Ein Erzählen, das unter die Haut geht

Françoise Frenkels Fluchtbericht

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Jüdin Françoise Frenkel wurde am 14. Juli 1889 in Polen geboren, sie studierte in den 1910er-Jahren in Paris und eröffnete 1921 zusammen mit ihrem Ehemann Simon Raichenstein (den sie übrigens in ihren Aufzeichnungen mit keinem Wort erwähnt) die erste französische Buchhandlung in Berlin. In Paris hatte sie viel Zeit in den Bouquinistes verbracht, sie liebte das Stöbern in den „alten feuchten Kästen“ auf den Quais. In der Großstadt pulsierte das Leben trotz Krieg. Eine völlig andere Stimmung fand Frenkel vor, als sie Ende des Ersten Weltkrieges in das Haus in ihrer Heimatstadt zurückkehrte: kahle Wände, eine leere Bibliothek, das Klavier verschwunden. „Die Besatzer von 1914–1918 hatten alles mitgenommen. Aber meine Angehörigen waren am Leben und gesund. In ihrer Mitte verbrachte ich glückliche Ferien und fuhr voller Energie und Tatendrang zurück nach Frankreich.“ Während eines Praktikums in einer Buchhandlung erkannte sie ihre Berufung. Eigentlich wollte sie eine Buchhandlung in Polen eröffnen, doch stellte sie bei einem weiteren Besuch fest, dass die Buchhändler überall „eine stattliche Auswahl französischer Bücher“ hatten. In Berlin aber, wo Frenkel auf der Rückreise nach Paris Halt machte, sah es anders aus, da fehlte ein entsprechendes Angebot für französischsprachige und an französischer Literatur interessierte Leserinnen und Leser.

Françoise Frenkels Buchhandlung entwickelte sich innert kurzer Zeit zu einer „Zufluchtsstätte des französischen Buches“, wo kulturaffine Menschen und Intellektuelle sich trafen. In den 1930er-Jahren wurde die Situation für die Jüdin jedoch zunehmend schwierig und gefährlich, Frenkel musste das Geschäft 1939 kurz vor Kriegsausbruch schließen und Berlin verlassen. Sie kehrte zurück nach Paris, wo vorerst noch niemand an einen bevorstehenden Krieg glauben mochte. Doch rasch änderten sich auch dort die Verhältnisse, und für Frenkel begann eine Odyssee durch Frankreich: von Paris nach Avignon und weiter nach Vichy, von dort wieder zurück nach Avignon, Nizza und in die Berge, wieder zurück nach Nizza und erneut in den Norden nach Grenoble, um von dort in die Schweiz fliehen zu können. Es folgten Gefängnisaufenthalte nach zwei missglückten Übertrittsversuchen, bis ihr im Sommer 1943 endlich die Flucht in die Schweiz gelang. Noch im selben Jahr begann sie „am Ufer des Vierwaldstädter Sees“ mit den Aufzeichnungen, die nun erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel Nichts, um sein Haupt zu betten vorliegen. Auch die französische Originalausgabe, erschienen 1945 im Verlag Jeheber in Genf, war lange verschollen und wurde erst 70 Jahre später zufällig antiquarisch wiederentdeckt und 2015 bei Gallimard neu aufgelegt.

„Es ist Pflicht der Überlebenden, Zeugnis abzulegen, damit die Toten nicht vergessen, noch Hilfsbereitschaft und Aufopferung Unbekannter missachtet werden.“ Diese Worte setzte Frenkel an den Anfang ihrer Aufzeichnungen, sie beschreiben genau, was auf den folgenden Seiten zu lesen ist. Sie erzählt ihre Geschichte, nicht weil sie sich als wichtig erachtet, sondern weil sie zeigen will, was geschah, wie es war, wie viele starben und getötet wurden. Und wie viele Hilfe leisteten. Nur dank ihnen konnte sie selbst überleben. Da war etwa das Ehepaar Marius vom Friseursalon in Nizza, die ihr während Monaten selbstlos beistanden, sie von Versteck zu Versteck geleiteten und nicht zuletzt deshalb so viel wert waren, weil sie immer wieder und immer neu Mut machten, nicht aufgaben, noch jemanden fanden, auf die Verlass war. Fast ließe sich sagen, Frenkels Bericht lese sich leicht. Dem ist auch so, wenn die knappe Sprache, die schnörkellose Erzählweise gemeint ist. Das Gewicht, das die Aufzeichnungen haben, liegt in dem, was da steht. Es ist die Geschichte einer Frau, die während vier Jahren durch Frankreich gehetzt wird und der es letztlich gelingt, mit dem Sprung über die Grenze in die Schweiz das nackte Leben zu retten. Mit dabei hatte sie „das armselige Bündel, Gefährte auf meinen wiederholten Fluchten, in dem alles enthalten war, was ich aus Frankreich mitgebracht hatte, ausgenommen ein verzweifeltes und todmüdes Herz …“. In diesem Herz trug sie auch jenes Gefühl, das plötzlich in ihr „keimte“, das „größer (wurde) – das herzzerreißende Heimweh nach diesem Land, das ich im Begriff war zu verlassen“. Françoise Frenkel kehrte nach Kriegsende nach Nizza zurück, vermutlich Ende 1945, wo sie bis zu ihrem Tod am 18. Januar 1975 lebte.

Titelbild

Françoise Frenkel: Nichts, um sein Haupt zu betten.
Übersetzt aus dem Französischen von Elisabeth Edl.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446252714

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