Spuren in die Vergangenheit

Damit er seinen 20. Fall lösen kann, muss John Rebus ein weiteres Mal aus dem Ruhestand zurückgeholt werden

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich gehört er gar nicht mehr dazu. Aber immer wieder wird er gebraucht: Ex-Polizist John Rebus mit seinem Gespür, seiner Erfahrung, seiner Coolness und Unerschrockenheit. Diesmal, im zwanzigsten Rebus-Roman des Schotten Ian Rankin, scheint sich ein Gangsterkrieg in Edinburgh anzubahnen. Und weil der König der örtlichen Unterwelt, Big Ger Cafferty, mit keinem anderen Polizisten zu sprechen bereit ist als eben mit seinem alten Feind Rebus, darf der wieder ermitteln.

Als Consultant Detective arbeitet er zum wiederholten Mal mit zwei alten Bekannten zusammen: Malcolm Fox, der ihm als interner Ermittler der Edinburgher Polizei im Vorgängerroman Schlafende Hunde (2013, dt. 2014) ihn erst genervt und dann zu einer unbequemen Erkenntnis getrieben hatte, und Siobhan Clarke, die, nachdem sie vorzeiten alles von Rebus gelernt hat, was ein gewiefter Großstadtbulle wissen muss, nun diejenige ist, die die Befehle gibt. Was Rankins Held – charmant und eigenwillig wie immer – natürlich geschickt zu unterlaufen versteht.

John Rebus glaubt nämlich nicht, dass es sich bei dem Mordanschlag auf den Mann, den er nie dingfest machen konnte, um die Tat eines rivalisierenden Gangsters handelt, der im Begriff ist, seinen Aktionsradius auf Edinburgh auszudehnen . Denn die Botschaft, die sich bei Cafferty fand, nachdem der Schuss durch ein Fenster seines Hauses ihn knapp verfehlte, passt nicht zur Theorie eines Machtkampfes zwischen zwei Gangsterclans. Wurde derselbe Satz – „Ich werde dich töten für das, was du getan hast“ – doch noch an zwei weiteren Tatorten gefunden: bei einem offensichtlich von Einbrechern erschlagenen berühmten Anwalt und einem Lottogewinner, der sich seines plötzlichen Reichtums freilich nicht lange erfreuen konnte.

Trotzdem wird die Geschichte erst richtig ernst, als der Sohn des Glasgower Paten Joe Stark auf offener Straße erschossen wird und sich bei ihm ebenfalls ein Zettel mit der bekannten Drohung findet. Eine neue Spur oder ein raffiniertes Ablenkungsmanöver durch einen Trittbrettfahrer? Cafferty muss abtauchen, weil Stark auf Rache sinnt und natürlich ihn als Ersten im Visier hat. Eine Sondereinheit der Glasgower Polizei, die den Starks auf der Spur ist und sich in Edinburgh eingenistet hat, wird immer unverschämter in ihrem Auftreten. Und Rebus versucht fieberhaft, einen Zusammenhang zwischen mehreren Morden, einem Mordanschlag und dem Auftauchen des Glasgower Stark-Clans in Edinburgh herzustellen, um daraus Schlüsse auf einen Täter ziehen zu können, von dem er befürchtet, dass der mit dem Töten noch lange nicht fertig ist.

Der entscheidende Hinweis bezieht sich schließlich auf eine Einrichtung namens „Acorn house“. In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war hier eine vom Staat betriebene Besserungsanstalt untergebracht. Männliche Jugendliche unter 16 Jahren, Kleinkriminelle und Streuner, wurden hinter geschlossenen Türen verwahrt. Zu diesem düsteren Bau und einer nicht minder düsteren  Begebenheit führt die Spur der aktuellen Verbrechen schließlich zurück – zu einer Geschichte aus einer Vergangenheit, in der Kindesmissbrauch nicht nur in katholischen Internaten gang und gäbe war und die Täter, welche nicht selten den besseren Kreisen der Gesellschaft entstammten, sich aufgrund ihrer guten Beziehungen untereinander vor Verfolgung sicher fühlten.

Rankins Roman heißt im englischen Original Even Dogs in the Wild. Zitiert wird damit der Titel eines Songs aus dem Debütalbum The Affectionate Punch (1980) der schottischen Postpunk-Band „The Associates“, in dem es gleich zu Anfang heißt: „Somewhere deep in the night/ There’s a child on his own/ And his pulse isn‘t there/ And the house is aglow“. In einem dem Roman vorangestellten und in die Vergangenheit führenden knappen Prolog läuft just dieser Titel im Auto zweier Männer, die in einer heiklen Mission unterwegs sind. Im Kofferraum transportieren sie einen fast nackten Menschen, der verschwinden muss. Als plötzlich Leben in den scheinbar Toten kommt,  dieser herausspringt und in großen Sätzen im nahen Wald verschwindet, beginnt, was mehr als dreißig Jahre später Rebus und die Seinen zehn Tage lang umtreiben wird.

Nachdem der erste Roman um den unruhigen Ruhestand des John Rebus – Mädchengrab (2012, dt. 2013) – noch ein bisschen Mühe hatte mit einer Figur, die plötzlich nicht mehr unumstritten im Mittelpunkt stand, hat Ian Rankin mit den beiden ihm folgenden Büchern zu alter Meisterschaft zurückgefunden. Die Geschichte, die er nun in Das Gesetz des Sterbens erzählt, ist gut erfunden, raffiniert verästelt und souverän dargeboten. Wie alle seine Vorgänger nimmt sich auch der neue Rebus-Roman die Zeit, uns ein paar Einblicke in das komplizierte Innenleben seiner Hauptfiguren zu geben. Diesmal sind es vor allem Familienprobleme, die sowohl die drei Ermittler wie auch etliche andere Figuren des Buchs umtreiben. Es geht um den Tod naher Angehöriger, um Vertrauen, Verrat und die Kluft zwischen Verwandten, über die hinwegzukommen man häufig nicht die richtigen Worte findet. Auch John Rebus ist, was dieses Dilemma betrifft, keine Ausnahme. Und das lässt ihn oft den Männern, die er seit Jahrzehnten jagt, näher sein, als ihm wohl lieb sein kann.

Titelbild

Ian Rankin: Das Gesetz des Sterbens. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Manhattan Verlag, München 2016.
478 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442547722

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