Melancholisches Meisterwerk

In „M-Train“ erzählt die Musikerin und Lyrikerin Patti Smith assoziativ aus ihrem Leben

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Patti Smith ist den meisten Menschen als Sängerin bekannt, die Mitte der 1970er Jahre den New Yorker Punk und New Wave entscheidend prägte. Ihr 1976 erschienenes Debütalbum Horses gilt als einer der großen Klassiker der Rockgeschichte. Es folgten mehrere Platten, mit denen sich Smith einen Ruf als innovative Interpretin mit einer großen Liebe zur Literatur erarbeitete. In den 80er und 90er Jahren wurde es still um sie, Smith zog sich ins Privatleben zurück und zog gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen Gitarristen der MC 5, Fred „Sonic“ Smith, ihre Kinder groß. Als Smith 1994 starb, nahm Patti Smith das viel gelobte Traueralbum Gone Again auf; seitdem veröffentlicht sie wieder regelmäßig Alben, die allesamt von der Kritik immer wieder sehr positiv aufgenommen werden. 

Smith sah sich indes nie als reine Popsängerin, sondern als Gesamtkünstlerin, als Bohemienne. Als sie Anfang der 70er nach New York kam, war sie noch Lyrikerin, Baudelaire und die Beat-Poets waren ihre großen Vorbilder. Irgendwie rutschte sie dann doch in die gerade aufkommende New Wave-Szene rein, sah ihre erfolgreichen Konzerte jedoch zunächst noch als Rezitationen mit Musikuntermalung, und einige Songs auf Horses klingen auch noch so. Doch überraschte Smith viele Menschen, als sie vor einigen Jahren, nach zahlreichen Gedichtbänden, die autobiographische Erzählung Just Kids veröffentlichte, eine melancholische, in wunderbar einfühlsamer Sprache geschriebene Erinnerung an ihre Zeit Anfang der 1970er Jahre mit ihrem damals engen Freund, dem Fotografen Robert Mapplethorpe. M-Train ist quasi die Fortsetzung dieses Buchs. 

Smiths Erinnerungen sind rein assoziativ. Sie beginnt damit, dass sie in ihrem Lieblingscafé nahe ihrer Wohnung in New York sitzt und der Kellner ihr erzählt, er werde bald sein eigenes Café am Strand von Brooklyn eröffnen. Smith erinnert sich an die 70er Jahre, als sie selbst davon träumte ein Café zu besitzen und tatsächlich schon zu diesem Zweck ein Haus in New York gemietet hatte. Doch ihr neuer Lebensgefährte Fred „Sonic“ Smith, der noch in Detroit wohnte, überredete sie, zu ihm zu ziehen, und das tat sie dann auch. Dieser Gedanke leitet sie zum nächsten, der Hochzeitsreise, die sie, auf ihren eindringlichen Wunsch, nach Französisch-Guyana führte, wo sie einmal das Gefängnis sehen wollte, in dem Jean Genet weilte. Der Gedanke ans Reisen führt sie indes wieder in die jüngere Vergangenheit und zur Vorbereitung einer Reise nach Deutschland. 

Anhand dieser Gedankensprünge erzählt Smith kleine, nur vage zusammenhängende Geschichten aus ihrem Leben, durchzogen von einigen wenigen Leitmotiven: Das exzessive Kaffeetrinken, die Liebe zur Literatur (Smith ist regelrecht besessen von Roberto Bolaño und Haruki Murakami, deren Romane sie bis in ihre Träume begleiten), die Fotografie (das Buch ist mit zahlreichen von ihr geschossenen Fotos illustriert) und immer wieder ihr verstorbener Ehemann, an den sie mit  einer Mischung aus Bewunderung und Melancholie zurückdenkt. Und obwohl Smith diese Geschichten und Anekdoten mit ihrem trockenen Humor anreichert, mit einer gelassenen Haltung zu ihrem offenbar äußerst chaotischem Wesen, mit dem sie oft in den Tag hineinlebt, sind diese Erinnerungen mit einer niemals explizit geäußerten, jedoch stets präsenten Traurigkeit aufgeladen. Patti Smith, so kommt zwischen den Zeilen heraus, ist ein schrecklich einsamer Mensch, der sich mit dieser Einsamkeit seit Jahrzehnten abgefunden hat, die auch zahlreiche Schrullen zutage gefördert hat, die sie gar nicht mehr abschütteln möchte. Sie scheint, zumindest sagt dies dieses Buch aus, ein Mensch zu sein, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hat und der Zuflucht in einer Welt der Literatur, der Musik, der Kunst gefunden hat, nicht aber in einer Welt der Menschen. Vielleicht ist dies nur eine Spekulation, vielleicht lebt Patti Smith ganz anders, als es in diesen Memoiren den Anschein macht, vielleicht hat auch das fast vollständige Aussparen ihrer (Haupt)-Karriere als Musikerin, die ja vor allem Alben aufnimmt und Konzerte gibt und sich hierbei von einer zumindest teilweise seit Jahrzehnten bestehenden Band begleiten lässt, seinen ästhetischen Sinn. Das vorliegende Buch spricht jedoch eine fast schon schmerzhafte Sprache der Einsamkeit. Und gerade deswegen, und weil es Patti Smith gelingt, die richtige Sprache für ihre Geschichten zu finden, ist es so faszinierend, so gelungen, so bewegend. Auch wer – wie ich – noch nie etwas mit der Musikerin Patti Smith anfangen konnte, der wird von diesem Buch begeistert sein, und es wird noch lange nachhallen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Patti Smith: M Train. Erinnerungen.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
333 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783462048636

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