Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg

Der Pazifismus eines Europäers mit Widersprüchen

Von Bettina Hey'lRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Hey'l

I. Dichtung und Wahrheit in „Die Welt von gestern“

Stefan Zweig gehört zu den wenigen von den Nationalsozialisten verbotenen und ins Exil getriebenen Autoren, deren Bücher nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland sehr bald wieder gelesen wurden. Seine Biographien und Essays, seine Erzählungen und vor allem auch seine Autobiographie Die Welt von Gestern, die Zweig 1941 noch wenige Wochen vor seinem Selbstmord in Petropolis abgeschlossen hatte, fanden großen Anklang beim Publikum. An den Werken des Autors, die man wiederholt, aber stets vergeblich der Trivialliteratur zuzurechnen suchte, schätzten viele eine gekonnte Verbindung von Lesbarkeit und Anspruch, die Vermittlung traditionaler Bildung mit moderner Psychologie. Was Zweigs Bücher für das Deutschland der zweiten Nachkriegszeit so attraktiv machte, war darüber hinaus ein durchgängiger Bezug auf Werte, die immer wieder mit den Begriffen Humanismus, Europäertum, Individualismus, Geistigkeit und Pazifismus umschrieben wurden. Mehr noch als in den Werken sah man diese Werte in der Person Stefan Zweigs verkörpert, eines Autors, der sich nach der Erfahrung von totaler Herrschaft und Antisemitismus, Nationalismus und Krieg einer breiten Leserschaft als positive Integrationsfigur empfahl. Die zahlreichen Nachrufe und Zeugnisse von Zeitgenossen, von denen Hanns Arens 1949 und 1956 einige in seinen Anthologien Stefan Zweig. Sein Leben – Sein Werk und Der große Europäer. Stefan Zweig versammelte, machen dies deutlich. Auch der von Richard Friedenthal 1960 zum Teil aus dem Nachlass herausgegebene Essayband Europäisches Erbe weist den jüdischen Schriftsteller, der aus dem Exil nicht zurückkehrte, als Leitfigur einer ideologisch-kulturellen Neuorientierung aus. Aber wie der Titel der Sammlung – Europäisches Erbe – schon zum Ausdruck bringt, war mit der Neuorientierung zugleich eine Besinnung auf Überlieferungen gemeint, ein Rückgriff über die zwölf Jahre des Dritten Reiches hinweg in jene außerordentlich vielseitige literarische Kultur der zwanziger Jahre, die Zweig berühmt gemacht hatten, und noch weiter zurück in die Epoche der ersten Vorkriegszeit.

Um einen Rückgriff in eine vermeintlich noch unbeschädigte Vergangenheit ging es Stefan Zweig auch in seiner Autobiographie. Souverän schlug er den Bogen von der „Welt der Sicherheit“ (so die Überschrift des einleitenden Kapitels) des Habsburgerreiches über den Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wobei der Schwerpunkt deutlich mehr auf dem Kulturellen als auf dem Politischen, mehr auf dem Zeitbild als auf persönlichen Begebenheiten lag. Für den Leser ergab sich der Eindruck einer Reintegration disparater Epochen in der Integrität des Autobiographen. Tatsächlich wurden die „Erinnerungen eines Europäers“ – dies der sprechende Untertitel von Zweigs Autobiographie – zu einem Lektüreereignis ersten Ranges nach 1945. Dieses bittersüße Gemisch aus nobler Gesinnung und Trauer um Verlorenes, aus kritischem Bewusstsein und Resignation gab dem Leser eine ansprechende und zugleich auch beruhigende Folie für die Rekapitulation des als tragisch und unausweichlich beschriebenen Weges Europas von der Jahrhundertwende bis nahe an die Gegenwart heran. Ein zur Identifikation besonders einladendes Kontinuum in Zweigs Autobiographie bildete dabei sein Pazifismus. „Sein Haß auf den Krieg, der ihn zum ‘letzten Pazifisten’ macht“, schrieb Hermann Kesten über die Welt von Gestern, „leiht dieser Geschichte der Bildung eines Dichters Einheit und Lebendigkeit.“

Fast überall in den Würdigungen der fünfziger und sechziger Jahre erweist sich die Rede vom Pazifisten Zweig als Paraphrase der Autobiographie, der die Erinnerungen Friderike Zweigs bestätigend an die Seite traten. Aber selbst wenn damals der Öffentlichkeit erst viel später publiziertes Material zur Verfügung gestanden hätte – Privatbriefe, Tagebücher, die Akten des k. u. k. Kriegsarchivs –; selbst wenn man sich auf Zweigs Feuilletons der Jahre 1914 bis 1915 besonnen hätte, von denen einige kaum noch als pazifistisch bezeichnet werden können – es war, wenige Jahre nach dem Selbstmord des Schriftstellers und nach dem Ende des Nationalsozialismus, nicht der gegebene Moment, in der für den Tag bestimmten Publizistik allzu gewissenhaft zwischen Einsicht und Verblendung des Titularfeldwebels Zweig im Ersten Weltkrieg abzuwägen. Mindestens ebenso sehr, wie Humanismus, Europäertum und Pazifismus unleugbare Elemente von Zweigs Schriften sind, bezeichneten sie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bedürfnis der Leserschaft, ihre Neigung zu Identifikationen und Projektionen bei einem Autor, dessen Werke in kaum einem Bücherschrank fehlten.

Einzig in Klaus Manns Wendepunkt von 1942, in deutscher Sprache erst 1952 erschienen, finden sich bei aller Sympathie auch kritische Töne. Zweigs Pazifismus erscheint als übertriebene Friedfertigkeit, die er bedenklicherweise auch gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus habe walten lassen. Klaus Mann erinnert sich an eine prägnante Szene: „Es gefiel mir an ihm, daß er so aufgeschlossen, so sensibel und tolerant, so ‘eminent pazifistisch’ war (um mich eines Ausdrucks zu bedienen, den er einmal im Gespräch mit wienerisch nasaler, sammetweicher Stimme auf sich selber anwandte).“ Die Passage ist ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass man bei Zweigs Pazifismus durchaus auf das Faktum der Selbstdarstellung und mehr noch auf Sprache und Habitus dieser Selbstdarstellung zu achten habe.

Zu einer eigentlichen Rekonstruktion von Stefan Zweigs Leben während des Ersten Weltkriegs und zu einer sorgfältigen Differenzierung zwischen unterschiedlichen Dokumenten aus dieser Zeit kam es erst zu Beginn der siebziger Jahre, vor allem durch Autoren englischer Sprache wie Donald A. Prater und L. B. Steiman, deren Erkenntnissen C. E. Williams’ bekanntes Buch The Broken Eagle größere Resonanz verschaffte. Das außerordentlich uneinheitliche Bild, das sich nun ergab, war nicht mehr mit den Kategorien des Biographischen allein zu erfassen. Die Untersuchungen, die sich auf immer mehr Briefeditionen und seit 1984 auf die Tagebücher stützen konnten, bedienten sich zunehmend sozialhistorischer und sozialpsychologischer, mentalitätsgeschichtlicher und ideologiekritischer Argumente, wenn es um Zweigs Position im Ersten Weltkrieg ging.

Einheitlichkeit in der Autobiographie auf der einen Seite, irritierende Uneindeutigkeit der Dokumente auf der anderen – erst die Rekonstruktion des historischen Materials aus den Archiven stieß die Leser darauf, dass man es bei Die Welt von Gestern weit mehr mit einem literarischen Text als mit einem faktentreuen Bericht zu tun habe. Es ist dabei nicht nur in Rechnung zu stellen, dass Zweig im amerikanischen Exil die Unterlagen nicht zur Verfügung standen, deren es zu einer genauen Darstellung bedurft hätte; die subjektive Perspektive auf weit Zurückliegendes und die seither verflossene Zeit, dazu nicht zuletzt alle literarischen Verfahren, die die Lebensgeschichte mit Konsistenz und Konsequenz ausstatten, sind notwendige und legitime Bestandteile autobiographischen Schreibens. Es verbietet sich also, Zweig sofort Unlauterkeit oder Geschichtsverfälschung vorzuwerfen, wo immer Diskrepanzen zwischen Selbstdarstellung und Dokumentation auftreten. Man kann vielmehr davon ausgehen, dass von unterlaufenen Irrtümern, unbewussten Beschönigungen über literarische Stilisierungen bis zu geringfügigen Korrekturen und bedenklichen Umdeutungen die Übergänge fließend sind. Fast immer hat man es gleichzeitig mit literarischen, psychologischen und politisch-ideologischen Problemen zu tun – ein Hinweis darauf, wie komplex der Zusammenhang ist, der hier zu erläutern ist.

In sechs Punkten rücken die bekannt gewordenen Dokumente aus der Zeit des Ersten Weltkriegs Zweigs Darstellung in seiner Autobiographie zurecht. Die Abweichungen sind für die Prozesse, in denen eine problematische Vergangenheit mit Sinn ausgestattet wird, höchst erhellend. Zum ersten Punkt: Im Sommer 1914 hielt sich Zweig in einem Seebad in der Nähe Ostendes auf. Als die Zeitungsberichte Ende Juli immer besorgniserregender wurden, verließ Zweig Belgien, wie sich dann herausstellte, mit einem der letzten Züge, die die Grenze frei passieren durften. Die Autobiographie stellt es nun so dar, als habe Zweig auf der Strecke nahe an der Grenze bereits deutsche Truppen wahrnehmen können: „Kein Zweifel, das Ungeheuerliche war im Gang, der deutsche Einbruch in Belgien wider alle Satzung des Völkerrechts. Schaudernd stieg ich wieder in den Zug und fuhr weiter, nach Österreich zurück. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: ich fuhr in den Krieg.“

Von dieser Voraussicht einer unmittelbar bevorstehenden Invasion Deutschlands in Belgien lässt der Artikel Heimfahrt nach Österreich nichts erkennen, den Zweig am 1. August 1914 in der Wiener Neuen Freien Presse veröffentlichte und der eben die Reise von Ostende nach Österreich schildert. Und erst am 3. August meldet Zweigs Tagebuch: „Abends in der Presse […] trifft michs wie der Blitz: die Deutschen brechen Belgiens Neutralität, schaffen sich England auf den Hals, opfern die Colonien […] Es ist Genialität oder Irrsinn – nie war die Welt so rasend.“

Eins ist dem Tagebucheintrag und der zitierten Passage aus der Autobiographie bei dem klaren Unterschied in der Sache gemeinsam: die Rhetorik des Außerordentlichen und der gesteigerten Empfindung. Was Die Welt von Gestern dem tatsächlichen Vorgang voraushat, ist die größere Prägnanz des historischen Moments, in die der Autobiograph unmittelbare Einsicht gehabt haben will. Zweigs Motive für die „Korrektur“ liegen auf der Hand.

Folgenreicher ist die zweite Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Ereignissen und der autobiographischen Darstellung. Zweig berichtet, dass für ihn wie für die meisten seiner Zeitgenossen „in diesem ersten Ausbruch der Massen etwas Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches lag, dem man sich kaum entziehen konnte. Und“, so fährt er fort, „trotz allem Haß und Abscheu gegen den Krieg möchte ich die Erinnerung an diese ersten Tage in meinem Leben nicht missen: Wie nie fühlten die Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten.“ Wenige Seiten später heißt es aber, Zweig sei aufgrund seiner kosmopolitischen Lebensweise gegen den „plötzlichen Rausch des Patriotismus“ immun gewesen. Aber was ist es, wenn nicht Patriotismus, und zwar ein höchst unguter, der in Zweigs Feuilleton „Ein Wort von Deutschland“ in der Neuen Freien Presse vom 6. August 1914 zelebriert wird? Die Sprachgebung erscheint so versiert wie abgeschmackt. Von „reger Feindesnähe“ schon zu Friedenszeiten ist da die Rede, die vierzig letzten Jahre werden als stete Vorbereitung auf den Ernstfall dargestellt:

Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht. Erstarkt in mehr als vierzig fruchtbaren Friedensjahren und doch keineswegs verweichlicht in ihnen, ehern gerüstet durch das stete Bewußtsein reger Feindesnähe und in all diesen Friedensjahren in jeder Minute zum Krieg bereitet durch jenen besonnenen Ernst der Voraussicht, der wertvollstes Merkmal deutschen Wesens bildet, tritt es an unsere Seite zur Schwertbruderschaft.

In jeder Hinsicht unerfreulich auch die semantische Engführung von Moral und hocheffizienter Technologie in Bezug auf die Menschenmassen, die nun die „Stoßgewalt im Kriege“ erzeugen sollen:

Und es ist Ruhm und Größe der deutschen Nation, daß sie wie keine andere ihre eigene Kraft zu meistern und zu nutzen weiß. Sie ist das Musterbeispiel einer Präzisionsberechnung im lebendigen Material, einer Vereinheitlichung des Lebenswillens in nationale Größe. So wie Deutschland aus seinem Ackerboden unter allen Ländern die höchste Qualität des fruchtbaren Ertrages durch geistig geregelte körperliche Leistung erzwingt, so gestaltet es auch aus seiner Millionenmasse das Höchste an moralischer Tatkräftigkeit und sittlicher Energie. Dieser ganze ungeheure Organismus verwandelt sich bei Angriff oder Abwehr in einen prachtvollen Mechanismus, in dem jeder einzelne Wille funktioniert wie die Feder im Uhrwerk, kein Atom der Volkskraft wird in dieser Stunde der Not brach liegen oder durch Nachlässigkeit verschwendet werden.

Und auch die Beschwörung von Rasse und Zucht bleibt dem heutigen Leser nicht erspart: „Aber diese musterhafte Organisation ist doppelt wirksam, weil sie von innen, aus dem Willen der Rasse, aus der Zucht jedes Charakters geschaffen ist, weil hier der Gesamtwille im steten rhythmischen Einklang ist mit dem inneren Einzelwillen.“

Man könnte dies als „Entgleisung“ abtun, die sich bekanntlich viele Intellektuelle und Künstler während der ersten Kriegstage haben zuschulden kommen lassen. Zweig setzt seine Serie von Artikeln mit Die schlaflose Welt (Neue Freie Presse, 18. August 1914) und An die Freunde in Fremdland (Berliner Tageblatt, 19. September 1914) fort, zwei Texten, die man zwar nicht eindeutig für die Kriegspropaganda, aber eben auch nicht ohne weiteres für den Pazifismus reklamieren kann. Im November folgt dann ein Feuilleton über den Suez-Kanal, deutlich in der Absicht verfasst, die Übernahme Zweigs in das Kriegsarchiv zu begünstigen. An seinen späteren Vorgesetzten im Kriegsarchiv Franz Karl Ginzkey berichtet Zweig ungefähr Mitte November: „Ich schreibe heute ein Feuilleton über den Suez-Canal in strategischer Hinsicht, das Dienstag erscheinen wird und an der gewissen Stelle hoffentlich nicht ungelesen bleibt.“ Und am 17. November an den Oberstleutnant Alois Veltzé: „auch hoffe ich, dass meine regelmässige Mitarbeit an den ersten deutschen Tageszeitungen […] in dieser Zeit ein patriotisches Wirken in der Öffentlichkeit unterstützen könnte[n].“ Dem Leser bleibt die Wahl, an Zweigs Patriotismus, dem er angeblich nicht erlegen sei, zu glauben, oder ein opportunistisches Verhalten bei einem vorauszusetzen, der alles tut, um die gewünschte Stellung im Kriegsdienst zu erreichen. In jedem Fall wird ein dritter Aspekt von Zweigs Ausführungen zum Ersten Weltkrieg in seiner Autobiographie durch die Dokumente widerlegt: die Behauptung, er habe sich um eine Tätigkeit im Kriegsarchiv bemüht, weil er dort etwas habe leisten können, „ohne hetzerisch tätig zu sein.“ Zweig muss sich zu jeder Zeit darüber im Klaren gewesen sein, dass er im Kriegsarchiv im Dienst der Propaganda arbeiten würde. Die spätere Darstellung: „Ich hatte Bibliotheksdienst zu tun, wofür ich durch meine Sprachkenntnisse nützlich war, oder stilistisch manche der für die Öffentlichkeit bestimmten Mitteilungen zu verbessern“, ist zumindest beschönigend. Was man sich unter der im Archiv als „Heldenfrisieren“ bezeichneten Arbeit vorzustellen hat, ist inzwischen hinreichend bekannt. Es ging um die sprachliche Ausschmückung der Leistungen belobigter Soldaten zu vorbildlichen Heldentaten. Zweig räumt ein, dass es sich um „keine ruhmreiche Tätigkeit“ gehandelt habe, dafür aber um eine, „die mir persönlich passender erschien, als einem russischen Bauern ein Bajonett in die Gedärme zu stoßen. Jedoch das Entscheidende für mich war, daß mir Zeit blieb nach diesem nicht sehr anstrengenden Dienst für jenen Dienst, der mir der wichtigste in diesem Kriege war: der Dienst an der künftigen Verständigung.“

Der Kriegspropaganda war Zweig im Archiv also nicht entgangen; und auch die zweite Legitimation dieser Tätigkeit in Die Welt von Gestern, sie sei allemal besser gewesen als der Dienst an der Waffe, bleibt zu relativieren. Gewiss schien Zweig die Archivarbeit erwünschter als ein Fronteinsatz – womöglich an der gefürchteten Ostfront. Ob Zweigs Vorliebe dabei auf Pazifismus oder auf persönliche Furcht zurückzuführen ist, bleibe dahingestellt. Der Autobiograph suggeriert seinem Leser jedoch, die Tätigkeit im Kriegsarchiv sei ihm als geringeres von zwei Übeln erschienen. Nirgends aber lassen die privaten Briefe und Tagebuchaufzeichnungen der ersten Kriegsmonate auch nur den geringsten innerlichen Vorbehalt gegen den angestrebten Dienst erkennen. Richtig ist dagegen, dass Zweig, der wegen einer Operation niemals Wehrdienst hatte leisten müssen und bei Kriegsbeginn als untauglich registriert war, sich im August unverzüglich zum freiwilligen und unentgeltlichen Dienst zur Verfügung stellte. Wieder muss unentschieden bleiben, ob Zweig dadurch einer eventuell drohenden Rekrutierung zum Fronteinsatz vorbeugen wollte oder ob er sich aus Überzeugung meldete. Gegenüber seinem Verleger Anton Kippenberg, dessen nationalistische Gesinnungen für ihn kein Geheimnis waren, gab er sich jedenfalls kämpferisch entschlossen:

Es wäre mein höchstes Glück als Officier gegen einen civilisierten Feind reiten zu dürfen – komme ich hier [gegen Rußland] daran, so gilt es als gemeiner Soldat gegen Schmutz, Kälte, Hunger und Gesindel zu kämpfen. […] Mein Neid ist aber bei Ihnen, Officier sein zu dürfen in dieser Armee, in Frankreich zu siegen – Gerade in Frankreich, das man züchtigt, weil man es liebt.

Zunächst scheint Zweig eine Verwendung im Sanitätswesen vorgeschwebt zu haben, doch wurde er vorläufig in Klosterneuburg im Verwaltungsdienst eingesetzt, von wo er sich sehr engagiert um eine Anforderung und Übernahme durch das Kriegsarchiv bemühte. Das Tagebuch verzeichnet unter dem 12. November: „Tauglich! […] mich langweilt die Sache eher, mit 33 Jahren dort zu sein, wo die andern mit 18 sind. Jedenfalls ist der Wunsch meiner Mama erfüllt.“ Auch sonst finden sich Hinweise genug, dass Zweig mit dem Militärdienst die Vorstellung von Mündigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Nützlichkeit verband. Auf die Arbeit im Kriegsarchiv, die ihn übrigens vorübergehend mit Persönlichkeiten wie Alfred Polgar, Franz Theodor Csokor, Paul Stefan und Rainer Maria Rilke zusammenbringen würde, freute er sich, er hielt sie für wichtig und interessant; ein Brief an Ginzkey, der die Übernahme in das Archiv erfolgreich vermittelt hatte, ist überschwänglich: „Lieber Freund, hurrah, Alles ist gelungen […] Ich freue mich riesig auf die Arbeit.“ Und auch in der privaten Korrespondenz stimmen in diesem Punkt, wenn sonst auch in kaum einem, die Briefe aus dieser Zeit an Anton Kippenberg, Arthur Schnitzler, Romain Rolland und andere überein.

Auch die vierte optische Korrektur durch den Autobiographen ist bezeichnend. Es geht um Romain Rollands Reaktion auf Zweigs Artikel „An die Freunde in Fremdland“, der am 19. September 1914 im Berliner Tageblatt erschien. Der Text ist in jeder Hinsicht zweideutig: Die Verabschiedung der Freunde im ‘feindlichen’ Ausland, die Aufkündigung der Verbindung zu Bekannten vor allem in Belgien und Frankreich für die Dauer des Krieges ist entweder ein rhetorisches Meisterstück, das im vermeintlich patriotischen Wortlaut zwischen den Zeilen ein Bekenntnis zur europäischen Kultur und zur Unzerstörbarkeit persönlicher Beziehungen mitliefert, oder aber es ist das Dokument ideologischer und moralischer Orientierungslosigkeit. Wahrscheinlich trifft beides zu. Zweigs „Verwirrung der Gefühle“ verzerrt von Abschnitt zu Abschnitt die listig-polemische Darstellung einer absurden Situation: „Lebt wohl, ihr Lieben“, beginnt der Artikel, „ihr Gefährten vieler brüderlicher Stunden in Frankreich, Belgien, England drüben, wir müssen Abschied nehmen für lange Tage. Kein Wort, kein Brief, kein Gruß, den ich euch jetzt hinübersendete in eure nun feindlichen Städte, käme in eure Hand, und selbst wenn es sie fände, keiner erreichte euer Herz.“

Der Text führt sich selbst ad absurdum, er fordert dazu heraus, gegen den Strich gelesen zu werden, was als sprachliche und ideelle Leistung verbucht werden darf; aber die Fortsetzung beweist, dass Zweig sich selbst und seinen brüderlichen Gefühlen nicht traut: Der impliziten herzlichen Beschwörung zahlreicher Gemeinsamkeiten vor allem im Kulturellen steht die angebliche Notwendigkeit eines gebotenen Rückzugs ins Nationale gegenüber. Zweig fühlt sich zu einer verfehlten und auch nie ganz überzeugend dargelegten moralischen Anstrengung verpflichtet, einem Bekenntnis zu Deutschland und Österreich-Ungarn als kriegführenden Parteien, wodurch auch die warmen Schilderungen ehemaliger Gemeinsamkeiten in Mitleidenschaft gezogen werden: „Nicht euch muß ich verleugnen und die Liebe zu euch, sondern mich selbst, jeden einzelnen Gedanken knicken, der nicht aufschießt in der großen deutschen Saat.“ Und an anderer Stelle: „Und diesen Haß gegen euch – obzwar ich ihn nicht empfinde – ich will ihn doch nicht mäßigen, weil er Siege zeugt und heldische Kraft.“ Hier ist die Rede beim besten Willen nicht mehr bewusst zweideutig, sondern verworren. Fest steht jedoch, dass der Artikel im Ausland sehr wohl wahrgenommen wurde. Am 28. September schrieb Romain Rolland an das Berliner Tageblatt: „Ich bin unserem Europa treuer als Sie, lieber Stefan Zweig, und verleugne keinen meiner Freunde.“ Zumindest scheint die Ambivalenz der Botschaft – sei sie beabsichtigt oder nicht – zum Widerspruch eingeladen zu haben. Charakteristisch für Die Welt von Gestern ist, wie Zweig hier seinem Artikel einen uneingeschränkt versöhnlichen Sinn zuspricht und dazu passend Rollands bündiges „Non, je ne quitterai jamais mes amis“ kurzerhand als Bestätigung, nicht als Zurückweisung seiner eigenen Position ausgibt.

Immerhin ergab sich aus diesem ersten, halb öffentlichen Austausch zwischen Zweig und Rolland ein außerordentlich intensiver Briefwechsel, der schon deswegen bemerkenswert ist, weil den Briefpartnern trotz der österreichischen Zensur und trotz vieler Kontroversen ein erstaunlich offener und beweglicher Austausch gelang. Für Zweig bedeutete die kaum je für mehr als zwei Wochen unterbrochene Verbindung zu Rolland einen unschätzbaren psychologischen und intellektuellen Rückhalt, und der Briefwechsel stellt eine der wichtigsten Quellen für sein Denken und Handeln während der Kriegsjahre dar.

Die einzige konkrete Maßnahme zur Völkerverständigung, die die Freunde in Österreich und in der Schweiz brieflich auf den Weg zu bringen suchten, eine Art „moralisches Parlament“ europäischer Geistesgrößen, war freilich schon im Herbst 1914 zum Scheitern verurteilt. Es stellte sich nur zu bald heraus, dass es in Deutschland die gesuchten Botschafter des europäischen Gedankens von internationalem Rang nicht gab. Thomas Mann hatte sich schon früh eindeutig für die deutsche Kriegführung ausgesprochen; Gerhart Hauptmann, bei dem Zweig – ungeschickt genug – ausgerechnet durch Walther Rathenau, den Leiter der Rohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium, hatte vorfühlen lassen, lehnte ab.

Der Plan beweist, bei aller Phantastik, dass Zweig sich schon sehr früh mit Pazifismus und Völkerverständigung identifizierte und konkret befasste. Die These von der anfänglichen Kriegsbegeisterung, die dann einem immer entschiedeneren Pazifismus gewichen sei, wird jedoch dadurch nicht etwa bestätigt, sondern eher in Frage gestellt. Während Zweig nämlich mit Rolland über das europäische Friedensparlament korrespondierte, pries er gegenüber dem Kriegsarchiv seine Verwendbarkeit im Sinne patriotischen Wirkens an. Man hat es also von den ersten Kriegstagen an mit einer beunruhigenden Nachbarschaft, ja zuweilen Gleichzeitigkeit von pazifistischen, kritischen und pessimistischen Äußerungen zum Krieg auf der einen Seite und begeisterten, legitimierenden und affirmativen auf der anderen zu tun – ein Phänomen, das noch genauer zu analysieren sein wird.

Auch die fünfte Umdeutung ehemaliger Begebenheiten durch den Verfasser der Welt von Gestern zeigt, dass nur bedingt von einer Wendung von anfänglicher Zustimmung zu entschiedener Ablehnung des Krieges die Rede sein kann. Im Juli 1915 unternahm Zweig dienstlich eine etwa zehntägige Reise nach Galizien, das nach russischer Besatzung von den Mittelmächten zurückerobert worden war. Die Autobiographie gibt nun die erste unmittelbare Begegnung mit dem Kriegsgeschehen als Schlüsselerlebnis aus. Den Höhepunkt des Kapitels bildet die Schilderung einer Fahrt im Lazarettzug, bei der Zweig sich vollends davon überzeugt habe, dass der Krieg eine humanitäre Katastrophe sei. Ein Priester, der die Verletzten betreut, wird mit den Worten zitiert: „Ich bin siebenundsechzig Jahre alt und habe viel gesehen. Aber ich habe ein solches Verbrechen der Menschlichkeit nicht für möglich gehalten.“

Weder die deutliche Bewertung des Gesehenen noch etwa gar das Zitat finden sich in irgendeiner der bekannten zeitgenössischen Äußerungen Zweigs. Von dem Bericht „Die russische Invasion in Galizien“, den Zweig 1915 für eine vom Kriegsarchiv geplante Geschichte des Weltkriegs abfasste, sind kritische Töne ohnehin nicht zu erwarten. Am 31. August erschien in der Neuen Freien Presse Zweigs Artikel Galiziens Genesung, der die Vitalität des Landes, seine Fähigkeit zu Regeneration und Wiederaufbau feiert. In Briefen an Rolland und Kippenberg zeigt sich Zweig verhalten betroffen, ohne jedoch auf Einzelheiten der Reise einzugehen. Im Tagebuch und in anderen Privatbriefen liegt der Schwerpunkt dagegen entschieden auf Tragik und Größe des Landes und seiner historischen Situation sowie auf der unvergleichlichen Schönheit, die dieser Tragik innewohne. Begeistert zeigt sich Zweig – wie auch schon in den Artikeln vom August 1914 – von der konkurrenzlosen Effizienz der deutschen militärischen Organisation. In einem Brief an Raoul Auernheimer aus Przemysl vom 16. Juli 1915 berauscht sich Zweig an seiner unmittelbaren Teilnahme an Weltgeschehen und Abenteuer:

Lieber Freund,

ich habe jetzt heisse und herrliche Tage hier in Galizien – nie waren sie voller mit Erlebnis, das freilich mit viel Mühe, Schmutz und Widerwärtigkeit bezahlt wird. Aber dieses Vorfluten der Massen, Tag und Nacht, Stunde um Stunde, zur Front, dieses Gehen ohne Stocken, diese ungeheure Weltuhr, die von Zeit zu Zeit nur ihre dumpfen Schläge hören lässt, aber immer geht, Tag und Nacht, ist etwas so Ungeheures und Reiches, weil über alle Vorstellung. Dadurch dass ich im Dienst reise, bin ich mitten drin, dadurch dass ich offene Ordre habe, frei jedes Beförderungsmittel zu wählen (eben fuhr ich auf einem Trainzug hoch oben aufgepackt wie die Burschen auf einem Heuschober.) Und dazu Galizien, tragisch und schön zugleich! Jetzt geht es weiter vorwärts

Ihr

S.Z.

Auch im Rückblick das gleiche Pathos. Im August schreibt Zweig an Paul Zech: „Die deutsche Organisation auf dem Vormarsch nach Warschau habe ich von innen, rollend in ihrem Aderwerk gespürt: aber das Mächtige, der Hammer auf Herz war doch der Lazarettzug, mit dem ich dann fuhr. Da sank alles Grosse in die Knie vor dem Grössten: dem irdischen Leiden.“

Man hat jeden Grund, einer solchen Begeisterung und einem solchen Pathos zu misstrauen. Euphorie, Tragik, Bedeutsamkeit sind offenbar Schutz- und Bannmittel gegen die drohende Überwältigung durch Leiden, Sinnlosigkeit, Banalität. Einen authentischen Galizienbericht Zweigs gibt es nicht. Die begeisterten Sätze sind ebenso wie die Betroffenheit in der Welt von Gestern sprachliche Konstruktion einer Wertsphäre, auf deren Eindeutigkeit und Geradlinigkeit Zweig angewiesen zu sein scheint – ob sie nun durch die Schönheit der weltgeschichtlichen Tragödie oder die moralische Stärke in der Anklage einer humanitären Katastrophe in Erscheinung treten.

Ein letzter Widerspruch zwischen der Autobiographie und den Dokumenten der Kriegsjahre bleibt noch zu rekapitulieren: Im Spätherbst 1916 erhielt Zweig zunächst für zwei Monate, dann nach einer vorübergehenden Rückkehr nach Wien für die gesamte Dauer des letzten Kriegsjahres die Genehmigung, sich in der Schweiz aufzuhalten. Zunächst war an verschiedene Veranstaltungen gedacht, bei denen Zweig gewissermaßen im Sinne einer österreichischen Kulturpropaganda im neutralen Ausland wirken sollte. Die Vorbereitungen der Uraufführung seines Dramas Jeremias in Zürich gaben darüber hinaus willkommenen Anlass, den Aufenthalt im neutralen Ausland auszudehnen. Zweig war froh darüber, dass er die Arbeit im Kriegsarchiv niederlegen konnte, die er zunehmend als Einschränkung seiner persönlichen Bewegungsfreiheit und Arbeitskraft empfand. In der Schweiz kam es nicht nur zu persönlichen Begegnungen mit Romain Rolland; Zweig konnte auch die ihm gemäße kosmopolitische und individualistische Lebensweise im freien Umgang mit einer Elite von Künstlern und Intellektuellen unterschiedlicher Nationalität wieder aufnehmen – unter ihnen Hermann Hesse, René Schickele, Ferruccio Busoni, Franz Masereel, Fritz von Unruh, Annette Kolb. In die Zeit des Schweizer Aufenthaltes fallen nun in der Tat Artikel mit deutlich humanistischer oder pazifistischer Aussage: eine extensive Besprechung von Henri Barbusses Le Feu, ein schöner Bericht über das Genfer Rote Kreuz (beide 1917), eine Rede über Bertha von Suttner und schließlich auch das umstrittene Bekenntnis zum Defaitismus (1918). Der Zweig der Welt von Gestern tut alles, um seine Begegnungen mit den Pazifisten in der Schweiz und seine publizistische Tätigkeit jener Jahre ins Licht von Wagnis und Widerstand zu rücken, so als geschehe nicht alles mit dem Wissen und der Billigung seiner Vorgesetzten, wie er selber schon dargestellt hatte, und unter dem wohlwollenden Auge des Attachés der deutschen Botschaft in Bern, Harry Graf Keßler. Zweig dagegen dramatisiert die Situation in seiner Autobiographie mehr als nötig, und fast scheint es, als müsse die Beurlaubung vom Dienst und der Aufenthalt in der schönen neutralen Schweiz dadurch gerechtfertigt werden, dass hier ein gefährlicher moralischer Krieg geführt worden sei:

da wir doch in der gleichen Front standen, im gleichen geistigen Schützengraben gegen den gleichen Feind, bildete sich spontan zwischen uns eine Art leidenschaftlicher Kameradschaft; nach vierundzwanzig Stunden waren wir einander so vertraut, als ob wir uns seit Jahren gekannt, und gaben uns bereits, wie an jeder Front üblich, das brüderliche Du.

Pazifismus im sprachlichen Gewand des Krieges! Doch Zweig exponierte sich längst nicht so weit, wie hier und weiter unten suggeriert wird: „Wir wollten doch wagen und wir genossen die Lust dieses Wagens, denn das Wagnis allein gab unserem Protest wirkliches Gewicht.“ In Wirklichkeit hielt sich Zweig von politischen Aktivisten fern, achtete sorgfältig darauf, öffentlich wenig in Erscheinung zu treten und pflegte überwiegend private Verbindungen mit einzelnen Freunden. Dies alles geschah mit Billigung der Behörden. Teile der österreichischen Diplomatie suchten seit 1917 einen Weg zum Waffenstillstand und förderten internationale Kontakte wie eben auch diejenigen Zweigs. Nur einmal, im Sommer 1918 drohte ihm ernsthaft die Zurückberufung nach Wien und eine offizielle Abmahnung. Mit Ausnahme des „Bekenntnisses zum Defaitismus“ passierten alle seine Artikel aus dieser Zeit ungehindert die österreichische bzw. deutsche Zensur und konnten zum großen Teil in der Wiener Neuen Freien Presse erscheinen.

Erst ab 1916 finden sich unter Zweigs Schriften keine kriegsbejahenden Äußerungen mehr; erst mit dem Schweizer Aufenthalt artikulierte sich die humanistisch-pazifistische Gesinnung, die bislang nur gelegentlich in Tagebüchern und Privatbriefen zum Ausdruck gekommen war, auch öffentlich. Zu diesem Zeitpunkt aber geschah dies schon mit der Duldung der Behörden und der Zensur und daher ohne jede Gefahr für den Pazifisten Zweig, dessen Friedensbotschaft jetzt eine ohnehin kriegsmüde Leserschaft erreichte.

II.  Widersprüche in Tagebüchern, Briefen, Berichten, Artikeln und literarischen Werken

Kein schmeichelhaftes Bild für Stefan Zweig, das sich aus dem Vergleich zwischen der Welt von Gestern und den Dokumenten der Kriegsjahre ergibt! Dabei ging es in diesem Vergleich kaum um eine Kritik des Autobiographen – es ist zu offensichtlich, wie sich 1941 das bessere Wissen der späteren Jahre und der Wunsch nach moralischer Integrität halb unbewusst gegen das historische Gedächtnis durchgesetzt haben. Wichtiger ist die Rekonstruktion einer problematischen, höchst labilen intellektuellen und psychologischen Situation in den Jahren 1914 bis 1918, die dem Interessierten mehr verrät als jedes Cliché vom Pazifisten Zweig, und sei es noch so wünschenswert.

Allerdings besteht die Gefahr, mit der Kritik an Zweigs Verhalten während des Ersten Weltkriegs wieder nur so unhistorisch zu urteilen, wie es durch die Idealisierung des Humanisten schon geschehen war. Vollkommen zu Recht weist Zweig in seinen Erinnerungen darauf hin, dass die Öffentlichkeit bei Kriegsbeginn der Diplomatie, dem Militär, der Presse wesentlich naiver gegenübergestanden habe als nur wenige Jahre später. Ein profiliertes politisches Bewusstsein, die Kompetenz oppositionell zu handeln, darf für einen großen Teil selbst des gebildeten Bürgertums der damaligen Zeit nicht vorausgesetzt werden. Freilich hat auch unpolitisches Denken politische Wirkungen, zumal bei Persönlichkeiten, denen wie Stefan Zweig die auflagenstärksten Tageszeitungen zur Verfügung standen. Zweigs Unwissenheit führt zu gefährlichen Fehleinschätzungen, und man fragt sich, wo die Grenze zwischen entschuldbarer Uninformiertheit und unverzeihlicher Naivität verläuft. Allein in den Briefen an Romain Rolland finden sich viele dieser Fehleinschätzungen, die deswegen um so „authentischer“ wirken, weil sie an einen Franzosen adressiert waren, den der Verfasser dieser Briefe als absolute moralische Autorität anerkannte: Bewusste Irreführung der Öffentlichkeit und Volksverhetzung gebe es nur in der französischen und englischen Presse, die deutschen und österreichischen Zeitungen seien dagegen wegen ihrer Sachlichkeit und Nüchternheit jedes Vertrauen wert; deutsche Militärs seien nicht imstande, grausam zu handeln oder kulturelle Werte zu mißachten; die deutsche Regierung habe den Krieg zu keinem Zeitpunkt gewollt. „Sie selber müssen endlich aus Ihrer einseitigen Vertrauensseligkeit herauskommen“, schreibt Rolland am 12. November 1914 an Zweig. Aber dieser fährt fort, seinem französischen Freund einiges zuzumuten: „Was ich an diesem Kriege an Deutschland so liebe“, heißt es im Sommer 1915,

ist nur seine Opferwilligkeit, seine organisatorische Kraft, die kein Atom in Unordnung oder Leichtsinn verliert, und – im Gegensatz zu Frankreich und Italien – das schweigsame Selbstbewußtsein. Sie, der Sie Ihre Heimat lieben, sollten einmal gegen das schreiben, was Frankreich allein […] in den Augen des Objektiven schädigt: das Bramarbasieren, das Im-voraus-Jubeln.

Man wundert sich, dass der Briefwechsel so unermüdlich fortgeführt wurde.

Noch bis zum Ende des Krieges treten immer wieder Zeugnisse politischer Unbedarftheit in Briefen und im Tagebuch auf, wo zum Beispiel unter dem 11. November 1918 zu lesen ist: „Der Krieg hat furchtbare Rache genommen an denen, die ihn wollten: Kaiser, Könige, Diplomaten, Militärs, Capitalisten – diese ganze Welt geht in Trümmer. Immer werden Mächte nicht zerstört: Sie zerstören sich selbst.“

Bleibt also zwischen ängstlicher Anpassung und alarmierender Unwissenheit gar kein Platz für den entschiedenen Kriegsgegner Zweig? Erweist sich der Pazifismus aus der Welt von Gestern als pure Fiktion? Das auch nicht, denn desillusionierte und kritische Äußerungen, Bekenntnisse zu Völkerverständigung und Versöhnung gibt es genug, es gibt sie sogar vom ersten Tage an. Freilich erscheinen sie während des ersten Kriegsjahres immer wieder durch den biographischen Kontext, in dem sie auftreten, geschwächt oder aufgehoben.

Schon am 3. August 1914 verzeichnet das Tagebuch: „Ich glaube an keinen Sieg gegen die ganze Welt – jetzt nur schlafen können, sechs Monate, nichts mehr wissen, diesen Untergang nur nicht erleben, dieses letzte Grauen. Es ist der furchtbarste Tag meines Lebens.“ Das klingt in der Tat ungewöhnlich einsichtig, doch konnte man nur wenige Zeilen weiter oben erfahren: „arbeite aus Verzweiflung meinen Artikel über Deutschland.“ Damit ist kein anderer Artikel gemeint als der überschwenglich vaterländische Ein Wort von Deutschland, der am 7. August in der Neuen Freien Presse erscheinen sollte. Die Rede von „Schwertbruderschaft“, „deutschem Wesen“, „Zucht“ und „Rasse“ also als Produkt der Verzweiflung! Im Tagebuch vom 12. September dann wieder sympathische Töne, eine von mehreren Klagen über die gesellschaftliche Isolation, unter der Zweig wegen seiner Gesinnung leide: „Ich kann mit den Leuten nicht reden: sie sind alle vernagelt in einem idiotischen und gar nicht echten Patriotismus. Dazu die Censur, das Erbübel!“ Aber hatte sich Zweig nicht erst drei Tage zuvor in seinem Feuilleton An die Freunde in Fremdland selber rhetorisch in einen „gar nicht echten Patriotismus“ hineingearbeitet? Ein weiteres Beispiel für die Relativierung kriegsgegnerischer Äußerungen durch den biographischen Kontext, aus dem Tagebuch vom 21. Dezember: „Die ungeheure Sinnlosigkeit des Gemordes entsetzt mich. Und alles für Phrasen und Unwahrheiten – bei uns zumindest.“ Kein Gedanke daran, dass Zweig seit nunmehr drei Wochen selber im Kriegsarchiv von Dienst wegen mit der Abfassung von Phrasen und Unwahrheiten befasst war. Am 26. Dezember dann: „Die Kaiservergötterung z. B. ist mir unerträglich sowie die Fürstendienerei, der Mangel an Democratie, der selbst jetzt so furchtbar zum Durchbruch kommt, sehr im Gegensatz zu Frankreich und England. Darüber kann ich mit den wenigsten sprechen.“

Zweig fühlte sich isoliert, doch den Umgang mit Kriegsbegeisterten mied er deswegen noch lange nicht: Schon drei Tage nach dem zitierten Passus freut er sich über einen „kluge[n] Brief“ von Ernst Lissauer, dem über Nacht zum Volkshelden gewordenen Verfasser des Haßgesanges auf England, mit dem weiterhin ein reger freundschaftlicher Austausch bestand. Offensichtlich war Zweig, was seine Einstellung zum Krieg betraf, für Kollegen und Bekannte kaum kalkulierbar. Als er Ende 1914 in einem Brief an Hermann Bahr die Leistungen Romain Rollands für den Gedanken europäischer Verständigung pries, glaubte Bahr dennoch nichts Unpassendes zu tun, als er dem Kollegen sein eindeutiges Produkt „Kriegssegen“ zuschickte. Wie hätte er auch ahnen können, dass bei ihm kritisiert wurde, was Zweig bei Lissauer und Richard Dehmel höchstens mit verhaltener Skepsis oder gar zustimmend aufnahm?

Erschreckend klarsichtig erscheint eine Beobachtung Zweigs in einem Brief an Rolland vom Januar 1915. Nach dem Krieg werde „die heroische Lüge“ kommen: „Alle, die jetzt draußen sind und den Krieg verfluchen, werden dann – infolge einer merkwürdigen Verlogenheit des Gedächtnisses, das immer nur das ‘Schöne’ von Erinnerungen behält, infolge einer Ruhmredigkeit und innern Unwahrhaftigkeit – den Kindern den Krieg preisen als etwas Schönes und Begehrenswertes.“ Wenige Monate später aber wurde Zweig nicht müde, von der „Schönheit“ und „Größe“ des Kriegs in Galizien zu schreiben, und konnte den Wert des außerordentlichen Erlebnisses seiner Reise nicht genug betonen.

In der Welt von Gestern gesteht Zweig selbst ein, dass er damals „vielleicht den Anwurf der Unentschiedenheit auf [s]ich nehmen“ mußte. „Innerlich“ sei er „vom ersten Augenblick an als Weltbürger gesichert [gewesen]; schwer war es, die richtige Haltung als Staatsbürger zu finden.“ Die Forschung hat sich dieser Meinung weitgehend angeschlossen und von einem Pazifismus im Privaten und abseits vom öffentlichen Auftreten (Donald A. Prater) oder von „inner freedom independent of externals“ (Lionel Bradley Steiman) gesprochen. Aber was heißt hier eigentlich „privat“ und „öffentlich“, was heißt „innen“ und „außen“? Setzt diese klare Trennung nicht voraus, dass es einerseits einen weitgehend geschützten Raum der Innerlichkeit gegeben habe, in dem ein unangefochtener Stefan Zweig seine pazifistische Gesinnung erfolgreich verteidigen konnte, andererseits aber eine Öffentlichkeit, in der ein Zwang zur unbedingten Kriegsbejahung bestand? Hier ist nicht von Wehrpflicht, staatsbürgerlichem Verhalten, Kriegsdienstverweigerung und Defaitismus oder Obstruktion zu handeln, sondern von der Position eines Mannes, der je nachdem als Privatmann, als Titularfeldwebel oder als Repräsentant der literarischen Öffentlichkeit auftrat. Und eine weitere Überlegung muss dem Status jener Formen gelten, die der Schriftsteller Zweig zwischen 1914 und 1918 schreibend pflegte.

Im Briefwechsel mit Rolland stellt sich schon im Oktober 1914 die Frage, ob und wie man öffentlich für den Frieden eintreten könnte. Zweig beschwört seinen Freund: „Ich bitte Sie, mir unbedingtes Vertrauen zu schenken, daß ich alles tun werde, um mein Teil an einer wenigstens geistigen Versöhnung beizutragen. Schweigen und Gleichgültigkeit ist heute ein Verbrechen.“ Schon bald rechnet Zweig aber mit seiner Einberufung zum Militärdienst, einer Tätigkeit, die jeden pazifistischen Aktivismus ausschließe. Das öffentliche Eintreten für die Versöhnung der Völker wird für die Zeit nach dem Krieg ins Auge gefasst, eine Absichtserklärung, mit der Rolland sich nicht zufrieden geben kann. Er hiel ihr entgegen: „Wenn die Besten, aus welchem Grunde auch immer, auf die Wiederkehr des Friedens warten, um zu sprechen, wird es zu spät sein, und Sie können Ihre geplante Zeitschrift ‘Versöhnung’ an den Nagel hängen.“ Doch Zweig hatte sich mit seinem pazifistischen Engagement bereits ins Privatleben zurückgezogen:

Meine Tätigkeit aber kann einzig im Unsichtbaren sein, vielleicht schafft sie nur eine kleine Atmosphäre jetzt um sich, denn der Sturm der Zeit löscht alle Wärme aus, reißt alle Worte weg. Trotz aller Schärfe des Eisens ist der Pflug noch nicht tief genug in die Erde gegangen, um eine Saat ausstreuen zu können. Aber einige Schollen sind schon gelockert, bald werden wir säen können.

Die Rede vom Schweigen in der Öffentlichkeit und vom Bekenntnis im Privaten hätte vielleicht Bestand, wenn Zweig sich von nun an jeder öffentlichen Äußerung enthalten hätte, aber eben dies ist nicht der Fall. Er bleibt regelmäßiger Mitarbeiter der Neuen Freien Presse. Nur wenige Tage vor dem zitierten Brief an Rolland war der Artikel „Vom ‘österreichischen’ Dichter. Ein Wort zur Zeit“ erschienen, in dem Zweig „die gänzliche Identifizierung unseres seelischen Erlebens mit dem deutschen Schicksal“ begrüßte.

Das führt zu der Frage nach den von Zweig zwischen 1914 und 1918 geübten Genres und ihrem Ort in der angenommenen Aufteilung von privat und öffentlich, „innen“ und „außen“. Es sind, wenn man von dem Drama Jeremias einmal absieht, neben den Berichten für das Kriegsarchiv Feuilletons, Briefe und Tagebücher sowie, in den Jahren des Schweizer Aufenthaltes, wenige Übersetzungen.

Ohne Zweifel rechnet das „Heldenfrisieren“ im Kriegsarchiv zum „Außen“. Zweig muss sich bald darüber im Klaren gewesen sein, dass diese Arbeit weder so interessant noch so verantwortungsvoll war, wie er sich anfangs erhofft hatte. Die Klagen über die Langeweile und die Einschränkungen durch den Dienst nehmen zu. Aber zu einer Distanzierung oder Kritik dessen, was dort absolviert wurde, kam es in keinem Text, den man für das „Innen“ reklamieren könnte. Ganz allgemein werden Phrase und Lüge abgelehnt, aber ohne jeden Bezug auf die eigene Person oder einen möglichen Gewissenskonflikt. Zweig beteiligte sich noch 1916 und 1917 an der Herausgabe einer halboffiziellen Zeitschrift des Kriegsarchivs Donauland, die eine „allgemeine kulturelle Propaganda im Sinne einer geistigen Landesverteidigung“ leisten sollte. Er war, entgegen seiner Darstellung in einem Brief an Rilke vom 23. April 1917, dabei ideologisch in gewissem Grade engagiert.

Zeitungsartikel unterstanden selbstverständlich der Zensur, und die Neue Freie Presse, für die Zweig regelmäßig arbeitete, erwies sich als linientreu. Das Feuilleton aber ist an sich schon ein Genre, das dem Verfasser subjektive Meinungen und stilistische Freiheiten einräumt. Die Zensurbehörde verhielt sich gegenüber diesem Teil der Zeitung überraschend zurückhaltend, wie Zweig selber sich erinnert. Artikel über die deutsch-österreichische „Schwertbruderschaft“ oder den „Suez-Canal in strategischer Hinsicht“ waren daher wohl erwünscht, aber nicht obligatorisch. Und wenn Zweig im Tagebuch vom 30. Juli 1914 über seinen Artikel Heimkehr nach Österreich bemerkt: „Nur die letzten Zeilen sind unwahr“, so fragt man sich, ob das nötig war. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Zweig in den ersten beiden Kriegsjahren die Möglichkeiten, die einem renommierten Feuilletonisten zu Gebote standen, nicht im Sinne eines humanistischen oder humanitären Engagements ausgereizt hat.

Zweigs Privatbriefe ins neutrale Ausland wurden zensiert, doch macht es sie nicht ohne weiteres von einem Dokument der Innerlichkeit zu einem Produkt öffentlichen Zwanges. Gerade in den Briefen an Rolland zeigt sich Zweig besonders engagiert und kritisch, bittet er seinen Freund, auch zwischen den Zeilen zu lesen. Die ungleich angepassteren Briefe an Kippenberg und Auernheimer bekam kein Zensurbeamter zu lesen. Sind sie, wenn man in der Einteilung von „innen“ und „außen“ verbleiben will, unter „außen“ zu verzeichnen, andere Briefe an Hermann Hesse, Arthur Schnitzler, Romain Rolland dagegen unter „innen“? Wohl kaum.

Schließlich die erst 1984 erschienenen Tagebücher, die die Argumentation mit der Unterscheidung eines privaten von einem öffentlichen Zweig vollends hinfällig werden lassen. Sie zeigen einen höchst labilen, schwankenden, beeinflussbaren Diaristen. Die Meldungen von den ersten deutschen Siegen werden rückhaltlos bejubelt: „Die deutschen Siege sind herrlich“, heißt es am 25. August, „wie der Fächer der Armeen sich jetzt aufrollt gegen den Griff, gegen Paris zu. Das zu lesen und zu fühlen, man erlebt Napoleonszeiten.“ Oder, am 1. September: „Sedanstag. […] Wir haben plötzlich ein grenzenloses Vertrauen, schon teilt man die Welt. Diesen Tag erlebt zu haben war wahrhaft schön, schon freue ich mich auf morgen. Man spricht von 100000 Gefangenen.“ Am 21. September: „drei große englische Kreuzer von einem Unterseeboot in den Grund gebohrt [!], 20 Menschen gegen 2000 – eine Heldentat der Umsicht und Kühnheit! Der Capitän Weddigen ist heute ein deutscher Held!“

Zweig scheint von einer naiven Begeisterung beherrscht, einem kindlichen Glauben an die offizielle Kriegsberichterstattung. Wie ist das möglich, wenn sich andererseits in unmittelbarer Nachbarschaft der euphorischen Einträge auch skeptische, ablehnende, tief pessimistische finden? Die Stimmung wechselt von Tag zu Tag, die Einflüsse, die den plötzlichen Wechsel herbeiführen, liegen oft auf der Hand. So heißt es am 15. Oktober: „Wieder gute Nachrichten von Deutschland – ein Born ohne Ende“, und nur zwei Tage später: „Was Romain Rolland und ich jetzt in unserem Briefwechsel versuchen könnte vorbildlich werden: einmal muß das Wort: Genug! ja doch ausgesprochen werden, warum soll es nicht rechtzeitig sein.“ Ein letztes konsternierendes Beispiel für Zweigs jähe Stimmungsschwankungen: „Ich bin viel ruhiger und werde den Krieg bald für mich gebändigt haben. Ich weiß jetzt wie sehr ich ihn hasse, daß ich nichts und nichts daran schön finden kann und auch nicht will.“ So steht es unter dem Datum vom 4. Januar 1915; doch als Italien Österreich den Krieg zu erklären droht, klingt es am 14. Januar wieder ganz anders: „Und etwas Herrliches für Österreich: eine Erdbebenkatastrophe in Italien, in der Nähe Roms […] das diesmalige [Erdbeben, im Gegensatz zu einem früheren] ist – leider – geringfügiger, obzwar es auch 30 000 Menschen das Leben gekostet hat und der Materialschaden zweifellos ein furchtbarer ist. Etwas mehr – und wir wären die schwerste, die bitterste Sorge los gewesen.“

Zweig, der sich etwas darauf zugute hielt, ausschließlich Kritik an Handlungen und Ereignissen, nicht aber an der Eigenart von Völkern und Nationen zu üben, äußert sich nun – und nicht zum ersten Mal – gehässig über eine „feindliche“ Nation:

Seltsam, man spricht gegen den persönlichen Haß und ist sich klar, daß es Wahnsinn ist. Dennoch vermöchte ich niemals einem Italiener mehr frei ins Gesicht zu blicken. Sie haben uns zusehr gequält mit ihrer Perfidie, mit ihrer Verlogenheit, die diesem Raub noch edle Motive unterschiebt. Gegen sie wird sich Deutschlands Haß noch nach Jahrtausenden wenden: Es ist eigentlich Wahnsinn, den sie begehen. Und das Tragische, man würde fertig mit ihnen, wäre Rumänien nicht, das die Leichenschändung vollendete.

Die kosmopolitische Lebensweise vermochte Zweig also keineswegs vor nationalem Vorurteil und unkontrollierten Hassgefühlen zu bewahren. Da Europäertum für ihn hauptsächlich Umgang mit einer Elite von Literaten und Künstlern in Frankreich, Belgien und England bedeutete, also auf die kulturelle Sphäre und individualistische Geselligkeit beschränkt blieb, stand er dem Phänomen Europa in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht unwissend oder hilflos gegenüber. Auch die Idee der geschützten Innerlichkeit, so führt es das Tagebuch vor, ist durch den Einbruch der historischen Ereignisse in die Welt des Ästheten Zweig hinfällig geworden.

Gerade für das „Innen“ gilt bis zum Ende des Jahres 1915 nicht, was Zweig immer wieder für sich beanspruchte, etwa im Brief an Rolland vom Dezember 1914: „ich persönlich bin jetzt ganz klar. Ich werde auch weiterhin nicht eine Zeile schreiben, die als unterstützend auch nur gedeutet werden könnte, dagegen soviel im andern Sinn, als nur möglich ist.“ Eben diese persönliche Klarheit – das dokumentiert das Tagebuch auf oft bestürzende Weise – hatte Zweig noch lange nicht gefunden. Neben der Widersprüchlichkeit der Positionen, die immer wieder auf engstem Raum gegeneinander stehen, macht die Sprache vieler Einträge misstrauisch. Zweig liefert sich an Clichés aus, lässt sich von einer Rhetorik der extremen Emotion und des Monumentalen hinreißen: „Ich bin gleichsam gelähmt von der Wucht der Ereignisse wie einer neben dem der Blitz in die Erde gefahren ist.“ Oder: „Man spürts Schwingen in der Luft: Weltgeschichte, Weltentscheidung in diesen Tagen. Schaurig weht’s einen an und schaudernd fühlt mans.“ Eine Sprache des Superlativs beherrscht den Diaristen mehr, als dass er sie beherrschte: „Ich habe nie gewußt, wie dumm der Pöbel ist, allorts und überall, wie er Geredetes widerkaut ohne zu denken. Es gibt nur mehr das Eine: die Elite. Mein Ekel vor den Leuten ist in das Namenlose gestiegen ich weiche allen aus.“ Die Rede wird zum reinen Gestus, zur bloßen Affirmation, verliert immer wieder jeden Sachbezug. Am 2. April 1915, kurz vor der Kriegserklärung Italiens an Österreich, behauptet Zweig „im tiefsten“ zu wissen, „daß alles was Österreich geschieht ihm von Vorteil ist.“ Was mag damit gemeint sein? Es ist Beschwörung, nicht Beschreibung.

Auch außerhalb des Sprachlichen lässt sich bei Zweig während der Kriegsjahre ein gestisches Verhalten beobachten, wobei die rein formale Reaktion innere Festigkeit entweder noch nach sich ziehen oder vortäuschen soll. Bei Kriegsausbruch lässt sich Zweig aus Trauer einen Vollbart stehen. Mehrfach verzeichnet das Tagebuch Phasen forcierter Askese wie am 15. Juni 1915: „Letzte Lehre immer wieder: nur mit den Besten verkehren, alles andere ist Erniedrigung. Und einsam sein, arbeiten. Vielleicht noch mit Frauen spielen. Aber kein ‘Verkehr’. Einsamkeit, Einsamkeit! Es lernen. Ich fühle es wird Zeit.“

Stefan Zweig bezieht im Tagebuch der ersten sechzehn Kriegsmonate (zwischen Februar 1916 und November 1917 ist eine Lücke) keinen festen Standpunkt. Er übt vielmehr eine rhetorische Mimikry von gegenläufigen Werten und Stimmungen, die an die Stelle einer stabilen Identität getreten ist. Die Sprache der absoluten Werte ersetzt das selbstbewusste Denken, die wechselnd anempfundenen Schablone die Identität. Der Psychologe liest aus dem Tagebuch das stete Schwanken zwischen euphorischen und depressiven Phasen heraus, wobei die überschwängliche Rede den mühsam abgewehrten oder unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des Befindens schon andeutet. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird Zweigs Tagebuch zum Psychogramm einer besorgniserregend instabilen Persönlichkeit. Es steht zu vermuten, dass sich Zeichen dieser Instabilität über die Grenzen der intimen Aufzeichnungen hinaus auch in den dienstlich verfassten Schriften sowie in Briefen und Feuilletons finden. Die Versiertheit, mit der Zweig gleichzeitig die einander widersprechenden Bereiche schriftlicher Betätigung handhabt, verliert jedenfalls vor dem Hintergrund der geistigen Inkohärenz, die das Tagebuch widerspiegelt, ihr Rätselhaftes.

Als Hinweis auf einen Mangel an Selbstbewusstsein und auf psychische Labilität hat man Zweigs Neigung zur starken Identifikation mit älteren Freunden angesehen, die er als moralische und künstlerische Vorbilder idealisierte. Eine dieser Vorbildfiguren war der belgische Lyriker Emile Verhaeren, mit dem Zweig seit 1902 persönlich bekannt war und für dessen Werk er sich in Deutschland durch Übertragungen, Vorträge, Lesungen sowie durch eine Monographie entschieden einsetzte. Bewusst stellte Zweig, der seinen eigenen künstlerischen Weg noch nicht gefunden zu haben glaubte, seine Begabung in den unbedingten Dienst am Werk des Freundes: „Aber indem ich mich entschloß, meine ganze Kraft, Zeit und Leidenschaft dem Dienst an einem fremden Werke zu geben, gab ich mir selbst das Beste: eine moralische Aufgabe. Mein ungewisses Suchen und Versuchen hatte jetzt einen Sinn.“

Als Verhaeren im Herbst 1914 mit einem agitatorischen Gedicht auf die deutsche Invasion in Belgien reagierte, die Deutschen als Verbrecher und Barbaren anklagte, bedeutete dies für Zweig eine persönliche Katastrophe. Vor allem im Briefwechsel mit Rolland versuchte er den Vorgang, der ihn in seiner Identität erschütterte, zu bewältigen. Nach Verhaerens Tod im November 1916 fasste Zweig noch einmal in einem Schreiben an Rolland zusammen, was ihm der verlorene Freund einmal bedeutet hatte:

Er hat mir das makellose Leben eines Dichters in dieser Zeit zum ersten Male gezeigt, mir in edler Reinheit gewiesen, wie die Einfachheit der Lebensführung geradezu Vorbedingung der seelischen Freiheit ist: er hat mir gezeigt, wie man Freundschaft zum Fundament seines Lebens setzen soll und sich hingeben ohne Hoffnung auf Entgelt, nur aus der Freude an der Hingabe […] am meisten war er in seinem kleinen Landgut; dort zwischen Bauern und kleinen Bürgern mußte man ihn sehen, heiter, ohne Stolz, wunderbar anonym und von einer antiken Einfachheit.

Romain Rolland war seit Kriegsausbruch als oberste moralische Instanz und Identifikationsfigur an die Stelle Verhaerens getreten. Zweig fand in ihm einen Freund, in dem er ähnlich wie bei dem Belgier eine geglückte Einheit von Künstlertum und unbedingter ethischer Glaubwürdigkeit zu sehen meinte. Auch hier wieder die Verklärung der einfachen Lebensweise, die Zweig übrigens auch im Falle Hermann Hesses und René Arcos’ zu rühmen wusste. Unübersehbar ist Zweigs Bedürfnis, sich mit der Integrität der Vorbildfiguren gegen eigene Schwächen und Inkonsequenzen zu schützen. „Ein namenlos schöner Brief von Romain Rolland“, liest man unter dem 22. November 1914 im Tagebuch, „ich schien mir klein und gemein vor seiner erhabenen Aufopferung. In seinem Wesen ist Alles das, was ich in mir zur Güte emporsteigern wollte, Alles das, was in mir von den Leidenschaften aufgesaugt wird und ich fühle seine Existenz gleichsam als eine Anfeuerung alles Wertvollen in mir. Er und F.[riderike von Winternitz] könnten mich vielleicht von mir selbst erlösen.“

III. Legitimationsprobleme eines jüdischen Schriftstellers

Es wäre überflüssig, Zweigs seelische Labilität und seine Abhängigkeit von heroisierten Vorbildern in solcher Breite vorzuführen, wenn es sich dabei allein um ein individualpsychologisches Problem handelte. Aber die schablonenhafte Sprache, der jähe Wechsel zwischen entgegengesetzten Einstellungen und Stimmungen, das Ideal asketischer Lebensführung und die weitgehende Identifikation mit Persönlichkeiten, denen die Synthese von Kunst und Moral geglückt scheint, heben den Fall Stefan Zweig über das Individuelle und Private hinaus. Es geht um den Literaten und Ästheten aus dem jüdischen Großbürgertum und um seinen historischen und soziologischen Ort, der durch den Ausbruch des Weltkriegs radikal in Frage gestellt wird. Die Zeit vom August 1914 bis zum Schweizer Aufenthalt ab Anfang 1917 bedeutet im Leben Zweigs nicht nur die Krise einer schwachen Persönlichkeit, sondern mehr noch die Krise seines Künstlertums und seiner sozialen Legitimation.

Das deutet sich schon im Verhältnis zu Verhaeren und Rolland an: Während die Beschäftigung mit dem Belgier ausdrücklich als Funktion eigener künstlerischer Unbestimmtheit ausgegeben wird, zeichnet sich mit der Wendung zu Romain Rolland eine stärkere Betonung der ethischen und erzieherischen Aufgaben des Schriftstellers ab. Das sentimentale Bild der einfachen Lebensweise, das für beide beschworen wird, ist dabei der ungewisse Ausdruck einer idealen Einheit von Künstlertum und Moral, der Zweig um so ängstlicher nacheifert, als er unbewusst das wenig Legitimierte seiner eigenen gesellschaftlichen Stellung zu empfinden scheint. In Die Welt von Gestern ist einleuchtend beschrieben, wie die Existenz des Literaten und Ästheten eine Reaktion auf das großbürgerlich-jüdische Milieu darstellt, dem Zweig sich verbunden weiß, während er zugleich versucht, sich von ihm zu lösen. Den gesellschaftlichen Ehrgeiz der Mutter, ihre Befangenheit im Denken in Kategorien der „guten“ und „alten“ Familien, lehnte er rundweg ab. Die Verleugnung des Reichtums im persönlichen Lebensstil dagegen kennzeichnete bereits den Habitus des Vaters; dazu gehört, dass man sich zum Wohlstand, der dennoch alles bestimmt, niemals rückhaltlos bekennt. Die besondere Lage dieser Schicht jüdischer Großbürger im Wien des späten 19. Jahrhunderts – dass sie von politischer Macht ausgeschlossen ist und zu ihrer wirtschaftlichen Macht ambivalent steht – bildet den Hintergrund für Zweigs Literatenlaufbahn. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur erscheint schon in der Generation der Eltern als Kompensation des nicht geklärten sozialen Status, ein Rückzug in Ideales und Individuelles, oder wie Zweig sagt, ins „allgemein Menschliche“. Es wird verständlich, warum Zweig sich unermüdlich auf Individualismus, Geistigkeit, Kosmopolitismus berief. Verständlich wird auch, dass er zeitlebens ein Ungenügen gegenüber jenen bewunderten Freunden empfand, bei denen die künstlerische Berufung nicht wie bei ihm selbst vor dem Hintergrund materieller Sicherheit und einer gewissen gesellschaftlichen Ortlosigkeit erschien. Der Ausbruch des Weltkriegs muss Zweig auf die Labilität eines Lebenskonzepts gestoßen haben, das auf der Kompensation einer sozialen Außenseiterposition (jüdisches Großbürgertum) mit einer vermeintlich übersozialen Lebensweise (Ästhetentum und Literatentum) beruhte.

Auch die gestische, sprachliche oder habituelle Orientierung Zweigs an zwei entgegengesetzten Wertsphären im ersten Jahr des Weltkriegs ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Sowohl der (militärische) Dienst an der Allgemeinheit als auch das literarische Engagement für Frieden und Völkerverständigung boten sich als Möglichkeiten gesellschaftlicher Legitimation an. Die Arbeit im Kriegsarchiv bedeutete ebenso wie die Publizistik im humanitären Sinne, die Zweig in den Schweizer Jahren verfolgte, eine Absage an das unbestimmte Ästhetentum. „Vielleicht waren wir alle auf falschem Wege, als wir künstlerischen Dingen unser ganzes Leben hingaben“, schreibt Zweig am 5. Oktober 1914 an Paul Zech, „heute ist nur der nützliche Mensch der wahrhaft wertvolle: ich bedaure so wenig für die Zeit tuen zu können, da ich doch nichts Anderes meistere als das Wort.“ Das ideell Ungesicherte der Literatenexistenz und das vielleicht schon länger uneingestanden gehegte Bedürfnis, ein nützlicher Mensch zu sein, hätten vielleicht nicht einmal eines so dramatischen Anstoßes wie des Krieges bedurft, um sich bemerkbar zu machen. Offensichtlich ist aber, dass Zweig den Kriegsbeginn als Chance wahrnahm, sich im gesellschaftlichen Sinn zu legitimieren. Der Tagebucheintrag vom 12. November 1914, in dem Zweig bemerkt, mit der Diensttauglichkeit finde er sich im Alter von 33 Jahren da, wo andere mit 18 stehen, wurde bereits zitiert, auch, dass sich damit ein Wunsch seiner Mutter erfüllte. Auch sonst sprechen viele Äußerungen Zweigs aus Briefen dieser Zeit dafür, dass er seine Arbeit im Kriegsarchiv im Sinne einer sozialen Verwirklichung empfand. Freilich stellte es Zweig wiederholt so dar, als wenn erst ein Fronteinsatz die definitive Legitimation bedeutet hätte, so noch im Mai 1915 in einem Brief an Romain Rolland:

Ich bin hier im Kriegsarchiv, wo ich seit Kriegsbeginn eine Vertrauensstellung habe, noch wohl nötig, lieber hätte ich mich bei der Südarmee betätigt (ich kann gut Italienisch). Meine Qualificierung ist bisher immer Untauglichkeit fürs Feld gewesen, vielleicht wird das Maß mit den Monaten herabgesetzt. Ein richtiger Soldat zu werden wird mir, fürchte ich, nie gelingen, aber der Wille zur Arbeit, zum Wirken ist stark in mir. Bisher war man bei allen meinen Verwendungen mit mir zufrieden, freilich ist es mir noch nicht gegeben gewesen, diese letzte Probe zu machen, aber ich weiß, ich würde sie trotz aller seelischen Widerstände bestehen. Jetzt ertrinke ich in harter Arbeit, und das Gefühl, daß sie wichtig ist, tut mir wohl. Ich möchte nicht frei sein jetzt, um keinen Preis. Und wir werden es nie mehr sein! Denn ist dieser Friede [sic!] zu Ende – was hätten wir zu tun. Ich war immer scheu, ein Leben lang, aber jetzt fühle ich Lust, zu den Menschen zu gehn, von Haus zu Haus, und mit ihnen zu sprechen, sie zu bekehren zu dem, was ich fühle. Ich kann es kaum mehr erwarten, auch so tätig zu werden: wäre es nur bald!

Wieder scheint vieles stilisiert, mehr der Ausdruck guter Absichten als realistischer Pläne. Aufschlussreich ist aber, wie der Wunsch nach Nützlichkeit und Verbürgung der eigenen Position mit der ganzen Existenz die Frage nach den Inhalten und dem Zweck der Arbeit völlig verdunkelt. Wozu will Zweig die Menschen bekehren? Womit will er von Haus zu Haus gehen? Das bleibt ungeklärt. Wichtig ist allein die Verantwortung durch Diensterfüllung, die jedoch noch lange nicht persönliche Verantwortung für die Publikationen des Kriegsarchivs mit einschließt. Die Einbindung in eine Institution und die Erledigung der Aufgaben zur Zufriedenheit der Vorgesetzten stellen für Zweig einen Wert an sich dar. Erstmals macht er, der die Schule als Gefängnis empfand und seither ein finanziell, beruflich und familär völlig ungebundenes Leben auf Reisen führte, die Erfahrung fragloser Legitimation durch die soziale, d. h. dienstliche Stellung, die ihm zugewiesen ist. Es ist ein verspäteter, mehr durch Entschlossenheit als durch wirkliche Überzeugung getragener Vorgang der Sozialisation. Nun verstehe er, „wie Kanzlisten, wie Balzac und andere Dichter und Gestalter wurden“, notiert er während seiner kurzen Verwaltungstätigkeit in Klosterneuburg. „Man muß durch Zwang an Menschen gebunden sein, nicht durch Wahl, nicht selbst Auslese treffen, sondern vom Zufall sich einordnen lassen.“

Zweig konnte sich die neue Ethik gesellschaftlicher Nützlichkeit und die gewünschte definite Rolle, die die militärische Laufbahn ihm bot, nicht aneignen, ohne auch die Ideologie mitzutragen, die diese Rolle bestimmte. Die publizistischen Arbeiten für das Kriegsarchiv erledigte er umso gewissenhafter, als er an die soziale Relevanz seines Dienstes glauben wollte. So entstand die paradoxe Situation, dass er gleichzeitig kriegsbejahende Texte für das Kriegsarchiv und pazifistische Bekenntnisse in Briefen und im Tagebuch abfasste. Frieden, Versöhnung, Völkerverständigung – diese Ideale mögen dem bürgerlichen Bildungsgut des Literaten Zweig nähergestanden haben als die Rhetorik der Propagandaorgane. Solange diese Ideale aber nicht mit einer anerkannten und stabilen sozialen Rolle zu verbinden waren, konnten sie sich nicht durchsetzen. Romain Rolland, mit dem Zweig zuerst und hauptsächlich seine humanistischen Gedanken teilte, war zweifellos ein Vorbild und eine moralische Autorität, aber er – der katholische Franzose im neutralen Genf – konnte dem österreichischen Juden Stefan Zweig keine Alternative für die neue Erfahrung scheinbar fragloser gesellschaftlicher Legitimation und institutioneller Einbindung bieten. Aus soziologischer Sicht erscheint daher ebenso wie aus psychologischer die Rede von der „inneren Unabhängigkeit“ bei „äußerlicher Anpassung“ als bloßes Konstrukt. Sowohl die öffentliche als auch die private Position Zweigs müssen als völlig ungeklärt gelten, solange nicht die einzige Frage gestellt wird, die beide Bereiche integriert. Es ist die Frage (nicht nach dem Titularfeldwebel, nicht nach dem Privatmann, sondern) nach dem Schriftsteller Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg. Alles spricht dafür, dass er sich diese entscheidende Frage erst spät gestellt hat, und zwar nicht zufällig, als er immer wieder mit seiner jüdischen Identität konfrontiert wurde. Nicht Emile Verhaeren und Romain Rolland heißen die Figuren, die Zweig veranlassten, sich als Europäer zu bekennen, sondern Arthur Schnitzler, Martin Buber, Franz Werfel – österreichisch-jüdische Schriftsteller.

Am 11. Februar 1915 schrieb Schnitzler von einem aktuellen Wiener Fall von Antisemitismus an Zweig, einem Thema, das in mehreren Gesprächen und brieflich wieder aufgenommen und im März auch im Tagebuch erwähnt wurde. Inzwischen hatte Zweig in der Neuen Freien Presse am 4. April 1915 unter dem Titel „Warum Belgien, warum nicht auch Polen?“ auf den Missstand aufmerksam gemacht, dass die Sympathie der Weltöffentlichkeit weit mehr bei der Zivilbevölkerung Belgiens liege, während die Lage Galiziens kaum Beachtung finde, und war dabei besonders auf die dramatische Situation der galizischen Juden eingegangen:

In Deutschland, in Frankreich, in England und Österreich sind die Juden unterschiedslos eingegangen in die Leidenschaften der Völker, aber im russischen Polen und in Galizien, so weit es die Russen besetzten, ist ihr Schicksal sofort ein Sonderschicksal, ein Proletenschicksal geworden. […] Sie waren es, die von der Bevölkerung den einrückenden Russen gleichsam als Opfer dargebracht wurden, an denen ihr erster Zorn sich kühlen, ihre böse Lust sich entladen sollte.

Als Zweig wenige Monate später selber nach Galizien reiste, bewies er indessen für die Juden keine besondere Teilnahme, und seine Tagebücher zeigen, dass er von ihrer Situation nicht mehr als oberflächliche Kenntnis besaß. Immerhin hatte Zweig mit seinem Artikel das Interesse des Publizisten Abraham Schwadron gewonnen, dem gegenüber er seiner Besorgnis über den zunehmenden Antisemitismus entschiedene Worte gab: „Ich bin fest überzeugt, daß die Erbitterung, die jetzt schon latent ist, nach dem Kriege sich nicht gegen die Kriegshetzer, die Reichspost-Partei, sondern gegen die Juden entladen wird. Ich bin überzeugt – felsenfest – daß nach dem Kriege der Antisemitismus die Zuflucht der ‘Großöstrreicher’ sein wird, daß Polen und Wiener da endlich eine Form der Einigkeit haben werden.“ Doch während Zweig Schnitzler gegenüber meinte, man müsse der gefährlichen Entwicklung „vielleicht heute schon in Parade entgegentreten“, berief er sich gegenüber Schwadron auf die Zurückhaltung, die ihm seine militärische Stellung auferlege. Zu einem politischen Auftreten gegen den Antisemitismus kam es weder während des Krieges noch später.

Die jüdische Identität war nun aber soweit in Zweigs Denken in den Vordergrund getreten, dass er mit dem ersten im engeren Sinn literarischen Projekt seit Kriegsausbruch, dem Drama Jeremias, ausdrücklich ein Bekenntnis zum Judentum abzulegen gedachte. Mit dieser Arbeit näherte sich Zweig erstmals dem Gedanken der ethischen Verantwortung des Schriftstellers und der literarisch geleisteten Integration von sozialer Identität und ideologischer Aussage. Mit Bezug auf Jeremias schreibt Zweig in Die Welt von Gestern:

Ich weiß heute: ohne all das, was ich mitfühlend, vorausfühlend damals während des Krieges gelitten, wäre ich der Schriftsteller geblieben, der ich vor dem Kriege gewesen, ‘angenehm bewegt’, wie man im Musikalischen sagt, aber nie gefaßt, erfaßt, getroffen bis in die innersten Eingeweide. Jetzt zum erstenmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig aus mir selbst zu sprechen und aus der Zeit.

Diese Charakterisierung im Rückblick wird durch zeitgenössische Äußerungen bestätigt. In einem Brief an Martin Buber vom 8. Mai 1916 heißt es:

Ich arbeite jetzt in den wenigen Stunden, die mir der Militärdienst läßt, an einer großen (und durch Beziehungen zeitlosen) jüdischen Tragödie, einem Jeremias-Drama, das ohne Liebesepisoden, ohne Theaterambitionen die Tragik des Menschen, dem nur das Wort, die Warnung und die Erkenntnis gegen die Realität der Tatsachen gegeben ist, auf dem Hintergrunde eines Entscheidungskrieges darstellt. Es ist die Tragödie und der Hymnus des jüdischen Volkes als des auserwählten – aber nicht im Sinn des Wohlergehens, sondern des ewigen Leidens, des ewigen Niedersturzes und der ewigen Erhebung und aus solchem Schicksal sich entfaltenden Kraft – und der Schluß ist gleichsam die Verkündigung im Auszug aus Jerusalem zum ewig neu gebauten Jerusalem. Der Krieg hat mir, der ich das Leiden als Macht liebe, als Tatsache aber schaudernd fühle, diese Tragödie aufgetan, und wenn überhaupt mein Wille tatkräftig sein kann, so wird er es diesmal sein.

Zweig versuchte demnach, seiner künstlerischen Überzeugung, seiner jüdischen Identität und der Zeit zugleich Ausdruck zu verleihen. Doch deutet sich in der zitierten Passage auch schon an, worin die Grenzen des Unternehmens liegen: Zum einen in der Zeitlosigkeit des Dramas, die sich bei genauerem Hinsehen als historische Ortlosigkeit erweist, die jeden konkreten Bezug auf die Situation der Kriegsjahre unmöglich macht. Vielleicht bezog sich Schnitzler auf diese geschichtliche Ortlosigkeit, als er Jeremias in seinem Tagebuch als das „hervorragendste Gymnasiastenstück, das sich denken lässt“ bezeichnete. Der relative Erfolg des Dramas, das im Februar 1918 in Zürich uraufgeführt wurde, ist wohl nur damit zu erklären, dass die Mischung aus tragischer Verblendung, Kriegsniederlage und Freiheit des Geistes allem Leiden zum Trotz beim kriegsmüden Publikum eine gewisse pathetische Stimmung hervorrief. Als Aufruf zu Widerstand und Protest oder Dokument eines engagierten Pazifismus lässt sich das Stück trotz der Befürwortung eines Friedens um jeden Preis kaum deuten. Die Züricher Aufführung und auch schon die Buchpublikation von 1917 in Deutschland waren von der Zensur ohne weiteres genehmigt worden. Und in der Tat hat das Vorgeführte mit der historischen oder moralischen Problematik des Ersten Weltkriegs nur sehr indirekt zu tun. Ähnliches gilt für Der Turm zu Babel von 1916 und Die Legende der dritten Taube von 1917, in denen Zweig, ausgehend von alttestamentarischen Texten, der Trauer um den Hass der Völker und der Sehnsucht nach Frieden unbestimmten Ausdruck gibt. Die biblische Sprache, Zeichen für Allgemeinmenschliches aus jüdischer Tradition, ist funktionslos; sie erzeugt höchstens Stimmungswerte, wie schon die Semantik der Schlaflosigkeit und Sorge in dem früheren Artikel „Die schlaflose Welt“. In dem 1917 in der Schweiz entstandenen Gedicht Polyphem gelingt der Bezug archaischer Überlieferung auf das aktuelle Geschehen noch am besten. Polyphem ist ein Sinnbild des blindlings verschlingenden Krieges. Doch mit der Blendung Polyphems, als Entmachtung des Kriegs durch den Willen der „Brüder der Völker“ gedeutet, wird der mythologische Vergleich ungenau.

Aktuell in einem indirekten Sinn wird Jeremias vor allem durch seine jüdische Thematik. Die Idealisierung des „ewigen Leidens“, das als tragisches Kennzeichen jüdischen Wesens ausgegeben wird, die Reduktion des Judentums auf triumphierende Geistigkeit („das Wort, die Warnung und die Erkenntnis“) und die Positivierung der Diaspora erweisen sich als impliziter Kommentar zur aktuellen Zionismusdebatte. Dies geht aus dem Briefwechsel mit Martin Buber hervor. Im Brief vom 8. Mai 1916 antwortet Zweig auf eine Aufforderung Bubers, an der seit 1916 in Berlin erscheinenden Zeitschrift Der Jude mitzuwirken. Er lehnt ab, mit der Begründung, „freilich will mir das nur Theoretische und Discutive darin als eine Gefahr erscheinen […] manche, und nicht die schlechtesten, drücken durch das Symbol ihr Gefühl besser aus als durch das Wort.“ Die weiter oben zitierten Bemerkungen über Jeremias schließen sich an; sie stehen daher im unmittelbaren Kontext der Zionismusfrage. Und auch die Fortsetzung des Briefwechsels zeigt, dass Jeremias als Illustration der Zweigschen Stellung zum Zionismus gelten kann. Der Bevorzugung des Symbolischen vor dem „Discutiven“ entspricht die Ablehnung eines politischen Begriffs vom Judentum zugunsten eines auschließlich kulturellen.

Nie habe ich das Judentum in mir so frei gefühlt als jetzt in der Zeit des nationalen Irrwahns – und von Ihnen und von den Ihren – trennt mich nur dies, daß ich nie wollte, daß das Judentum wieder Nation wird und damit sich in die Concurrenz der Realitäten erniedrigt. Daß ich die Diaspora liebe und bejahe als den Sinn seines Idealismus, als seine weltbürgerliche allmenschliche Berufung. Und ich wollte keine andere Vereinung als im Geist, in unserem einzigen realen Element […].

In der Fortsetzung des Briefes distanziert sich Zweig ausdrücklich von Max Brod, den er als „fanatisch und national“ bezeichnet.

Als Zweig in jungen Jahren mit Theodor Herzl, dem Feuilletonchef der Neuen Freien Presse in Verbindung trat, lehnte er eine Teilnahme an dessen politischen Aktivitäten ab. Er entschied sich dafür, sein Judentum in der freischwebenden Existenz des auf Reisen lebenden Ästheten zu verwirklichen. Jahre später, im Weltkrieg, kam es zu einer Neuauflage von Zweigs unpolitischer Stellungnahme. Nun war es nicht mehr das Ästhetentum, mit dem der Literat glaubte, sich über oder außerhalb der Gesellschaft einrichten zu können, sondern ein Literatentum mit einem vagen moralischen Anspruch. An Romain Rolland schrieb Zweig über Jeremias: „Dies ist wahrhaft die erste Sache von mir, die ich liebe, weil es nicht mehr literarisch ist, weil es einen moralischen Willen hat, weil es mir selbst geholfen hat.“ Um 1917 war es das Pathos des Geistigen, die Botschaft des Leidens, die ein Werk schon zu einem moralischen machten. Auch das, was früher unauffälliger Habitus des Literaten war, konnte angesichts der militärischen Ereignisse als Bekenntnis, als moralischer Standpunkt gelten. Die Lebensweise, die Zweig seit Anfang 1917 in der Schweiz wieder aufnahm, der Umgang mit einer Elite von Künstlern und Schriftstellern, konnte als das „Andere“ des Krieges erscheinen. Demonstrativer Individualismus statt Massenpsychose, Geistigkeit statt Materialschlacht, Kosmopolitismus statt Chauvinismus, Innerlichkeit statt Propaganda – es konnte scheinen, als habe die freischwebende Existenz von früher nun eine konkrete Funktion für Frieden und Versöhnung gewonnen, als sei die soziale und politische Ortlosigkeit vor dem Hintergrund des Weltkrieges mit der Beziehung eines dezidierten Standpunktes identisch.

In Wirklichkeit bleibt, wie auch im Drama Jeremias, der Pazifismus als ausformulierte und persönlich vertretene Programmatik in den Schweizer Jahren schwach. Wichtiger ist dagegen die Rückkehr zur Lebensform des weltbürgerlichen Literaten, die nun erstmals explizit als „jüdische Existenz“ ausgewiesen und idealisiert wird. Die Notwendigkeit, als jüdischer Schriftsteller einen legitimen Ort zu finden, bestimmt zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre Zweigs Biographie, doch wieder kommt es zu einer mehr emotionalen denn politisch bewussten Neuorientierung.

Die allmähliche Distanzierung von der Arbeit im Kriegsarchiv scheint vor allem auf das Gefühl zurückzuführen sein, dass die erwünschte Legitimation der eigenen Existenz hier nicht zu erlangen war. Für einen Gewissenskonflikt oder eine konsequente Kritik jener Inhalte, die Zweig im Auftrag der Militärverwaltung reproduzierte, gibt es keinen Anhaltspunkt. Erst im Frühjahr 1917, als sich die Arbeit am Jeremias bereits dem Ende zuneigte, gelang es Franz Werfel, Zweig mit der Schizophrenie seiner Situation zwischen der Propaganda am Vormittag im Kriegsarchiv und dem künstlerischem Gewissen am Nachmittag zu konfrontieren. Zu dieser Zeit scheint sich Zweig für die Freistellung Werfels vom Frontdienst und seine Übernahme ins Kriegsarchiv verwendet zu haben. Gewissermaßen als Vorgeschmack auf die Arbeit, mit der er es dort zu tun haben würde, hatte er dem Kollegen ein Heft der Zeitschrift Donauland zugeschickt. Werfels Kommentar ist unmissverständlich. Er bezeichnete die Zeitschrift kurzerhand als „Dreck“ und versicherte: „Ich kann bei diesem ekelhaften, talentlosen, äusserlich und innerlich empörend kulturniedrigen Byzantinismus nicht mitmachen.“ In der irrigen Meinung, Zweig sei von Dienst wegen zu der Mitwirkung an der Redaktion verpflichtet, fügte er hinzu: „Liebster Zweig, ich bedaure Sie schrecklich, dass Ihre Stellung Sie zu solchen Kompromissen zwingt.“ Zweig versuchte offenbar in einem nicht erhaltenen Brief seine Tätigkeit zu rechtfertigen, doch Werfel blieb entschieden: „Ihre Auffassung unseres Schicksals verstehe ich durchaus. Nur sehe ich in Ihren Gedanken eine Rettung, der ich selbst unterliege. […] alles ist wertlos ohne Freiheit, selbst das Leiden. […] Es ist kein Grund zum Hochmut da […] Bin […] bis aufs Haar dasselbe Schwein, wie vordem.“

Zweig war von Werfels Rigorismus sichtlich beeindruckt und bewältigte die Irritation, die er vielleicht nach der Auseinandersetzung empfinden mochte, auf seine Weise. „Zweig behauptet, daß außer Werfel und ihm selbst kaum jemand seine absolute Unabhängigkeit gewahrt habe.“ So steht es in Rollands Tagebuch vom 20. November 1917; und die Fortsetzung beweist, dass Zweig den Freund über seine genaue Tätigkeit im Kriegsarchiv wohlweislich im Dunkeln gelassen hatte.

Doch identifizierte sich Zweig nicht nur wegen der bewunderten Aufrichtigkeit mit Werfel. Eine Überlegung zur Sozialpsychologie des jüdischen Großbürgers verbindet ihn zusätzlich mit dem neun Jahre jüngeren Schriftstellerkollegen. In einer Aufzeichnung ebenfalls vom Frühjahr 1917 finden sich die bemerkenswerten Sätze:

Der jüdische Defect in uns ist – das stellt er [Werfel] für mich einleuchtend fest – die Abhängigkeit, die seelisch-geistige von der Familie. Hier müsste unsere Revolution einsetzen, denn von ihr sind wir unbewusst mehr unterdrückt, als vom Staate. Hier die eingewurzelte Bourgeoisie unsere [sic!] Seelen, das falsche Bedürfnis nach Sicherung, die Sorge um unsere Leiblichkeit. Wir klagen uns beide unsere Inconsequenzen an, wie wir doch nicht das Leiden wollen obwohl wir es als den wirklichsten Existenzzustand empfinden.

Auch in dieser Gesprächsaufzeichnung kehrt die für Zweig charakteristische Unentschiedenheit zwischen Einsicht in die eigene soziale Rolle und pathetischem Gestus wieder. Sie bestätigt, dass die Stellung Zweigs im Ersten Weltkrieg sich vor allem als Folge und in Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Identität entscheidet. Mit der Wende von anfänglicher Kriegsbegeisterung zu überzeugtem Pazifismus und mit der Aufteilung von innerer Unabhängigkeit und äußerlicher Anpassung kann Zweigs Biographie zwischen 1914 und 1918 nicht befriedigend erklärt werden, sondern nur, wenn man die Problematik der gesellschaftlichen und ideologischen Legitimation des jüdischen Schriftstellers im Auge behält.

Die Arbeit im Kriegsarchiv hatte Zweigs Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung nicht befriedigen können. Das energisch ergriffene Ethos der Nützlichkeit für die Allgemeinheit lief ins Leere; eine Identität war hier nicht zu gewinnen. Nicht die Ideologie der Kriegspropaganda veranlasste Zweig zum Rückzug aus dem Archiv, sondern die gesellschaftliche Funktionslosigkeit seiner Stellung. Die Suche nach einer überzeugenderen Legitimation als Schriftsteller führte dann zu einer ideellen Konzeption der Existenz: zunächst zum Judentum – nicht als sozialer und politischer, sondern als geistiger Größe; dann zur moralischen Aufgabe des Dichters – nicht als öffentliches Engagement, sondern als innere Wahrhaftigkeit. So führte die Besinnung auf die soziale und ideologische Identität zu Innerlichkeit und Zweckfreiheit, wie einem Brief an Schnitzler zu entnehmen ist: „Es ist meine erste wirkliche Arbeit“, schreibt Zweig am 25. September 1916 über Jeremias, „die erste, die ich innerlich ganz anerkenne, weil sie über das Mass meines Willens so hinausgewachsen ist, weil sie – wohl aussichtslos in jedem zweckdienlichen Sinne – mir die ganzen inneren Probleme der Zeit und meines persönlichen Erlebens erlösend aufgelöst hat. Es war in den letzten acht Monaten die innerlichste Zwiesprache, die ich führen konnte, besser als mit allen Menschen.“

Die hier beschworenen Werte der Zweckfreiheit und Innerlichkeit sind das Gegenteil des Dienstes an der Allgemeinheit, zu dem Zweig im August 1914 beitragen wollte. Doch führte paradox gerade die Emphase des Individuellen und des Geistes Zweig zur allgemeinen Wirkung; mit seinen Biographien und Essays erreichte er nach dem Weltkrieg die Massen. Der buchhändlerische und finanzielle Erfolg, der „Ruhm“, den Zweig gleichzeitig entschieden verleugnete und sichtlich genoss, schien den jüdischen Schriftsteller jeder Sorge um Sicherheit und soziale Legitimation zu entheben. Das Konzept des geistigen Weltbürgertums, das sich demonstrativ über jede Nation, Konfession, Klasse oder Partei stellte, schien aufzugehen. Doch noch ein zweites Mal musste Zweig den Zusammenbruch seiner vermeintlich erhabenen Position unter dem Druck der historischen Ereignisse erleben. Im Ersten Weltkrieg konnte er die Gemeinschaft der Intellektuellen in der neutralen Schweiz und die jüdische Diaspora als kulturelles Weltbürgertum noch idealisieren. Für die Heimatlosigkeit des Juden während der totalen Herrschaft des Nationalsozialismus fand der Verkünder des geistigen Triumphes in allem Leiden dann keinen positiven Ausdruck mehr.

Der Aufsatz erschien unter dem Titel „Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg“ zuerst in dem Buch: „Krieg der Geister“. Erster Weltkrieg und literarische Moderne. Hg. von Uwe Schneider und Andreas Schumann. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. S. 263-291. Wir danken Bettina Hey‘l  für die Publikationsgenehmigung. Eine vollständige Fassung des Beitrages mit Zitatbelegen und Fußnoten ist Online-Abonnenten von literaturkritik.de als pdf-Datei hier zugänglich.