Sag, wie hältst du es mit Print?
Michael Angeles Essay umkreist melancholisch, aber nicht verbittert das mögliche Ende der gedruckten Zeitung
Von Max Beck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn Wiener Kaffeehäusern lässt er sich vielleicht noch häufiger beobachten als in Berlin (wo Michael Angeles Essay „Der letzte Zeitungsleser“ entstanden ist), der vermeintlich aus der Zeit gefallene Leser der gedruckten Zeitung, der stundenlang bei einer Melange und einem Glas Leitungswasser private Presseschau am Zeitungsstock betreibt. Dass zumindest der gedruckten Tageszeitung keine rosige Zukunft bevorsteht, ist seit Jahren manifest und der viel beschworene Medienwandel lässt die Bilanzen auch angestammter Medienhäuser schrumpfen. Selbst Fluggesellschaften, die bis vor kurzem noch die Möglichkeit zur kostenlosen Print-Lektüre gaben, und so auch überzeugte Zeitungsmuffel eine Zeitung wenn auch nicht lesen, so doch zumindest nehmen ließen, steigen zunehmend auf digitale Verbreitung der Lektüre auf Smartphone und Laptop um und stehen damit prototypisch für den Wandel von analog zu digital.
Also höchste Zeit für einen wehmütigen Rückblick? Ein Buch mit dem Titel „Der letzte Zeitungsleser“ mahnt schließlich zunächst an die Sphäre konservativer Essayistik. Mag sein, dass das eine vom Autor intendierte Tücke des Titels ist, der doch stark an larmoyante Abhandlungen im Stil eines Botho Strauß erinnert, der sich vergangenes Jahr mit „Der letzte Deutsche“ im „Spiegel“ als würdige Heidegger-Nachfolge empfahl. Doch Angeles Essay hat mit derartigen Abhandlungen lediglich den Titel gemein. Als ehemaliger Chefredakteur einer Internetzeitung („Netzeitung“) und derzeitig stellvertretender Chefredakteur einer Wochenzeitung, die seit 2009 mit verschieden Formen der Koexistenz von Print und Online experimentiert („der Freitag“), fällt das Urteil differenziert aus.
Angeles Essay beginnt und endet mit dem „ideale[n] Zeitungsleser“ Thomas Bernhard; und man denkt unweigerlich an den zeitungslesenden Bernhard im Wiener Bräunerhof, an Bernhard mit der „El País“ auf Mallorca. Seine Manie, stets eine „Neue Zürcher Zeitung“ zu bekommen, konnte, wie in „Wittgensteins Neffe“ nachzulesen ist, schon mal hunderte Kilometer Autofahrt verursachen. „Die Leiden des Zeitungssüchtigen“ sind für Angele notwendige Leiden, eine Kulturtechnik, die Aufschub verlangt. So stellt er die berechtigte Frage, ob Bernhards bekannte Diagnose, dass ein „Geistesmensch“ nur an einem Ort existieren könne, an dem es die „Neue Zürcher Zeitung“ gebe, im Zeitalter des E-Papers nun jeden Ort zum ,Geistesort‘ mache oder ob der digitale Überfluss ohne Aufschub und Versagung vielmehr den „Geistesmenschen“ verhindere: „Ich würde für Letzteres plädieren, stünde mir nicht meine Angst vor einem billigen Kulturpessimismus im Weg.“
Der Essay ist subjektiv und weitgehend autobiografisch; Angele schreibt nicht als Zeitungsmacher, sondern als Zeitungsleser. Diagnosen werden nicht umständlich begründet, den Kriterien wissenschaftlicher Exaktheit folgt die Abhandlung erklärtermaßen nicht. Der essayistische Impetus folgt der Nötigung des Gegenstandes; es geht um die Leiden, im Urlaub an eine „FAZ“ (in der Regel vom Vortrag) zu kommen, um die tägliche Freude, das nach Druckerschwärze riechende und verlockend raschelnde Objekt der Begierde morgens aus dem Briefkasten zu ziehen oder im Café zu ergattern. Angele beschreibt auch die anachronistisch anmutende Vertiefung des Zeitungslesers, der sich in der oft stundenlangen Abwendung von der Welt und Hinwendung zur Zeitung doch eigentlich der Welt zuwendet.
Die bei der Lektüre einer gedruckten Zeitung empfundene Freude oder Wut behält der Leser zumeist für sich, Rückmeldung bekommen Redakteure und Autoren seltener als über das Internet, verlangt doch das klassische Schreiben von Leserbriefen, die vor dem Abdruck zudem noch selektiert und redigiert werden, deutlich mehr Strapazen als ein Comment auf einer Internetseite oder ein müder Like bei Facebook. Man vergleiche einmal die mondäne und etwas anachronistisch anmutende Leserbriefseite der „FAZ“, auf der Akademiker ihre Titel zur Schau tragen, mit den Kommentarspalten der Online-Ausgabe derselben. Und doch ist die gedruckte Zeitung ein großartiges Objekt gerade für eine Bernhardsche Erregungskunst, wie viele innere Monologe, die einer Regerschen Schimpftirade gleichen, mag es wohl täglich geben?
Schon längst ist der Print-Leser einer von gestern, chronologisch gesehen, hat doch der digital versierte Abonnent am Vorabend das PDF aus der Zukunft bereits am Monitor gelesen, oder – Ironie der Digitalisierung – die spannenden Artikel gleich ausgedruckt. Angele betont auch die Nötigung zur soziologischen Bewertung anderer Zeitungsleser im Café oder in der U-Bahn; wer hat nicht einen prototypischen „Zeit“-Leser, einen prototypischen „taz“-Leser vor Augen? Oder einen „Tagesspiegel“-Leser? „Er sieht in meiner Phantasie immer ein wenig wie Harald Martenstein aus, wenn er ein Mann wäre.“ Natürlich gibt es auch jene ,professionellen‘ Zeitungsleser, denen nicht viel an der Identifikation mit einem Medienprodukt gelegen ist und heute die „Süddeutsche“, morgen die „FAZ“ und übermorgen vielleicht die „Oberhessische Presse“ verschlingen, quasi die „Perlentaucher“ aus dem analogen Zeitalter.
Glücklicherweise hat Angele nicht den Hang zur Idealisierung seiner schreibenden Kollegen. Wie er richtig konstatiert, stellen sich Zeitungen ihre Leser zunehmend „als großes Kind vor: etwas begriffsstutzig, dabei nicht gutmütig, sondern reizbar und schnell beleidigt, das Abo praktisch schon gekündigt“. So muss man lange blättern, um überhaupt noch Literaturkritik oder gar einen Verriss zu finden, die den Namen verdienen, an die Stelle einer aufgeklärten und streitlustigen Kritik ist leider oftmals eine Kumpanei zwischen Autoren, Kritikern und Verlagen getreten, wie erst jüngst Jürgen Kaube in der „FAZ“ am Beispiel Christian Kracht exemplifiziert hat.
Die Covergestaltung des Büchleins in Form einer Zeitung und ein Satzbild, das eine Zeitungsspalte imitiert, zeigt wiederum, dass sich anscheinend auch die PR-Abteilung im Galiani Verlag nicht mehr darauf verlassen möchte, dass der ideelle Gesamtkunde noch weiß, wie eine gedruckte Zeitung aussieht. Muss der Zeitungslook auch noch imitiert werden, vertraut der Verlag nicht auf den Inhalt des Essays? So verweist das Cover ironischerweise schon auf die von Angele konstatierte Angst vor dem Leser, an dessen Phantasie und Urteilsvermögen kaum mehr einer glaubt.
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