Bismarck mit Kohl-Maske

Stephanie Barts ironischer Blick auf Kunst und Gesellschaft zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung

Von Jan-Arne MentkenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan-Arne Mentken

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mai des Jahres 2015 montierten Künstler einen Steinbock auf dem Bismarck-Denkmal in Hamburg und haben damit, wie sie selbst urteilten, den „Bismarck-Kult […] ironisch und subversiv unterwandert“. Wesentlich subversiver hingegen ist der Fall, den Stephanie Bart in ihrem Debüt-Roman schildert: Am Tage der Wiedervereinigung montierten Unbekannte eine Maske mit dem karikierten Gesicht Helmut Kohls am Kopf des schon beinahe mythischen Reichsgründers Bismarck. Die teils realen, teils fiktiven Gegebenheiten rund um diesen Fall werden zum Thema im Roman Goodbye Bismarck.

Bereits 2009 veröffentlichte die studierte Ethnologin und Politikwissenschaftlerin Stephanie Bart den Text beim Plöttner Verlag in Leipzig. Anschließend erhielt sie zweimal das Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2011 & 2012), welches sie nutzte, um 2014 ihren zweiten Roman Deutscher Meister zu veröffentlichen. Als dessen Resonanz ungemein größer war, wurde Goodbye Bismarck 2015 bei Hoffmann und Campe als Taschenbuch neu aufgelegt.

Stephanie Bart rekonstruiert in ihrem Roman den wahren Vorfall, der nach kurzem und intensivem medialen Echo schnell wieder in Vergessenheit geriet: Ulrich Held – einer der beiden Protagonisten – stammt aus wohlhabender Familie und ist Sohn eines Universitätsprofessors, gegen den er von früh an rebelliert. Um 1990 betreibt er einen Fahrradladen in Hamburg und ist genauso bürgerlich geworden wie sein ehemaliger Schulfreund Jens Dikupp, der mittlerweile als Tischler arbeitet, jedoch immer noch Kontakte zur alternativen Szene pflegt. Gemeinsam haben die beiden mit einigen Freunden vor vielen Jahren bei einem CSU-Parteitag drei rote Schilder mit der Aufschrift „So ist es“ hochgehalten. Die Anwesenden reagierten seinerzeit außerordentlich aggressiv, sodass einige der beteiligten Freunde sogar festgenommen wurden. Viele Jahre später fassen die beiden aus einer Laune heraus – und begünstigt durch verschiedene Zufälle – den Plan, dem Bismarck-Denkmal am Tag der Wiedervereinigung eine Helmut-Kohl-Maske aufzustülpen. Als dieser Tag gekommen ist, krönen sie die Aktion schließlich mit einem zitatreichen Bekennerschreiben vom „Kommando Heiner Geißler“.

Dieser Gruppe gegenüber steht Erich Huld, ein Kunstliebhaber und städtischer Denkmalspfleger. Er wird damit beauftragt, die Maske zu entfernen, was aufgrund der Höhe des Denkmals sowie des Unwillens einiger Beteiligten, Hulds inklusive, einige Tage dauert. Ebenfalls für die Entfernung der Maske verantwortlich ist der Polizeimeister Höllenschmidt, der mit karikaturistischen Zügen den konservativen, trockenen Gegenpart zu Ulrich Held und Jens Dikupp bildet: „Keinen Respekt vor nichts haben die, und was das wieder den Steuerzahler kostet.“

Die Autorin arbeitet auf verschiedenen Zeitebenen, die sie gekonnt miteinander in Verbindung setzt: Ein Zeitstrang stellt die Vorgeschichte der Kunstaktion von der Idee bis zur Umsetzung dar, während ein weiterer mit der Entdeckung der Maske auf Bismarcks Haupt beginnt und den langwierigen Versuch ihrer Entfernung beschreibt. Diese Struktur der scheinbar klaren Geschichte lässt zudem eine gelungene Überraschung am Ende zu, welche die Ironie des Romans noch einmal unterstreicht. Geschickt kombiniert zeigen die verschiedenen Ebenen auf der einen Seite die zum Teil wenig reflektierte Herangehensweise der beiden Männer, die kaum ein Wort über die mögliche Interpretation ihres Kunstwerks verlieren. Auf der anderen Seite wird der Maske selbst viel Bedeutung beigemessen und Aufmerksamkeit zuteil. Allein der sprachliche Stil des Romans steht hinter dessen klugem Aufbau zurück und weist nur dann besondere Höhepunkte auf, wenn er karikaturistisch-ironische Züge annimmt.

Ebenfalls nicht ohne ironische Untertöne fällt die Behandlung kunsttheoretischer Themen aus, indem etwa ausführlich die Vorgeschichte des Beamten Erich Huld und dessen erster Kontakt zur Performance-Kunst beschrieben werden. Und auch zur Kohl-Maske auf dem Bismarck-Denkmal liefert Huld erste interpretatorische Ansätze sowie humorvolle Wortspiele, indem er die Künstler Bismarck „auf der Nase herumtanzen“ lässt. So ist Erich Huld, dessen Name den Gegenspieler Ulrich Helds suggeriert, diesem gar nicht einmal so unähnlich, obwohl er strikt gegen ihn arbeiten und die Entfernung der Maske vorantreiben sollte. Der Roman vermeidet es dennoch geschickt, bei der Bewertung der Kunstaktion sowie über die Wiedervereinigung im Allgemeinen eine politische Aussage zu treffen.

Es geht auf mehreren Ebenen um das Thema der Vergänglichkeit, wie der den Roman abschließende Verlust digitalisierter Daten unterstreicht. Die Maske durfte trotz mehrfachen Boykotts nur wenige Tage an ihrem Platz bleiben, wohingegen das Bismarck-Denkmal seit Anfang des letzten Jahrhunderts an seinem Platz steht. Beide Varianten sind Kunst, wobei die moderne, ironisierende Aktionskunst die konservativere Kunst eines mit Bismarck assoziierten Deutschlandbildes – trotz der Sympathien – nicht ersetzen kann. So impliziert die Vergänglichkeit auch eine Art Beschleunigung der Welt. Die lokalen und regionalen Medien stürzen sich auf diese Story, bevor sie nach der außerordentlich inszenierten Entfernung der Maske, inklusive musikalischer Untermalung durch ein Orchester, das Interesse verlieren und der Vorfall so lange vergessen bleibt, bis Stephanie Bart sich ihm in literarischer Form annimmt.

Den Umgang mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung hat der Roman mit dem bewusst titelähnlichen Film Good Bye, Lenin! (2003) gemein. Von der konkreten Situation und der Erzählweise hingegen fühlt man sich vielmehr an Sven Regeners Herr Lehmann (2001) erinnert, der nicht die Wiedervereinigung, sondern den Mauerfall auf eine ganz besondere Weise erlebt. In Barts Roman werden hingegen verschiedene Perspektiven auf die Kunstaktion geschildert, die dem eigentlichen geschichtlichen Kontext nur eine Rolle im Hintergrund überlassen und dem/der Leser/in die Interpretation bewusst nicht vorwegnehmen.

Goodbye Bismarck ist ein kurzweiliges, ironisch-humorvolles Stück über den Umgang der Gesellschaft mit Kunst. Durch die Nutzung verschiedener Zeitebenen gelingt es dem neu aufgelegten Debüt, einen umfassenden Blick auf die Planung, Durchführung und Rezeption dieser einzigartigen und bis vor Kurzem vergessenen Kunstaktion zu werfen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Stephanie Bart: Goodbye Bismarck. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
224 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783455650594

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch