Wie kann man Zeit sichtbar machen?

Daniel Rosenberg und Anthony Grafton zeigen, dass es mehr als nur Zeitleisten gibt

Von Marc-André KarpienskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc-André Karpienski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche Dinge erscheinen alltäglich, ja schon natürlich und entziehen sich damit leicht einer reflektierten Betrachtungsweise. Das Buch Die Zeit in Karten von Daniel Rosenberg und Anthony Grafton widmet sich solch einem Phänomen. Man muss den beiden Autoren danken, dass sie die Darstellung von Zeitabläufen aus der Sphäre des Alltäglichen geholt haben, um über ihre Entwicklungen und Ausformungen zu informieren und damit auch zu unterhalten.

In ihrem Buch geht es um die Abbildung historischer Chronologie von der Vormoderne bis ins 20. Jahrhundert und damit um die Entstehungsbedingungen moderner Formen der visuellen Darstellung von Zeit. So ist zum Beispiel der heute allgegenwärtige Zeitstrahl, den die Autoren als Aufhänger für ihre Überlegungen nutzen, erst ein spätes Produkt einer langen Reihe von Versuchen, Zeitverläufe übersichtlich und nachvollziehbar darzustellen. Wir Menschen scheinen danach zu verlangen, linear gedachte Zeit auch räumlich linear visualisieren zu wollen. Da ist es vielleicht auch kein Wunder, wenn Zeitvorstellungen mit Raumbegriffen zum Ausdruck gebracht werden, wie beispielsweise Relationen mit vor und nach oder die Charakterisierung von Zeitspannen mit den Begriffen kurz und lang.

Hierbei ist das vorliegende Werk kein umfassendes Kompendium, sondern ein perspektivischer Blick mit vielen ausführlich vorgestellten Beispielen. Man verliert sich leicht zwischen den zahlreichen Abbildungen und bewundert die vielen Versuche, Entwicklungen und Abläufe übersichtlich darzustellen. Hilfreich sind dabei die detaillierten Kommentierungen der Abbildungen, so dass man sich auch abseits des Fließtextes hinreichend informieren kann. Durch die Auswahl der Zeitdarstellungen geraten hauptsächlich westliche Vorstellungen von Geschichte in den Blick. Dies ist in Hinblick auf die notwendige Einschränkung verständlich, aber die Neugier nach interkulturellen Vergleichen wird dabei nur punktuell gestillt.

Überhaupt sind die sehr zahlreichen und zum Teil großformatigen Abbildungen ein großer Pluspunkt dieses Bandes. Durchgehend farbig und in guter Qualität kann man die ausgewählten Beispiele studieren. Manche Darstellungen sind zu klein, um die darin eingeschriebenen Texte lesen zu können, was aber auch nicht überrascht, da manch ein Original bis zu zwölf Meter groß ist und nun die Reproduktion auf eine Doppelseite passen soll. Was bei diesen stark verkleinerten Abbildungen jedoch immer gelingt, ist die Erlangung eines Eindrucks der Struktur der Darstellung, was für das Verständnis der im Text vorgebrachten Argumentation vollkommen ausreicht.

In acht Kapiteln beleuchten Grafton und Rosenberg die Darstellung von Zeit von antiken Anfängen, über mittelalterliche annalistische Zeittafeln hin zu kunstvollen Schaubildern der Neuzeit, die den Strom der Zeit verständlich machen sollen, aber zum Verstehen fast schon ein eigenes Studium erfordern. Stammbäume, Kalender, Tabellen, Raster, Ablauf-, Kreis-, Linien-, Strom-, Wellen- und andere Diagramme, allegorische Bilder und Karten mit chronographischen Informationen, Schriftrollen, Spiele und viele andere künstlerische Visualisierungen werden vorgestellt und Entwicklungen und Neuerungen, Vorbilder und Nachahmer in Bezug gesetzt. Trotz der Vielgestaltigkeit der Zeitdarstellungen gelingt es den Autoren mustergültig Zusammenhänge herzustellen und das bunte Chaos für den Leser zu entwirren. Es macht sogar Spaß, den Autoren zu folgen in ihrem Blick auf die Wandlungen in der Darstellung von Zeit. Auch in der deutschen Übersetzung dieses ursprünglich englischsprachigen Werkes liest man zügig und mit Genuss von einzelnen Gelehrten und ihren Visualisierungsversuchen. Die Autoren streuen dann und wann auch mal persönliche Wertungen ein, denen man gerne folgen mag. Ob allerdings die behauptete Breitenwirkung des Thesaurus Chronologiae des Johann Heinrich Alsted so groß war wie behauptet (Anstoß zum englischen Bürgerkrieg), kann man auch mangels eines bibliographischen Nachweises nicht unbedingt nachvollziehen. Hier und an anderer Stelle hätte der Wissenschaftler sich weitere Nachweise gewünscht.

Persönlich muss ich anmerken, dass ich den Titel der deutschsprachigen Ausgabe etwas irreführend finde. Die Zeit in Karten irritiert und macht neugierig, aber trifft inhaltlich nicht gänzlich zu, außer man hat ein sehr weites Verständnis von Karten. Die Begriffe Schaubild oder Grafik hätten besser zum Inhalt gepasst. Man merkt allerdings die Anlehnung an den Originaltitel, Cartographies of Time. A History of the Timeline, in dem zumindest der Untertitel eine nähere Erläuterung bietet, während der deutsche Untertitell eher verunklärend wirkt.

Nun findet diese Buchbesprechung hier ein Ende, denn der Autor zieht es jetzt vor, einige Visualisierungen der Zeit in diesem Werk erneut zu studieren. Wenn eine Sache als Fazit genannt werden kann, dann diese: Das Buch lädt immer wieder von Neuem ein zum Lesen, Schauen und Bewundern.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Daniel Rosenberg / Anthony Grafton: Die Zeit in Karten. Eine Bilderreise durch die Geschichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Cornelius Hartz.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2015.
304 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783805349369

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