Das Buch zur Platte (zum Tee)
Anmerkungen zur Wiederkehr des Tonträgers Vinyl-Lp
Von Christian Jäger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon vor dem Ersten Weltkrieg becircte – zumindest literarisch – der erste DJ die Damenwelt: Hans Castorp im Zauberberg, dessen erzählte Zeit Thomas Mann im Jahre 1907 einsetzen lässt. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten sich zunächst die Schellackplatten und traten ihren Siegeszug um den Globus an, der mit dem Wechsel zum Vinyl schließlich an seine Grenze stieß. Erst zu Beginn der 1990er Jahre wurde das Ende der Schallplatte ausgerufen, die auch tatsächlich den Rückzug aus den Geschäften antrat, an deren Stelle dann die kleinen Silberlinge einzogen. Und auch deren Ende wird nun auch schon seit einigen Jahren erfolglos ausgerufen. Es war der Siegeszug der Digitalisierung, den die CDs im Bereich der Speichermedien einleiteten, wohingegen die LPs – ebenso wie die Magnetbänder der Kassetten – noch dem Bereich des Analogen zugehörten. (Heutzutage hat sich dies auch für die LP-Produktion verändert, denn mittlerweile werden meist digital produzierte Songs auf eine Matrize übersetzt, um damit die Platte zu pressen, die ihrerseits dann wieder einen anlogen Sound erzeugt). Und kurz, sehr kurz, sah es so aus, als würde auch die elektronische Musik (House, Techno) nun die Welt des Gitarrenrock übertrumpfen. Schon Nirvana belehrten einen rasch eines Besseren; Grunge und Brit-Pop setzten alte Songstrukturen wieder in ihr Recht.
Nun, mehr als zwei Dekaden später, erleben wir die Rückkehr eines einst abgeschriebenen Mediums – als wir schon glaubten, die Songs würden demnächst nur noch als files im Web kursieren. Selbst die Discounter des Musikvertriebs räumen nunmehr dem Vinyl wieder großzügig Regale ein, und die Kapazitäten der Presswerke sind teilweise für Monate ausgebucht. Dieses erstaunliche Phänomen, die Wiederkehr eines vermeintlich veralteten Speichermediums, umkreisen in dem Band Plattenkisten. Exkursionen in die Vinylkultur Texte, deren Beiträger aus dem gesamten Vinylkosmos stammen: Label-Inhaber, Mailorder-Betreiber, DJs, Besitzer von Secondhand- oder Indie-Plattenläden, Filialleiter besagter Discounter, Presswerk-Leiter, Musiker, Produzenten, Mitarbeiter des hoch-offiziellen Deutschen Musikarchivs in Leipzig sowie des Klaus-Kuhnke-Archivs in Bremen, das eher für Gegen- und Alternativkultur steht – zu den bekannteren zählen Thurston Moore, der früher ein Mitglied bei Sonic Youth war, sowie der DJ und Publizist Hans Nieswandt. Was die Mehrzahl der Beiträge gemeinsam hat, ist ihr Insistieren auf einem besonderen Hörerlebnis, das mit der Schallplatte verbunden sei. Niemand spricht sich absolut gegen die CDs aus, vielmehr wird ihnen ihre Berechtigung – und ein nach wie vor hoher kommerzieller Nutzen – attestiert. Es handelt sich mehrheitlich um Erfahrungs- respektive Erlebnisberichte nicht theoriegeleiteter Menschen, so dass eher atmosphärisch die Wiederkehr der Schallplatte umkreist wird, anstatt dass eine Analyse der Bedeutung dieses Phänomens stattfände. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die am Anfang jedes Beitrags abgebildeten, ganzseitigen Porträts jedes einzelnen Autors, deren Funktion darin zu bestehen scheint, dessen Arbeitsbereich exemplarisch und bildlich zu erfassen. Jeder Beitrag endet mit einer Liste der Platten, die dem Beiträger äußerst wichtig sind.
Das Buch hat ein quadratisches Format und erinnert darin an EPs, das eigenartige Zwischenformat zwischen Single und LP, das im Durchmesser 10 Inch statt der sonst üblichen 7 oder 12 Inch maß und mit 33 Umdrehungen pro Minute lief. Ein Buch, das mehr zum Denken anregt, als dass man dort Theorien vorfände: für Freunde des Vinyls ein hoffnungsfrohes Stärkungsmittel, für andere eher ein Coffeetable-Produkt, in dem man hin und wieder blättern mag.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen