Ich werde ohne dich leben, bis ich sterbe

„Auch das wird vergehen“: Milena Busquets Kammerspiel von Liebe und Trennungen

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Verlust eines geliebten Menschen – ob durch den Tod oder eine schmerzhafte Trennung – reißt tiefe Wunden in die Seele. Gefährlich kann der Fall in den bodenlosen Abgrund der Trauer sein. Milena Busquets behauptet „Auch das wird vergehen“, so lautet zumindest der Titel ihres neuen Romans, in dem die 40-jährige Erzählerin Blanca nach dem Tod ihrer Mutter auf den Sommerfamiliensitz ihrer Familie im kleinen spanischen Fischerdorf Cadaqués fährt, um wieder ins Leben zurückzufinden. Für die hedonistische Blanca ist der Weg zurück zu Freude und Leidenschaft, zurück ins Leben verbunden mit den Männern, die in der Vergangenheit ihre Partner gewesen sind. Sie lädt ihre beiden Exmänner auf den Familiensitz ein und trifft einen alten Schulfreund sowie ihren Geliebten wieder, der eigentlich mit einer anderen Frau verheiratet ist. Aber auch ihre Freundinnen und ihre eigenen Kinder sind dabei. So entwickelt sich in der Sommeridylle am Meer ein Kammerspiel der Liebe, Trennung, Trauer und Hoffnung.

„Tonnenschwer“ wiegt die Trauer nach der Beerdigung der Mutter auf Blancas Herzen, sie kann ihren Blick kaum vom Boden lösen. „Ich trage ein Jaulen in mir, es lässt mich bei Tag für gewöhnlich in Frieden, aber nachts“ erwacht es und „zerkratzt mir die Brust, verklemmt meinen Kiefer, hämmert gegen meine Schläfen“. Unter den gleichen Symptomen leidet sie in der Gegenwart ihrer Männer, ihrer ehemaligen und derzeitigen Partner. „Ich bin nicht gemacht für die Traurigkeit. Oder vielleicht doch, vielleicht […] ist sie jetzt das einzige Kleid in meiner Größe“, sinniert Blanca, trinkt viel Alkohol und raucht Joints, ohne verdrängen zu können, dass die Trümmer ihrer Beziehungen nach dem Tod ihrer Mutter noch deutlicher zutage treten. Sie fürchtet den „krank machenden Charakter des Alleinseins“ und sucht Zerstreuung und Geborgenheit im Sex. Trinkend, rauchend und den Sex genießend erinnert sie sich immer wieder daran, dass sie lebt.

„Auch das wird vergehen“ ist mehr als ein Roman über den Umgang mit der Traurigkeit. Busquets hat eine tiefenphänomenologische Studie über die Sicht des Weiblichen auf das Männliche und insbesondere auf die Liebe geschrieben. Komplizierte Gefühlszusammenhänge werden – manchmal heiter und humoristisch, manchmal sehr nachdenklich – auf einfache Phänomene zurückgeführt und anhand der Partner Blancas verdeutlicht: Jeder, vom schlaksigen, jungenhaften Romantiker bis zum gebräunten, behaarten Lover mit Wolfshänden, entspricht einem anderen Phänotyp. Der romantischen Vorstellung der „meisten Frauen der Erde“, dass aus der Liebe eine unvergängliche Bindung zwischen zwei Menschen entsteht, erteilt sie nach ihren eigenen Erfahrungen, aber sicherlich auch angesichts steigender Trennungszahlen im 21. Jahrhundert, eine zugleich strenge wie auch augenzwinkernde Absage: „Die Männer und einige kluge Frauen wissen, dass auch Arbeit, Ehrgeiz, Anstrengung und Neugier uns erretten.“ An anderer Stelle lenkt Blanca wieder ein: „Die meisten Lieben halten entweder zwei Monate oder ein Leben lang“. Die lebenslange Liebe bedeutet für sie jedoch nicht, dass auch die Partnerschaften bestehen bleiben. In Freundschaft verbunden scheinen ihre Exmänner problemlos mit der Enge im Fischerdorf Cadaqués umgehen zu können. Sie umwerben Blanca, obwohl sie wissen, dass es keine Fortsetzung der längst vergangenen Beziehung geben wird. Sie können nicht mit der dauerhaften Trennung von einem geliebten Menschen leben. Über das Verhältnis zu einem ihrer Exmänner, Guillem, sagt sie: „Ich liebe ihn, aber ich habe ihn von meiner Liebe befreit. […] Auf eine Liebe zu verzichten ist nie einfach, einerlei, von wem sie kommt“.

Ist es wirklich so einfach? Das geradezu kitschige Bild der in Freundschaft verbundenen Liebenden wird geschickt demontiert. Blancas zweiter Ex-Ehemann hängt „noch immer an meinen Ketten – und ich an seinen“. Manche Dinge sind für immer verloren. Blanca betont: „Ich glaube sogar, dass wir mehr das sind, was wir verloren haben, als das, was wir besitzen“. Der Tod der Mutter ist zwar der Auslöser für die Traurigkeit der Protagonistin, ihr von Verlusten, bedeutungslosem Sex und der Affäre mit einem verheirateten Mann bestimmtes Leben im emotionalen Wirbelsturm – auf der Suche nach wahrer Liebe, die ihr verweigert wird – ist aber die eigentliche Tragödie: „Ich werde immer da sein, du verlierst mich nicht“, versichert einer der früheren Ehemänner und verbringt zugleich die Zeit mit und neben Blanca „in heiterer Stimmung mit dem Verschicken und Empfangen von Nachrichten“. Er fährt schließlich zu seiner neuen Freundin. Und erschien ihr Santi, der mit ihr Fremdgehende, zunächst als begehrenswertes Lustobjekt, das ihr ausreichende Befriedigung verschaffte, ändert sich die Sicht plötzlich auf ihn, als der Sex zu kurz kommt und ihr Körper „verdrossen“ zurückgelassen wird. Sie sieht seine „nikotinfleckigen Zähne“ und stellt verwundert fest: „Nicht, dass der Mann, den ich vor mir habe, hässlich wäre, im Gegenteil, aber er […] ist kein Ganzes mehr, ist nur noch eine Ansammlung von Vorzügen und Unzulänglichkeiten“. Sie findet keinen Halt, auch nicht in ihren eigenen Kindern, die nur eine erschreckend unbedeutende Nebenrolle im Roman spielen. Die Tragödie im Leben besteht nicht darin, dass wir sterben, sondern dass wir aufhören, zu lieben: „Ohne ein Minimum an Liebe und Körperkontakt kann […] niemand leben. Wird die Dosis unterschritten, verrotten wir.“

Milena Busquets hat mit „Auch das wird vergehen“ einen internationalen Bestseller geschrieben. Es ist ihr erstes Buch, das auch in deutscher Übersetzung erscheint. Weshalb es in mehreren Ländern schon große Erfolge feiern durfte, ist leicht zu begründen: Die Autorin trifft mit einfacher Sprache genau die Wunden der modernen gebildeten Enddreißiger, deren Beziehungen vom Beginn des Berufslebens nach acht bis zehn Jahren an verschiedenen Karrierewegen, divergierenden Zielen oder schlicht der Gewohnheit zerbrachen, und die nun nach dem Sinn im Leben suchen. Von einer 40-jährigen Frau wird erwartet, dass sie ihr Leben im Griff hat und erwachsen ist. Blanca ist es nicht – sie sehnt sich zurück in unbeschwerte Zeiten ohne Verpflichtungen. Insgeheim wünschen sich dies vermutlich die meisten, die heute in Großraumbüros sitzen und vom Kalender gefesselt werden, die sich eingeengt fühlen von Familie und Gewohntem. Die Suche nach dem Sinn im Leben geht einher mit dem Drang nach Freiheit, nach frischer Luft. Milena Busquets‘ sinnlicher, leichter und intensiver Roman fängt diesen Drang ein. Hier trifft der Leser auf eine Erzählerin, deren Leben ungeordnet ist. Mit ihr werden sich viele identifizieren können, die sich einsam, von Erwartungen überfordert und verloren fühlen. Die Nähe der Autorin zu den Problemen ihrer Leserschaft ist sicherlich auch damit zu begründen, dass es sich bei „Auch das wird vergehen“ um ein in den Grundzügen autobiografisches Buch handelt. Im Epilog erklärt die Autorin, dass Schmerz und Kummer nicht so vergehen wie die Begeisterung und das Glück. Orte der Kindheit und Jugend gehen verloren, und der Tod hat ihre Mutter unwiederbringlich geraubt: „Ich werde ohne dich leben, bis ich sterbe.“

Titelbild

Milena Busquets: Auch das wird vergehen. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
170 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518425275

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