Zwischen den Welten
Rafik Schamis Roman „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ führt den Leser auf eine Reise vom Orient in den Okzident – und wieder zurück
Von Stella Hoffmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMenschen auf der Flucht, im Exil, auf der Suche nach einer Fata Morgana, die sie für ihr verlorenes Paradies halten. Rafik Schamis Roman Sophia oder Der Anfang aller Geschichten könnte aktueller kaum sein. Er trägt die typische Handschrift des in Damaskus gebürtigen Schriftstellers, der sich in seinen Büchern stets für das wechselseitige Verständnis des Orients sowie des Okzidents einsetzt. So entstammen die einleitenden Zitate, die einigen Kapiteln vorangestellt sind, zum einen der Fülle arabischer Sprichworte und zum anderen dem Reichtum der abendländischen Kultur. Auch die Handlungsorte – Damaskus, Homs, Beirut, Heidelberg und Rom – sind ein weiteres Indiz hierfür. Auffällig ist auch der Handlungszeitraum: 1927 bis 2011. Durch die Wahl dieses Ausschnittes der Zeitgeschichte gelingt es, dem Leser einen Einblick in die politische Geschichte Syriens zu gewähren und ihn somit implizit für die aktuellen politischen Ereignisse zu sensibilisieren. Sicherlich ist Schami kein Wahrsager, der die Zukunft vorhersagen könnte, aber vielleicht doch ein Hellseher, der gewisse Entwicklungen antizipieren konnte.
Doch was hat es nun mit Sophia auf sich? Und wieso scheint sie gleichbedeutend mit dem Anfang aller Geschichten zu sein? Sophia ist eine selbstbewusste Frau mit einem starken Willen, die im syrischen Homs lebt. Irgendwann zwischen 1930 und 1950 verliebt sich Karim, ein sunnitischer Muslim, in die Christin. Doch Karim weiß, dass die religiösen Unterschiede eine Liebesbeziehung unmöglich machen. Seine Schwester Saliha ist mit einem Christen durchgebrannt, nun soll er durch einen Ehrenmord die Würde seiner Sippe wiederherstellen. Zunächst scheint sich Karim den Gesetzen seiner Sippe zu beugen und vermählt sich mit der modernen und selbstbewussten Muslimin Amira. Erst im Herbst seines Lebens vermag die Liebe des Witwers die Schranken der Religion zu sprengen und ihn mit der selbstsicheren Christin Aida zusammenzubringen.
Sophia hingegen bekommt später zusammen mit ihrem Ehemann Jusuf einen Sohn namens Salman. An diesem Punkt wird die Narration zwischen der ersten und der zweiten Generation aufgeteilt. Allerdings erzählt Schami seine Geschichte nicht chronologisch, sondern springt sowohl in der Zeit als auch zwischen den Orten und den handelnden Personen hin und her. Der eine Erzählstrang bezieht sich auf Karim, während sich der andere auf Salman fokussiert.
Mit Salman wird ein weiteres zentrales Thema des Romans etabliert: das politisch motivierte Exil und die damit verbundene Sehnsucht nach der eigentlichen Heimat und Identität. Als Heranwachsender schließt sich Salman der Roten Freiheit, einer bewaffneten Untergrundorganisation an, die gegen das Assad-Regime in Syrien kämpft. Doch leider muss er feststellen, dass die gewaltsame Revolution ebenfalls nur eine Illusion und nicht der richtige Weg zu grundlegenden Veränderungen ist. Als politisch Verfolgter flieht er nach Deutschland. Dort vertieft er seine aufgeklärten Bildungsideale im Rahmen eines Philosophiestudiums in Heidelberg, wo er die ehrgeizige Italienerin Stella kennenlernt. Gemeinsam gehen sie nach Rom und gründen dort eine Familie, die schon bald um den kleinen Paolo erweitert wird. Salman leitet einen Import-Export-Handel zwischen Italien und arabischen Ländern und scheint vollständig integriert zu sein. Doch obwohl Rom Ähnlichkeiten mit seiner alten Heimat hat, plagt ihn das Heimweh. Immerhin gibt es einige Aspekte der europäischen Kultur, an die Salman sich einfach nicht gewöhnen kann. So zum Beispiel die Tatsache, dass die selbstbewusste Stella die Familie als Hauptverdienerin ernähren möchte und ihn damit zum Hausmann reduziert. Oder dass Homosexualität offen gelebt werden kann und auch darf.
Flucht kann Sonnen- wie Schattenseiten haben. Sie bedeutet Hoffnung auf einen Neubeginn und kann für manche zum dauerhaften Exil werden. Doch die Traumata, die sie mit sich bringt, sind nur schwer zu überwinden. Manchmal verschließen sich hinter dem Flüchtenden die Türen, sodass es kein Zurück mehr gibt. Der Flüchtende verharrt in einem emotionalen Niemandsland zwischen der gefühlten Fremde in der neuen und der Desillusionierung nach einer Rückkehr in die alte Heimat. Er gehört nirgendwo mehr richtig dazu. Salman verkennt in seinen sehnsuchtsvollen Projektionen, dass in Damaskus noch immer das Gesetz der Sippe über dem des Staates steht und es kein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt.
Sophia oder Der Anfang aller Geschichten illustriert sowohl die Aufbruchsstimmung in Syrien, die Schami häufig an seinen weiblichen Protagonistinnen verdeutlicht, als auch die Starrheit des islamischen Wertesystems – wie zum Beispiel das patriarchal dominierte Bild der Frau. Leider gelingt es dem Autor nicht vollständig, dieses Bild zu zerstören. Durch die zum Teil sehr selbstbewussten Protagonistinnen fügt er diesem Bild lediglich Risse zu. Dennoch bleibt er einer männlich dominierten Perspektive verhaftet, indem er Karim und Salman zu den Hauptakteuren macht. Des Weiteren zeigt der Roman die Vorurteile der Christen gegenüber dem Islam sowie die Rivalitäten innerhalb der christlichen Religion(en) auf. Doch wie soll und kann so viel Heterogenität vereint werden? Schami legt seinem Protagonisten Karim eine mögliche Antwort in den Mund: Durch die Religion der Liebe. Wem dieser Satz zu kitschig erscheint, sollte sich nicht abschrecken lassen, sondern einlassen auf Schamis poetische und äußerst bildreiche Sprache, die nur selten eine leichte Tendenz zum Kitsch aufweist. Sie erinnert an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht und macht Schami damit zu einem wahren Dichter zwischen den Welten.
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