Wenn die Natur nicht mitspielt

Gertraud Klemm durchleuchtet in „Muttergehäuse“ Kinderwunsch und Adoptionshürden

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Auftritt der österreichischen Autorin Gertraud Klemm beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt im Sommer 2014 dürfte vielen noch in Erinnerung sein. Mit ungewohnter Schärfe skizzierte sie den düsteren Alltag einer Frau, die sich gefangen sieht in der Rolle der Mutter und die davon träumt, das schreiende Baby einfach mal fallen zu lassen, um endlich Ruhe zu haben und schlafen zu können. Vor allem die Mehrheit der männlichen Juroren fühlte sich offensichtlich angegriffen und reagierte sehr emotional – einmal mehr war vom rational denkenden und argumentierenden Mann nicht mehr viel zu sehen. Radikalität attestierte Daniela Strigl damals dem Text, radikal ist auch der neuste Roman von Klemm mit dem Titel „Muttergehäuse“.

Die 1971 in Wien geborene Autorin, die Biologie studiert hat und seit 2006 als freie Autorin arbeitet, erzählt vom Kinderwunsch, von den bürokratischen Hürden und vom Leben mit dem Kind. Die Ich-Erzählerin im Roman, die viele Gemeinsamkeiten mit der Autorin aufweist, wie sie anlässlich einer Lesung auf der Leipziger Buchmesse 2016 erzählte, will ein Kind. Auch ihr Mann ist mit dabei, doch es klappt nicht. Sie wird nicht schwanger. In ihrem Freundinnenkreis fühlt sie sich zunehmend ausgeschlossen, denn gefühlt alle Frauen um sie herum sind schwanger oder haben gerade die Geburt hinter sich. In Gesprächen geht es nur noch um das Kind; für die Kinderlose wird so der Alltag zur Tortur. Die Ich-Erzählerin ist eine gnadenlose Beobachterin und weit davon entfernt, den Zustand der Schwangerschaft, die Geburt oder die Zeit danach mit dem Baby zu verherrlichen. Doch trotzdem will sie selber ein Kind, nicht um dazuzugehören, auch nicht, um ‚normal‘ zu sein. Der Kinderwunsch scheint vielmehr etwas zu sein, das sich rational nicht erklären lässt.

Wie Gertraud Klemm diese Widersprüchlichkeit funkeln lässt, ist faszinierend. Radikal und direkt sticht sie dort hinein, wo genaues Hinsehen nicht angebracht ist. Die Ich-Erzählerin seziert ihren Wunsch, stellt ihr Leben als Nicht-Schwangere, Nicht-Gebärende, Nicht-Mutter jenem der Schwangeren, Gebärenden, Mutter entgegen, sieht ihre Unabhängigkeit als Vorteil und will trotzdem ein Kind. Sie zieht sich zurück, erträgt die anderen Frauen mit ihren Bäuchen nicht mehr, fühlt sich angegriffen von den Gesprächen, die sich nur um das Eine drehen, stellt fest, dass ihr Mann andere Interessen und Bedürfnisse entwickelt als sie. So ist er gerne unter Menschen und will sich nicht abschotten. Trotzig und unbarmherzig setzt sich diese Frau sich selbst aus und kommt zu dem Schluss, dass sie handeln muss, dass sie ein Kind will, und wenn es nicht ‚natürlich‘ geht, dann halt anders. Auf einer Reise nach Afrika findet das Paar das Lachen wieder und entscheidet sich für eine Adoption.

Damit beginnt nach dem ersten Teil des Romans, überschrieben mit „Mutter“, der zweite, „Papier“. Er könnte auch mit „Hürdenlauf“ überschrieben sein. Über allem steht die Gewissheit, dass zwar jede Frau, die schwanger wird und ein Kind gebärt, automatisch auch Mutter sein kann. Nicht so jedoch die Frau, die kein Kind bekommen kann und eines adoptieren will. Da muss abgeklärt und geprüft werden.

Ich bin von Heiligen umzingelt, die das Leben bejubeln. Natürlich kann auch etwas schiefgehen, wenn man seine Kinder ‚normal‘ bekommt. Aber man ist guter Hoffnung und sieht nur die Vorderseite. Ich sehe, was alles schiefgeht. Ich sehe Kinder mit kariesschwarzen Zähnen. Ich sehe saufende Väter und Mütter, die ihre Kinder vernachlässigen. Ich sehe Kinder, die weinen, weil ihre Mütter sie anschreien und am Arm reißen. Ich sehe Väter, die lieber Söhne gehabt hätten und ihre Töchter verachten. Ich sehe Mütter, die genervt die Augen verdrehen und ihre Kleinkinder stundenlang vor dem Fernseher parken. Ich sehe hochschwangere Frauen vor dem Kindergarten rauchen. Ich sehe Kindern zu, wie sie ihre Eltern beim täglichen Einander-Hassen beobachten. Ich sehe Kindern beim Traumatisiert-Werden zu. Das ist alles zulässig, denn diese Leute haben ein Recht darauf, ihre Kinder zu zerstören, weil sie sie geschaffen haben.

Sie aber, die Ich-Erzählerin und ihr Mann, die ein Kind adoptieren wollen, müssen sich peinlichen Verhören unterziehen und endlose Fragebögen ausfüllen. Als sie auch noch erzählen, dass sie ein Kind aus Afrika adoptieren wollen, werden sie mit guten Ratschlägen überschüttet. Die Protagonistin ist stark, hält durch und den Kopf oben. Als sie im drittenTeil des Romans ein fünfmonatiges Baby in die Arme gedrückt bekommt, überwiegen für einen kurzen Moment die Zweifel: „Jede Afrikanerin in diesem Land passt besser zu dem Kind als ich, denke ich.“ Dann lässt sie sich auf den kleinen Erdenbürger ein, legt die Baby-Ratgeber zur Seite und stellt fest: „Es ist gar nicht so schwer.“

Gertraud Klemm legt mit „Muttergehäuse“einen eindrucksvollen Roman vor, in dem sie radikal und scharf Mutterschaft und Adoption ausleuchtet. Hier geht es um eine Auseinandersetzung mit Fragen rund um Norm, Normalität, Rollenerwartungen, Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit. Schonungslos und hart erzählt sie Fakten – eine Erzählweise, die Emotionen nicht benennt, sondern erfahren lässt. Diese Sprache, stark in den Bildern und im Rhythmus, zieht mit und – obwohl nüchtern und schnell – fängt sie gerade die Gefühle direkt und ohne Umschweife ein. Einen Gegenpol zur Geschichte als solcher bilden die Träume, die den ganzen Text begleiten. Sie zeigen die Protagonistin ungeschützt, was eigentlich für den gesamten Roman zutrifft, in den Träumen jedoch begegnen wir ihr als Leserinnen und Leser nochmals auf ganz andere Art und Weise. Die Träume offenbaren Wünsche, Ängste, Haltungen, die die Frau in dieser Form nie aussprechen würde, die jedoch da sind, in ihr drin, und ihr Handeln und Denken ebenfalls beeinflussen. Und wer die Träume als eigenen Text liest, erfährt eine andere, eine zusätzliche Geschichte.

Titelbild

Gertraud Klemm: Muttergehäuse.
Kremayr & Scheriau Verlag, Wien 2016.
160 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783218010238

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