Prostitution oder Demokratie

Manfred Paulus’ Sachbuch „Im Schatten des Rotlichts“ wirft ein helles Licht in die dunkelsten Ecken hinter den „glitzernden Fassaden“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor noch nicht allzu langer Zeit herrschten über die Prostitution bis in die höhere Politik hinein idealisierende Vorstellungen, die etwa zu dem verheerenden Prostitutionsgesetz führten, mit dem die rot-grüne Bundesregierung im Jahre 2002 BordellbetreiberInnen und Menschenhändlerringen, wenn auch ungewollt, ziemlich freie Hand gaben. Inzwischen hat sich der Wind gedreht, in Gesellschaft und Politik ist einige Einsicht eingekehrt. Nur eine Hand voll Lobbyorganisationen aus dem Rotlichtmilieu sowie eine Reihe jüngerer NetzfeministInnen vorwiegend weiblichen Geschlechts hält unverdrossen an der Mär von dem tollen, gar emanzipatorischen Job einer Prostituierten fest.

Zu denjenigen, die dieser Mär seit Jahren Fakten entgegensetzen, zählt neben Deutschlands noch immer bekanntester Feministin Alice Schwarzer und Frauenrechtsorganisationen wie Sisters, Stop Sexkauf oder der bundesweitbekannten Marburger Bürgerinitiative bi-gegen-bordell und etlichen anderen auch der inzwischen pensionierte Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus.

Zuletzt trat Paulus mit dem prostitutionskritischen Sachbuch Im Schatten des Rotlichts. Verbrechen hinter glitzernden Fassaden an die Öffentlichkeit. Der Autor hat das Buch in zwei Hauptteile untergliedert, deren erster sich im Wesentlichen mit der Geschichte der Prostitution in Europa und insbesondere in Deutschland befasst, während sich der zweite deren inzwischen internationalisierter Gegenwart widmet. So gibt es heutzutage „perfekt ausgebaute Handelsstrukturen für die Ware Frau und Kind, die von der Anwerbung in den Rekrutierungsländern bis hin zur Ausbeutung in den Zielländern reichen“. Die Opfer aus dem meist osteuropäischen oder schwarzafrikanischen Ausland „sind von Beginn der Reise an Gefangene einer ausbeuterischen und kriminellen Subkultur und deren Machthabern und Gesetzen unterworfen“.

Das Buch ist insgesamt locker, gelegentlich fast launig geschrieben, was dem ernsten Gegenstand nicht immer ganz angemessen erscheint, aber den Band vielleicht gerade damit für Menschen lesbar macht, die sonst nicht zu ihm greifen würden. Und das sollten sie, denn der dezidierte Gegner der – wie Paulus sagt – „Sexsklaverei“ und auch der – so es sie tatsächlich gibt – freiwilligen Prostitution weiß aus langjähriger polizeilicher Arbeit in dem Milieu ganz genau, wovon er spricht.

Zudem werden die beiden Hauptteile durch drei literarische Texte aufgelockert, die von der „Nachtstreife“ des Kriminalhauptkommissars Roman Bergner und der Kommissarin Sophia Sandmann im Rotlichtmilieu einer deutschen Großstadt erzählen. Auf diesen erzählerischen „Nachtstreifen“ dreht „die schöne Sophia zusammen mit dem alten Berger“ ihre Runden, wobei der Kriminalhauptkommissar seiner für die Lesenden stehenden Kollegin die Welt der Prostitution erklärt. Dabei kann der Autor seinem literarischen Alter Ego manche Sätze in den Mund legen, die er ansonsten so hart, gelegentlich vielleicht sogar etwas gewagt, jedenfalls aber schonungslos wohl kaum aussprechen würde. Seine Kollegin Sandmann wirkt hingegen für eine Kommissarin manchmal doch ein wenig ahnungslos, wenn nicht gar naiv.

Der Abriss der Geschichte der Prostitution hebt bereits in vorchristlichen Zeiten an und wird umso ausführlicher und konkreter, je mehr er sich der deutschen Gegenwart nähert. Beide, die Nachtstreifen und der historische Abriss, füllen mehr als die Hälfte der Seiten des Bandes und wurden vielleicht auch darum aufgenommen, damit der Text den Umfang erreicht, den man von einem Buch füglich erwarten darf.

Das zweite Hauptkapitel bildet den wichtigsten Teil des Buches und beginnt mit einigen terminologischen Überlegungen, mit denen Paulus seine Kritik des Begriffs „Zwangsprostitution“ begründet und erklärt, warum er stattdessen die Bezeichnung „Sexsklaverei“ bevorzugt. Den Ausdruck „Zwangsprostitution“ lehnt er als Oxymoron ab, „weil eine Frau, die zur Prostitution gezwungen wird, keine Prostituierte (also auch keine ‚Zwangsprostituierte‘ ist, sondern nur eines: Opfer“. Um dies zu begründen begibt sich der Kriminalhauptkommissar a.D. auf begriffsgeschichtliches Terrain. Prostitution, so argumentiert Paulus, komme von dem lateinischen  „prostibilis“, was wiederum „sich feil bieten“ bedeute, und dies sei mit Zwang nicht vereinbar. Daher spricht er lieber von „Sexsklaverei“.

Ein Arbeit wie jede andere sei aber auch die Tätigkeit von Prostituierten schon alleine deshalb nicht, weil sie „in (Prostitutions-)Milieus eingebettet liegt und von solchen vereinnahmt und beherrscht wird, welche sich nicht nach den Regeln der Allgemeinheit richten, sondern nach eigenen, ganz anderen Werten und Normen verfahren, als allgemein und außerhalb dieser Parallelgesellschaften üblich“. Ganz ähnlich hat unlängst die ehemalige Prostituierte Rachel Moran in ihrem überaus lesenswerten Buch Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution argumentiert.

Zudem „begünstigen“ Paulus zufolge „Abgeschlossenheit, Wertvorstellungen und Gesetze“ kriminelle Aktivitäten fast jeglicher Art, darunter etwa Waffen- und Drogenhandel und nicht nur gelegentlich sogar Auftragsmorde. Aussagen bei Polizei und Justiz werden nicht selten mit dem Tod der ‚VerräterInnen‘ oder – falls diese nicht erreichbar sind – ihrer in den Heimatländern zurückgebliebenen Angehörigen bestraft. Auch kommt es vor, dass Zwangsprostituierte, die ihren Peinigern zu entfliehen versuchen, grausam ermordet werden, um die anderen abzuschrecken. Andere Straftaten wie Vergewaltigungen gehören wie selbstverständlich sogar zum alltäglichen Geschäft der Frauenhändler.

Ebenfalls ähnlich wie Moran zeigt Paulus, dass Prostituierte „sexualisiert, zu Objekten degradiert und als Gebrauchsgegenstände misshandelt“ werden und in einem Maße „psychische Belastungen“ zu ertragen haben, das „denen von Kriegsteilnehmern und Folteropfern gleichkommt“. Zudem sind die Suizidraten und das Risiko, getötet zu werden, weitaus höher als bei Frauen, „die nicht der Prostitution nachgehen oder als Sexsklavin ausgebeutet werden“. 

Paulus aber sieht in Prostitution und Sexsklaverei nicht nur eine persönlichkeitszerstörende und nicht selten tödliche Gefahr für die unmittelbar betroffenen Frauen. Alle ihre Geschlechtsgenossinnen werden ausnahmslos durch Prostitution, Sexsklaverei und Frauenhandel immer stärker einem „längst vergessen geglaubten Frauenbild“ unterworfen: demjenigen der  „minderwertigen und rechtlosen, dem Manne untergeordneten und hörigen Frau“. Über all das hinaus sieht Paulus zudem eine „gesamtgesellschaftlichen Bedrohung“ durch die international agierende Organisierte Kriminalität (OK) des Frauenhandels und der Zuhälterringe, denn seit Ende des vergangenen Jahrhunderts „eroberten in ganz Deutschland Menschenhändler- und Zuhälter(-gruppierungen) aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunionen, der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Albanien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Polen, aber auch aus anderen Teilen der Welt (Libanon, Nigeria, Ghana…) Anteile am deutschen Rotlichtmilieu“. Paulus behauptet das nicht einfach, sondern bietet zahlreiche „Fallbeispiele und Ereignisse“, bei denen er nur Namen und Sachverhalte, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, soweit verfremdet hat, dass nicht auf die realen Personen geschlossen werden kann.

Vor allem seit dem Inkrafttreten des „höchst täterfreundlichen“ Prostitutions-Gesetzes der damaligen rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder konnten der Organisierten Kriminalität zuzuordnende kriminelle Clans, Syndikate und sonstige mafiöse Vereinigungen hierzulande nicht nur „flächendeckend Anteile am Rotlichtmilieu erobern“, sondern „ihre Einflussnahme und Macht über die Milieus hinaus auf die Gesamtgesellschaft“ ausdehnen. So werden sie Paulus zufolge „zunehmend zur Bedrohung für die Allgemeinheit und für die Demokratie“. Eine Gefahr, die Paulus durchaus bereits heute als „real“ einschätzt. Denn schon jetzt konstatiert er „geschickt gestrickte Verbindungen und Verknüpfungen der OK zu einzelnen Amtsinhabern, Mandatsträgern, Medienvertretern und anderen einflussreichen Persönlichkeiten“ wie etwa meinungsbildenden JournalistInnen. Das mag alarmistisch klingen, doch die Lektüre des Buches plausibilisiert die ärgsten Befürchtungen seines Autors. Unabwendbar ist das alles dennoch nicht.

Abschließend sei angemerkt, dass Paulus kein Fach-, sondern ein Sachbuch vorgelegt hat. So mag es zwar nicht immer wissenschaftlichen Kriterien standhalten und das eine oder andere – wie etwa die konservativ-hierarchischen Geschlechterrollen, mit denen Paulus’ literarische Figuren Roman Bergner und Sophia Sandmann geschlagen sind, oder seine Ablehnung des Begriffs „Zwangsprostitution“ wird sich gewiss kritisieren lassen. Für ein breites Lesepublikum ist aber vermutlich gerade ein solches Sachbuch die richtige Form, um ihm die grauenvolle Welt hinter den „glitzernden Fassaden“ des Rotlichtmilieus vor Augen zu führen.

Titelbild

Manfred Paulus: Im Schatten des Rotlichts. Verbrechen hinter glitzernden Fassaden.
Verlag Klemm+Oelschläger, Ulm 2016.
160 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783862810925

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