Krauße Gedanken
Ein von Marion Gees und Anke Bastorp herausgegebener Band über Angela Krauß macht dem letzten Werk der Dichterin fast schon Konkurrenz. Warum bloß?
Von Jörg Pottbeckers
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIhre dezente Popularität verdankt Angela Krauß gewiss weniger einer sonderlich großen Leserschaft als vielmehr den durchweg hymnischen Rezensionen, die ihr so ziemlich alle gewichtigen Feuilletons regelmäßig zuteilwerden lassen. Dort bejubelt ein elitärer Leserkreis ihre schmalen Prosabände, rühmt die bedeutungsvolle Leichtigkeit ihrer Sprache und beschwört sie gerne zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Längst überfällig also, dass die in Chemnitz geborene Autorin durch einen TEXT+KRITIK-Band ihren literarischen Ritterschlag erhält. Oder doch ein wenig verfrüht?
Ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis lässt einen denken: viel zu früh! Denn merkwürdigerweise eröffnet die Autorin den Band nicht nur höchstselbst mit einem kruden Text, zusammenmontiertaus Leseransprache („Geschätzte Leserinnen und Leser!“), imaginierter Selbstbefragung („Warum schreiben Sie eigentlich?“) und langen Werkausschnitten, sie darf ihn auch in einem Interview mit der Herausgeberin Marion Gees auch höchstselbst beschließen. Das erste und das letzte Wort in einem Sammelband über Angela Krauß hat also Angela Krauß! Keine gute Idee, vor allem bei einem Bändchen von insgesamt kaum hundert Seiten: Gibt ihr Werk denn, so könnte man mäkeln, literaturwissenschaftlich nicht mehr her?
Tatsächlich lassen sich die Krauß’schen Texte schwer fassen und noch schwerer zusammenfassen. Handlung und Charaktere werden von ihr häufig suspendiert zugunsten von… Ja, von was eigentlich? Fragmetrischen Momentaufnahmen eines meist weiblichen Erzähl-Ichs, beschrieben in einer stilisierten, sentenzenhaften Sprache? Genau solche tiefklingenden, aber genaugenommen substanzlos-phrasenhaften Formulierungen zu vermeiden, ist die große Schwierigkeit beim Sprechen und Schreiben über Angela Krauß. Freilich trägt die semantische Glitschigkeit ihrer konsequent ironiefreien Texte, deren hehrer Anspruch zudem oftmals ebenso ins Floskelhafte umkippt, auch nicht unbedingt dazu bei, dass die Exegese die Bodenhaftung nicht verliert. Was kann man über einen Kernbegriff im Krauß’schen Schreiben wie dem „Unsagbaren“ schon wissenschaftlich sagen?
Man kann, wie Nobert Otto Eke in seinem Beitrag, das Unsagbare als „Aussparung“ identifizieren und daraus eine vielversprechend klingende „Poetik der Aussparung“ bei Angela Krauß ableiten. Eke, zweifellos ein Krauß-Kenner, meint damit aber genaugenommen kaum etwas anderes als eine Leerstelle, von denen es in literarischen Texten ja eigentlich immer nur so wimmelt. Worin aber das Spezifikum der Leerstelle bei Angela Krauß liegt, erschließt sich bei Eke nicht. Ungut ist jedoch weniger das verbale Aufblasen basaler Textarbeit als die Distanzlosigkeit, mit der die Eigenaussagen der Autorin für die Eke’sche Argumentation eingeflochten werden, getreu dem Motto: Was die Autorin sagt, muss ja richtig sein!
Der Leerstelle widmet sich auch der Beitrag von Anke Bastorp, nur dass sie nicht vom „Unsagbaren“, sondern vom „Sagen im Schweigen“ spricht. Klingt nicht nur redundant, ist es auch: Bastorp meint nämlich weniger das Schweigen der Figuren bei Krauß (die ja tatsächlich auffällig maulfaul sind) als die formale Darstellung des Schweigens, die Bastorp im Fragment zu erkennen glaubt. Leuchtet ja auch sofort ein: Ein Fragment ist schließlich kurz und knapp, es sagt nicht alles, es verschweigt irgendwie irgendwas, also schweigt das Fragment im Sagen. Hä? Genau! Würde man die komplette Literaturgeschichte ignorieren, machen solche Aussagen vielleicht halbwegs Sinn, ansonsten stört hier die kontextlose Einseitigkeit wie auch die Simplizität der Argumentation enorm. Übrigens übernimmt auch Bastorp wieder vorgehaltlos jedwede Eigenaussage der Angela Krauß, zitiert sich einmal quer durch alle Primärtexte und schustert sich so einen bedeutungsschwangeren Wissenschaftsnonsens zusammen. Ein schwacher Beitrag.
Es geht aber auch anders. Bernadette Malinowski versucht sich gar nicht erst an kruden Thesen oder vermeintlichen Poetiken, unter denen dann das Oeuvre der Angela Krauß subsumiert werden soll. Sie nähert sich den Texten ebenso profan wie profund: nämlich lesend. Ausgehend von ihrer subjektiven Rezeptionserfahrung diskutiert Malinowski die Frage, was eigentlich von dem bleibt, das wir lesen. Und was bleibt, wenn wir Angela Krauß lesen? Die Antwort lautet: Es bleiben Fragen, was ja immer schon ein Indikator für gute Literatur war. Der Leser befindet sich bei Angela Krauß fragend quasi auf Augenhöhe mit der Autorin, die er für seine Textrezeption aber gar nicht braucht. Entsprechend traut sich Malinowski auch Unerhörtes zu: Sie widerspricht Angela Krauß. Nicht aus Prinzip freilich, sondern ganz einfach deshalb, weil sich ihr Textverständnis nicht mit dem von Angela Krauß deckt. Gut so!
Die weiteren Beiträge schwanken. Rüdiger Görner liefert einen souveränen, sprachlich exzellenten Beitrag über Krauß‘ Im schönsten Fall ab: ein mehr dahingeplauderter Essay als analytische Wissenschaft zwar, aber fundiert und erhellend. Durchaus geglückt ist auch Meinhard Michaels Versuch, der Zeit bei Angela Krauß auf die Spur zu kommen. Julie Klaasen dagegen gelingt es nicht, das vage Konzept einer „Gesamtliebe“ (wenn es denn überhaupt ein Konzept ist), das die Überfliegerin thematisiert, zu konkretisieren. Die Gesamtliebe, die Krauß von der konventionellen Einzelliebe ja abgegrenzt wissen will, ist eben eine jener Fragen, die keiner Antwort bedürfen. Versucht man es, wie Klaasen, aber trotzdem, wird es drollig: „Die Gesamtliebe stärkt den Mut und die Fähigkeit, der Zukunft neugierig und entspannt entgegenzugehen.“ Dann doch besser Schweigen. Im Sagen. Oder Unsagbaren.
Das den Band abschließende Interview darf man erst getrost überspringen (außer man möchte wissen, dass Angela Krauß am gleichen Tag wie Novalis zur Welt kam!) und sich anschließend ärgern: darüber, dass lediglich ein solipsistischer Band zusammengekommen ist, der Angela Krauß‘ Werke von und mit Angela Krauß erklären lässt. Warum aber versucht kein Beitrag, formale oder inhaltliche Aspekte ihres Schreibens in ein komparatistisches Umfeld zu stellen? Warum diskutiert sie niemand im Kontext der Gegenwartsliteratur? Unvergleichlich ist Angela Krauß ja ganz sicher nicht. Und allen Reden über das Fragment oder die Leerstellen in ihren Texten haftet immer dann etwas Naives an, wenn man so argumentiert, als sei Krauß die Erste und Einzige, bei der sowas vorkommt. Interessanter wären also Ansätze, die vor einem literaturhistorischen Background nach der Krauß’schen Besonderheit dieser Stilmittel fragen. Am ärgerlichsten sind aber die haarsträubenden Imitationsversuche mancher Beiträger, die erratische Prosa der Krauß mit einer ebenso erratischen Wissenschaftsprosa noch toppen zu wollen. Was in der Literatur wunderbar funktioniert, ist für die Wissenschaft nun mal ein Armutszeugnis: Der Krauß sprachlich Konkurrenz machen zu wollen, kann eigentlich nur in Komik münden. Oder in Krauße Gedanken.
Wobei sich eine latente Komik auch den Texten der Dichterin nicht absprechen lässt, ihr jüngster Lyrikband Eine Wiege ist da keine Ausnahme. Lustig wird es hier immer dann, wenn die großen Fragen erst pathosschwanger gestellt werden, um dann in sprachlicher und semantischer Simplizität zu münden: „Ist die Wahrheit in jedem von uns? / Wenn ja, wo? / Wie kam sie dorthin? / Finden wir sie?“ Ein solch prätentiöses Plätschern hat die Krauß doch eigentlich gar nicht nötig!
Allerdings ist ein Großteil der schmalen Texte auch weitaus bodenständiger. Flankiert von kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotos bleiben die oftmals kurzen, teils nur aus ein oder zwei Zeilen bestehenden und auf größtenteils leeren Seiten angeordneten Gedichte im Alltäglichen verhaftet. Ihre inhaltliche Klammer ist die Familie, perspektiviert über ein retrospektives, pseudo-autobiographisches lyrisches Ich, das auf seine Kindheit zurückschaut. Der früh verstorbene Vater wird immer wieder thematisiert, ebenso die Mutter, daneben erste Brieffreunde, Schulkameraden, frühe Freundschaften: präzise Alltagsmomente in reduziertem Sprachgewand. Wunderbare Literatur eigentlich – wenn da nur nicht diese unheilvolle Tendenz zum Verkünden von Lebensweisheiten wäre! Ab und an nämlich wird mit der Pathoskeule Grundsätzliches verkündet, muss es wieder einmal um das große Ganze gehen: „Die Treue existiert im wirklichen Leben / auch Die Geborgenheit, Das Vertrauen.“ Trotzdem ist Eine Wiege kein misslungenes Buch: Die souveräne Sprachartistin Angela Krauß findet immer wieder zurück in die Spur. Sie befreit ihre Sprache vom prätentiösen Ballast und lässt das lyrische Ich mal stauend, mal trauernd Rückschau halten. Das Feuilleton übrigens rühmte auch bei Eine Wiege wieder die bedeutungsvolle Leichtigkeit der Krauß‘schen Sprache, manche sprachen gar von einem literarischen Juwel. Das darf man gewiss so sehen. Muss man aber nun wirklich nicht.
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