Persiflage gone wrong

Zwischen politischer Satire und Slapstick-Inszenierung: Dietrich Brüggemanns „Heil“

Von Sinah WittkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sinah Wittke

Dietrich Brüggemanns im Jahr 2015 in den deutschen Kinos angelaufene Filmkomödie Heil begeistert zunächst durch die humoristischen Elemente und die mitwirkenden deutschen Film- und Musikgrößen – in Sprech- und in Hauptrollen haben sich prominente Darsteller von Benno Führmann über Thees Uhlmann bis hin zu Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß die Ehre gegeben.

Der offizielle Trailer verspricht eine Komödie über einen deutschen Buchautor mit afrikanischen Wurzeln, der während der Promo-Tour seines neuen antirassistischen Bestsellers in Prittwitz mit den ortsansässigen rechtsradikalen Provinzlern konfrontiert wird, durch einen Schlag auf den Kopf zum hirnlosen Maskottchen der Neos mutiert und deren Hetzreden deutschlandweit in Talkshows nachplappert. Dicht auf den Fersen eilt ihm seine hochschwangere Freundin hinterher, stets begleitet von seiner afro-amerikanischen Ex-Freundin und dem ehemaligen Dorfsheriff von Prittwitz, zur Rettung. Eine ‚aufregende Reise‘ durch ein ‚aufgeregtes Land‘ steht bevor.

Jedoch entwickelt sich das Filmerlebnis durch den konfusen Handlungsverlauf und die allumfassende Kritik an jeder Facette Deutschlands eher in Richtung eines Rätselratens darüber, welche Partei zu den Guten und welche zu den Bösen gehört. Das Resultat: Der Zuschauer verlässt verwirrt und konsterniert den Kinosaal.

Die Handlung um den afrodeutschen Autor Sebastian Klein (Jerry Hoffmann), der während einer Reise in die Nazi-Hochburg Prittwitz durch einen Schlag auf den Kopf sein Gedächtnis verliert und anschließend von den dorfeigenen Neonazis für ihren Wahlkampf instrumentalisiert und durch sämtliche Talkshows und Podiumsdiskussionen gezerrt wird, erscheint zu Beginn zentral. Tatsächlich hat diese Geschichte – so zeigt der Fortgang – vor allem die Funktion, die folgenden Handlungen auszulösen: Sebastians hochschwangere und beinahe krankhaft eifersüchtige Freundin Nina (Liv Lisa Fries) scheint als Einzige die Notsituation ihres Freundes zu erkennen und beginnt gemeinsam mit dem Prittwitzer Polizisten Sascha (Oliver Bröcker) und Sebastians Ex-Freundin Stella (Thelma Buabeng) ihrem Liebsten hinterher zu reisen. Der an Amnesie leidende Autor begeistert derweil Deutschland durch seine ausländerfeindlichen Hetzreden, die ihm von seinen Peinigern, Anführer Sven (Benno Führmann) und dessen leicht legasthenischen – Rechtschreibschwächen beeinträchtigen sogar die Graffiti-Künste der Neos, aus White Power wird „Wheit Paua“ – und gleichzeitig illoyalen Kameraden Johnny (Jacob Matschenz) und Kalle (Daniel Zillmann), eingetrichtert werden.

Simultan finden Plots statt, die betonen, wie entscheidungsschwach die Mitglieder der Antifa sind – besonders durch ihren ständigen Drang, jede kleinste Entscheidung innerhalb des Plenums demokratisch zu bestimmen. Nebenher werden die Abspracheschwierigkeiten des Verfassungsschutzes bezüglich des Einsatzes ihrer V-Männer skizziert – so operieren alle drei Entführer Kleins unabhängig und ohne Wissen voneinander im Auftrag des Verfassungsschutzes – sowie die Unfähigkeit der Justiz, rechtsradikale Tendenzen zu erkennen und einzudämmen. Zusätzlich wird die Geschichte des Nazis Heiko Georgi (Jörg Bundschuh) erzählt. Mit dem Ziel der Machtübernahme in Deutschland im Kopf, versucht er, sich den neuen Medien und der Jugendkultur anzupassen. Jedoch wird Georgi durch Fehlinterpretationen von Symbolen und sein selbstinszeniertes Hipster-Image von der Öffentlichkeit als Vertreter der Linken aufgefasst.

So anstrengend es für den Leser dieser Rezension sein mag, die vorangegangenen einzelnen Elemente des Plots nachzuvollziehen und in Beziehung zueinander zu setzen – es gibt übrigens tatsächlich noch einige weitere Handlungsstränge – so diffus ist das Gefühl, wenn der Abspann einsetzt und der Zuschauer beginnt, sich zu fragen, was jetzt alles in dem Film passiert ist.

Brüggemann scheint eine filmische Umsetzung einer allumfassenden Kritik an Deutschland, nicht nur an Rechts- und an Linksradikalen, sondern an der Justiz, der Polizei, dem Verfassungsschutz, den Medien, den Soziologen und den Bürgern, im Sinne gehabt zu haben. Durch die Darstellung der (Miss-)Erfolge der verschiedenen Parteien wird gezeigt, dass durch festgefahrene Meinungen und stereotypes Denken niemand seine Interessen verwirklichen kann und gesellschaftliche Probleme bestehen bleiben – vor allem aber wird durch Heil die Überzeugungskraft der Medien durch die virale Verbreitung von Halbwahrheiten und des ubiquitären Alltagsrassismus vorgeführt.

Zwar erreicht die Aussage der Satire den Zuschauer, dass durch eine gegenseitige Bekämpfung zur Durchsetzung der eigenen Interessen jeder Streitteil verliert; dennoch ist die zeitweise an Slapstick-Humor erinnernde filmische Umsetzung ermüdend. Die geballte Persiflage übersteigt die Grenze des Erträglichen und ist keinesfalls ein Indikator für 103 Minuten Begeisterung – manchmal ist weniger tatsächlich mehr.

Heil
Deutschland 2015
Regie & Drehbuch: Dietrich Brüggemann
Darsteller: Benno Fürmann, Jerry Hoffmann, Liv Lisa Fries
Länge: 103 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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