Horch, was kommt von draußen rein

Owen Sheers Roman „I Saw a Man“ verspricht Spannung und subtilen Horror

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michael ist ein alleinstehender Mann, der gerade nach London gezogen ist und sich innerhalb kürzester Zeit mit der Nachbarsfamilie anfreundet. Schon bald geht er täglich bei den Nelsons ein und aus und wird zu einem Vertrauten für alle Familienmitglieder – für Josh und Samantha ebenso wie für ihre beiden Töchter. Der Roman „I Saw a Man“ des in Fidschi geborenen Autors Owen Sheers spielt mit dem Verhältnis von Michael und der Familie Nelson, das als so harmonisch geschildert wird, dass unweigerlich Zweifel aufkommen: Was führt Michael im Schilde? Hat er eine Affäre mit Samantha, mit Josh – oder gar mit beiden? Oder plant er ein Verbrechen und spioniert deshalb die Familie aus?

Gekonnt legt Sheers eine Reihe falscher Fährten, die alle um einen ganz bestimmten Moment kreisen: Den Tag, an dem die Hintertür des Hauses der Familie Nelson offensteht. Michael, der eigentlich nur ein geliehenes Werkzeug zurückbringen will, wird sofort stutzig und kann sich erst nach einigem Zögern überwinden, das Haus zu betreten. Mit einem Mal erscheint ihm die vertraute Umgebung verändert und tatsächlich stehen ihm Ereignisse bevor, die man nicht vorhersehen kann. Daher soll nicht mehr verraten werden, als dass Michael das Haus vollkommen entsetzt wieder verlassen wird, denn die Auflösung des Rätsels, was in der Zwischenzeit geschehen ist, ist der zentrale Plot des Romans.

„I Saw am Man“ ist ohne Frage spannend konstruiert und erzählt überzeugend die Geschichte von dem einen Augenblick, der das Leben mehrerer Menschen für immer verändern wird. Die Mixtur, die Sheers dazu anrührt, ist eine Mischung aus Kriminalroman und Mysterythriller, gewürzt mit Einflüssen aus Filmen (etwa „The Butterfly Effect“) und TV-Serien (beispielsweise „Homeland“). Die Stärke des Romans ist eindeutig die gute Idee dahinter, denn sprachlich verliert der Text sich allzu oft in Klischees: So ist beispielweise wiederholt von den wie „Katzengold“ funkelnden Augen der Geliebten die Rede, die als „Lockmittel für Männer“ fungieren. Da werden verschüttet geglaubte Erinnerungen an Romane von Johannes Mario Simmel wach und das ist sicher nicht im Sinne des Autors beziehungsweise des Übersetzers. Ästhetische Höhenflüge sollte man von „I Saw a Man“ also nicht erwarten – hochaktuelle Spannung aber ist garantiert.

Titelbild

Owen Sheers: I Saw a Man. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Mohr.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016.
301 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421046697

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