlich, es gibt auch schlechte Schreiner und ungemein schlechte Bäcker und Köche. Und so wird man auch um schlechte Krimis nicht herumkönnen – oder eben doch. Man muss sie nicht lesen.

Nun ist Charlotte Otters „Karkloof Blue“ nicht irgendein Roman mit irgendeinem Thema in irgendeinem Verlag, der sich nun auch noch am Krimi versuchen muss. Die Reihe, Ariadne Kriminalroman, ist der – einigermaßen grob formuliert – feministische Krimiableger des Argument Verlags mit einem über die Jahre hinweg erworbenen guten Ruf. Ariadne ist immerhin der Verlag von Dominique Manotti und hat auch sonst seine Verdienste. Aber er hat eben auch seine Schwächen, die dem Lektorat anzulasten sind – und Otters Roman zeigt sie offen.

Dabei verspricht der Klappentext immerhin einiges, gerade für den politisch Interessierten, der davon ausgehen kann, dass ein auf Privatinteressen basierendes System zur Not versuchen wird, diese Interessen auch gegen Widerstand und gegebenenfalls sogar auf illegale Weise durchzusetzen (der VW-Skandal erinnert uns gerade daran, wenngleich in diesem Fall die Leichen eher metaphorischer Art sind).

Ein südafrikanischer Papier-Konzern namens Sentinel versucht seine Fokussierung auf Profit-Maximierung durch ein ökologisches Image zu überdecken, eben durch „Greenwashing“. Das ist vielleicht noch kein echtes Verbrechen, allerdings steht am Beginn von „Karkloof Blue“ ein Toter, der angeblich ein Selbstmörder sein soll, womit dann klar ist, dass denjenigen die Umwelt egal ist, denen auch das Leben anderer gleichgültig ist, sobald sie dem Profit im Wege stehen.

Die Nachrichtenredakteurin Maggie Cloete wird aber misstrauisch und beginnt nachzuforschen, was nicht nur deshalb konfliktträchtig werden wird (soweit reicht die Lektüre nicht), weil sie sich gegen ein mächtiges Industrieunternehmen wendet, sondern auch, weil sie eigentlich in ihrer Zeitungsredaktion ganz andere Aufgaben hat und ihr Bruder, der an einer psychischen Erkrankung litt, mittlerweile Mitglied einer Umweltgruppe ist, die sich militant gegen die Gebaren des Konzerns namens Sentinel zur Wehr setzt. Und er – wie naheliegend – geht natürlich vornweg (ein Krieger, wie peinlich).

Das könnte sicherlich interessant sein und vielleicht einen guten Plot ergeben, möglicherweise sogar ein unterhaltsames Lesevergnügen sein – ist es in diesem Fall aber nicht. Dazu kommt noch, dass auch die politische Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem jedes akzeptable Niveau unterbietet. Ein Konzern hat natürlich die Regierung in der Tasche und die Öffentlichkeit glaubt alles, was solche Leute von sich geben. Da muss man dann wohl grundsätzlich werden, was dann – postpostpostmodern – im Aufschrei „Occupy!“ mündet.

Man mag vielleicht mit gutem Grund der Ansicht sein, dass der Kapitalismus – früher war das der „militärisch-industrielle Komplex“, heute ist es der „internationale Finanzkapitalismus“ – nicht wirklich zu zähmen ist. Aber wenn sich die Kritik an einem System, soweit sie erzählerisch vorgetragen wird, damit begnügen muss, ihm Greenwashing, den einen oder anderen Mord oder gar Kindesmissbrauch (hier bis Seite 50 nicht praktiziert) anzuhängen, dann ist es mit der antikapitalistischen Kritik nicht weit her.

Aber zurück zu Otters angeblichem Krimi, der genretypisch den persönlichen und den gesellschaftlichen Konflikt miteinander zu verschränken versucht. In diesem Fall den Konflikt zwischen dem labilen Bruder der Protagonistin und der erfolgreichen Reporterin, die im Namen einer kritischen Öffentlichkeit die Enthüllung diverser Machenschaften vorantreiben wird. Sie wird sich entscheiden müssen – ist anzunehmen. Nur, warum sollte man das lesen wollen? Weil es sich gut liest?

Der intensive Konflikt jener Maggie Cloete mit ihrem Bruder, der sich – am Tiefpunkt seiner Erkrankung – von ihr zu Recht aufgegeben fühlt, führt auf Seite 48 zu einem Wortgefecht, in dem sich der Bruder, der sich in der oben erwähnten Umweltgruppe sehr heimisch und aufgehoben zu fühlen scheint, gegen die Einmischung seiner Schwester in sein Leben zur Wehr setzt.

Es ist aber kaum denkbar, dass jemals ein Rekonvaleszent – welchen Bildungsgrades auch immer – eine Formulierung wie „meine Genesung habe ich bis jetzt sehr gut ohne dich bewältigt“ in Anspruch nehmen würde. Dass dann die Erzählinstanz vermerkt, dass „die Ablehnung in seinem Blick“ „schwer zu ertragen“ sei, macht es nicht besser. Es wäre mithin nicht nur für den armen Bruder empfehlenswert, sich dem Rat der Ärzte zu beugen und sich mit „Stimulanzien“ zurückzuhalten, statt ein Bier nach dem anderen zu saufen, sondern auch dem Rat eines Lektorats, sich solche Peinlichkeiten zu sparen und nicht zu hoffen, dass sie im Gesamtzusammenhang untergehen werden, oder gar für psychologischen Tiefgang sorgen.

Die Umweltgruppe selbst wird als bemerkenswert seriös vorgeführt. Sentinel will anscheinend ein letztes Stück urtümlichen Waldareals abholzen, in dem eine seltene Schmetterlingsart beheimatet ist, und stattdessen eine Kiefernschonung, mithin eine Monokultur anlegen, die dann in einigen Jahrzehnten zur Papierproduktion verwendet werden kann. Die Schmetterlinge sollen umgesiedelt werden (ob das gelingt, steht nach 50 Seiten noch nicht fest, aber dass das Vorhaben wohl nur ein Lippenbekenntnis ist, lässt sich absehen).

Die Umweltgruppe geht nun gegen dieses Vorhaben vor, weil die Biodiversität damit vernichtet werde. Der Konzern gebe mit diesem Vorhaben seine ökologische Tarnung auf und erweise sich als bloß profitorientiert. Man habe es in Wahrheit mit „skrupellosen kapitalistischen Profitmachern“ zu tun. Hört, hört! Aber Hand aufs Herz: Damit wird man in einem wirtschaftsliberalistischen System rechnen müssen.

Den Beginn macht eine Demonstration vor dem Konzernsitz. Nachdem dies außer einer kleinen Pressemitteilung des Konzerns, die merkwürdigerweise nur Frau Cloete gezeigt wird, zu keiner weiteren Reaktion führt, radikalisiert sich die Gruppe (nach einem Tag) und will nun militante Aktionen durchführen, das heißt den Wald besetzen. Es ist, wie es in der von der Verfasserin entworfenen Diskussion heißt, ein „Krieg“ (man wird ihr das also anlasten dürfen). Was darauf hinweist, dass da noch mehr folgen wird. Aber das bleibt mir glücklicherweise erspart.

Dann noch die Protagonistin, Maggie Cloete, die sich – aus ärmlichen Verhältnissen kommend – hochgearbeitet und aus ihren Anfängen ein Gefühl für Reiche und andere Sozialparasiten behalten hat: Nun ist sie – unter ihrem wahren Wert – Nachrichtenredakteurin in der Zeitung ihrer Heimatstadt, wohin sie wegen ihres Bruders zurückgekehrt ist. Dabei ist und wird sie immer eines bleiben, nämlich „Enthüllungsjournalistin“, und selbstverständlich eine der Besten ihres Faches. Also zieht sie los, um herauszubekommen, was es mit dem vermeintlichen Selbstmord auf sich hat. Es wird ihr gelingen.

Aber schon beim Gespräch mit der Witwe des Toten verharrt sie in ehrfürchtiger Anschauung vor dem Schreibtischstuhl des Mannes, der wenige Seiten zuvor tot aufgefunden worden ist: „Hier hatte Bloom Abend für Abend gesessen, den Karkloof Blue studiert und sich Strategien überlegt, wie er die Forstindustrie bezwingen konnte, hatte um das Leben eines kleinen empfindlichen Insekts gekämpft.“ Dass seine Frau das mitgemacht hat, lässt aufhorchen. Und sie schreibt es wirklich: „Und jetzt war er tot.“ Keine Frage, was sie dann im Laufe des Romans „enthüllen“ wird.

Mit anderen Worten: Eigentlich ist der Roman spätestens mit diesen Passagen tot, wenn ein sauberer Plot und eine durchdachte Handlungsführung, ein angemessener Stil und plausible Dialoge auch nur halbwegs als Indiz für Qualität herhalten dürfen. Und hier ist noch nicht von einer erzählerisch angemessenen Kritik am Kapitalismus die Rede. Dass es Situationen gibt, in denen es egal ist, wie etwas gesagt oder geschrieben wird, Hauptsache die richtigen Formeln kommen dabei zur Sprache, sei hingenommen.

Aber für einen Text, der vorgibt, sich erzählerisch mit einem politischen und wirtschaftlichen System zu beschäftigen und dabei seinen latent bis manifesten kriminellen Gehalt herauszuarbeiten, sind solche Klischees fatal. Für einen Verlag, der sich als politisch versteht – ja, als linker Verlag –, sind solche Bücher mithin ein Offenbarungseid. Das hat die Linke nicht verdient, mag man zu ihr stehen wie man will. Ariadne übrigens auch nicht.

Titelbild

Charlotte Otter: Karkloof Blue.
Argument Verlag, Hamburg 2015.
288 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783867542098

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