Südstaaten-Schmuckkästlein

William Faulkners frühe New Orleans-Stories in der Übersetzung von Arno Schmidt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich hat man ja so alles im eigenen Bücherregal, was sich gehört – eben auch ein bisschen William Faulkner und erst recht den (fast) vollständigen Arno Schmidt. Aber dennoch fallen einem immer wieder Bücher in die Hände, auf die man nicht gewartet hat, die aber dennoch gerade recht kommen. So auch in diesem Fall: William Faulkners Zeitungsskizzen aus New Orleans, übersetzt vom widerwilligen Arno Schmidt, ergänzt durch eine Erzählung desselben und begleitet durch eine Einleitung von Carvel Collins sowie einem kundigen Nachwort von Bernd Rauschenbach. Dass es sich dabei um eine Edition der Arno Schmidt-Stiftung handelt, bedarf kaum noch der Erwähnung, aber sicherlich der Umstand, dass dieses handliche, etwa 230 Seiten umfassende Büchlein in einem schmucken Schuber verpackt worden ist. Hübsch ist es anzusehen, liegt angenehm in der Hand, und liest sich auch angenehm. Was will man freundlicheres über das frühe Prosawerk eines mit dem Literaturnobelpreis geehrten Erzählers sagen?

Faulkner lebte 1925 für einige Zeit in New Orleans und veröffentlichte in diesem Jahr seinen ersten Roman. Parallel begann er, für Zeitungen zu schreiben und veröffentlichte dort einige Stories, in denen er versuchte das New Orleans-Ambiente intensiv zu verarbeiten. Bemerkenswert sind diese Jahre insofern, als Faulkner zuvor Lyrik schrieb und sich nun erst, mit 28, als Erzähler neu erfand – höchst erfolgreich, wie im Nachhinein zu konzedieren ist. Aber eben nur im Nachhinein: Denn erst der Nobelpreis, der ihm für das Jahr 1949 – allerdings erst 1950 – verliehen wurde, verschaffte Faulkner finanzielle Unabhängigkeit, was immer das heißen mag. Eine fast typische literarische Karriere, wenn man seinen Alkoholkonsum und die Wortkargheit, die ihm nachgesagt werden, hinzunimmt. Aber Autoren leben auch von den Erzählungen, die es über sie gibt, und die andere Autoren über sie erfunden haben. Bertolt Brecht über Thomas Mann, Kurt Tucholsky über Carl Sternheim und so weiter.

So auch in diesem Fall. Ohne gleich in die Arno Schmidt-Biografie abzusteigen, kann man wohl davon ausgehen, dass Schmidt Faulkners Erzählungen nicht gemocht hat, und davon derart beunruhigt war, dass er sich mit „Piporakemes!“ gleich ein stilisiertes Selbstinterview auf den literarischen Leib geschrieben hat. Darin kommt dann auch so ziemlich alles vor, was man gegen die Erzählungen vorbringen kann: die kuriose Zusammenstellung, eher Mixtum als Compositum, der falsche Ton, die Gedichte in Prosa, die sentimentalistischen, zaghaft-heuchelnden Töne, der Umstand gar, dass der Band zwar mit New Orleans hausieren geht, aber man von der Stadt nicht mehr als die recht allgemeine Kulisse erfährt, und auch der kaum verhohlene Rassismus vor allem der Erzählung vom dummen Schwarzen, der sich in den Kopf gesetzt hat, nach Afrika zurückzukehren – was Schmidt sogar in seinem Begleitbrief an den Verlag erwähnt, dem er seine Übersetzung von Vorwort und Stories im November 1960 schickt. 1962 ist der Band dann auf Deutsch bei Goverts in Stuttgart erschienen.

Nun wird man dem New Orleans-Band nicht vorwerfen können, was er nicht zu sein verspricht, nämlich eine konzeptionell durchdachte Sammlung von Stories zu sein. Vielmehr handelt es sich um frühe Zeitungsarbeiten und Stilübungen, die wenig mehr zusammenhält als der Umstand, dass sie mehr oder weniger zur selben Zeit, während des New Orleans-Aufenthaltes ihres Autors, entstanden sind und deshalb vom Herausgeber versammelt wurden. Das fiktionalisierte New Orleans-Ambiente bildet dann auch nur vermeintlich einen fiktionalen roten Faden.

Faulkner schreibt die Merkwürdigkeiten einer Gesellschaft zusammen, die sich ihrer eigenen Rohheit kaum bewusst ist. Die Landbewohner, die noch mit Holzschuhen herumlaufen, der Lügner, der in den Ruch kommt, einmal doch die Wahrheit erzählt zu haben und deshalb niedergeschossen wird, der schwarze Terrorist, der von der Nationalgarde niedergemäht wird und doch nichts anderes ist, als ein verwirrter, nichts ahnender Hinterwäldler, die Diebe, die sich wegen des schwachsinnigen Bruders eines von ihnen derart in die Wolle kriegen, dass sie gleich eingebuchtet werden, der Glückspilz, der ein Geldstück findet und binnen kurzer Zeit zu Wohlstand kommt, der sofort wieder vergeht.

Man kann diesen Geschichten vieles nachsagen. Sie sind inkorrekt, behandeln merkwürdige Gestalten auf eine Weise, die inakzeptabel sein kann, und sind doch allesamt grandios. Ihr Personal ist nicht reflektiert und überlegen, sondern borniert, ungebildet, ja auch klischeehaft. Aber diese Erzählungen sind es nicht, sondern ein grandioses Vergnügen, an dem der Übersetzer – der von sich nicht allzu gering dachte – den Großteil Verantwortung trägt.

Man mag die Atmosphäre genießen, die Charaktere loben und den Stil dazu, man mag den Blick auf diese französischste aller US-amerikanischen Städte honorieren und wird doch damit den Texten nicht im Geringsten gerecht. Was aber an ihnen deutlich wird – und auch daran hat Schmidts Übersetzung einen großen Anteil –, ist, was den deutschsprachigen Texten der 1920er-Jahre noch alles fehlte, um endlich in die Moderne zu kommen. Um 1925 kommt es schließlich auch hierzulande zum stilistischen Umschwung in die Moderne, aber erst nach Faschismus und Krieg wurde den deutschen Erzählern klar, was sie an den amerikanischen Stories hatten. Arno Schmidt hat den Ton der Faulkner’schen Erzählungen vielleicht nicht gemocht, aber er hat ihn in unnachahmlicher Weise ins Deutsche übertragen. Dass es dabei auch zu Vorhaltungen wegen einiger allzu Schmidt’scher Stellen kommen könnte, hat der Verlag – der auf die Schmidt’sche Tirade geradezu stoisch reagierte – bereits gesehen. Und sich mehr erhofft. Also bitte: Mehr von beidem! Schmidt und Faulkner.

Titelbild

William Faulkner: New Orleans. Skizzen und Erzählungen.
Herausgegeben von Bernd Rauschenbach. Mit einem Vorwort von Carvel Collins.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Arno Schmidt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
236 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783518804100

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