Zwischen Empowerment und kirchlicher Entmachtung

Ein Sammelband zu Frauen in der Reformation bietet differenzierte Gender-Konstruktionen und vielfältige Konfessionsperspektiven

Von Aline SeidelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Aline Seidel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Sammelband geht begrüßenswerter Weise über die bisherigen Einzeluntersuchungen zu bekannten Frauengestalten als Akteurinnen der Reformation hinaus, in denen überwiegend Fürstinnen oder Ehefrauen von Reformatoren dargestellt wurden. Er nimmt hingegen auch alltagsorientierte Geschichtsforschung, respektive ‚Laientheologinnen‘ in den Blick. Jens Klingner stellt in seinem Beitrag den Stand des Editionsprojekts zur Korrespondenz der Herzogin Elisabeth von Sachsen (1502-1557) vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde vor. Die Briefe dokumentieren unter anderem die Einführung der Reformation durch die Herzogin in ihrem Rochlitzer Wittum sowie ihren Austausch mit anderen reformatorisch gesinnten Adligen. Nach Klingners Einschätzung birgt Elisabeths Korrespondenz noch großes Potenzial hinsichtlich der Erforschung persönlicher und familiärer Belange innerhalb der Kultur- und Alltagsgeschichte zur Zeit der Reformation. An manchen Stellen im Band überlappen sich die Darstellungen von Protagonistinnen der Reformation und die allgemeiner Lebenswelten und Rollenbilder, auch wenn diese Themenbereiche im Inhaltsverzeichnis gesondert aufgeführt sind. Das enthaltene Personen- und Ortsregister dient der Orientierung, so dass die verschiedenen Punkte dennoch schnell gefunden werden können.

Der noch ausstehenden Integration in geschichtlichen Überblicksdarstellungen von Frauen als Akteurinnen, die mit ihrem theologischen Denken und religiösen Schriften zur Verbreitung reformatorischen Gedankenguts beitrugen, wird hier besonders Rechnung getragen. Dorothee Kommer und Sarina Jaeger stellen heraus, dass sowohl der Reformation gedanklich nahestehende Autorinnen als auch altgläubige Frauen publizierten. Sehr gelungen ist dabei Sarina Jaegers biografische Gegenüberstellung der beiden Autorinnen Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer, die gleichsam als Pole die möglichen unterschiedlichen Konfessions- und Standeszugehörigkeiten (als Adlige verheiratete Frau versus Nonne) markieren. Beiden Frauen gelingt es, in ihren Schreiben mit unterschiedlichen Tropen und Verhandlungsstilen ihre jeweiligen Gegenspieler dazu zu bewegen, ihre Anliegen wahrzunehmen, nämlich antipodisch zum einen reformatorisches Gedankengut zu verbreiten und zum anderen als Äbtissin ihr Kloster katholisch zu erhalten.

Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer beteiligen sich, wie auch andere Frauen, auf diese Weise publizistisch in Rekurs auf das Diktum des ‚Priestertums aller Glaubenden‘ für oder gegen reformatorisches Gedankengut. Der selbst verantwortete Glaube hängt hier mit der damaligen Standeszugehörigkeit zusammen, wie es Martin Arnold mit seinem Beitrag „Evangelische Glaubenspraxis und religiöses Engagement niederadliger Frauen im 16. und 17. Jahrhundert“ gelungen herausstellt. Arnold hebt in seinem Beitrag zudem hervor, dass Frauen religiös relativ selbstbestimmt waren und bleiben konnten, insbesondere als adlige Witwen, bei der Verwaltung der Patronatsrechte ihrer Familien. Niederadligen Frauen standen geringere Gestaltungsmöglichkeiten im religiösen Engagement zur Verfügung, wobei eine vertiefte Erforschung dieses Bereichs noch aussteht. Festzuhalten sei hier, laut Benjamin Müsegades’ Darstellung, dass (hoch-)adlige Frauen bereits in ihrer Erziehung und zur Förderung eigener intellektueller Interessen vor allem Zugang zu religiösen Schriften auch anhand ihres eigenen Buchbesitzes hatten und dadurch zeitgenössische Diskurse als Autorinnen von Flugschriften am meisten mitprägen konnten. Laut Müsegades ist Argula von Grumbach sogar „eine Bestsellerin der frühen Reformationszeit“ gewesen und wurde unter anderem von Martin Luther sehr geschätzt. Schwieriger hingegen sind nichtadlige Frauen als Akteurinnen für die Reformation außerhalb schriftstellerischer Tätigkeiten zu fassen, aber auch um diese Darstellung bemüht sich der Band. So entwirft Franziska Neumann gekonnt als neuartige These, dass Frauen während des Bauernkrieges (historisch angemessener ist von Bauernaufstand zu sprechen) in den Quellen dann Erwähnung fanden, wenn es um die Darstellung der Verkehrung gottgewollter Ordnung ging, um so die Aufstände zu diskreditieren. Entgegen der geforderten Unterordnung wurden Frauen darin entweder als selbstständig und gewalttätig agierend dargestellt. Männer wiederum wurden als weiblich und duckmäuserisch beschrieben und somit als unfähig, ihre Frauen, in deren postulierter schwächerer Körperverfassung, zu schützen. Die Quellenlage gibt also eher interessengeleitete Genderkonstruktionen und Ordnungsvorstellungen sowie die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern wieder statt historische Erfahrungen und Aktionsspielräume von Frauen.

Wie Gabriele Jancke in ihrem Beitrag – der gekürzt und ohne Wiederholungen eine größere argumentative Wirkungskraft entfalten hätte können – feststellt, ist auch die adlige Katharina von Bora, die heute als eine Ikone der Reformationsgeschichte gilt, sowohl in ihrem Wirken als auch als reale historische Person nur schwer zu fassen. Jancke zeigt sehr detailliert anhand von Einzeluntersuchungen unterschiedlicher Werke über Katharina von Bora aus verschiedenen Konfessionen und Jahrhunderten auf, dass diese einerseits dazu benutzt wurde, um als Rollenmodell für Genderkonzepte zu dienen, wobei der Fokus hier auf der religiös gebildeten, sittsamen und den Haushalt und Kinder versorgenden Pfarrfrau (besonders in der Instrumentalisierung durch die NS-Ideologie) lag. Andererseits wurde sie als abtrünnige Nonne voll sexuellen Verlangens gezeichnet, um so gegen das evangelisch neu entstehende Konzept der Ehe auch für Geistliche zu polemisieren. Sehr pointiert nimmt Jancke dabei Deutungen innerhalb der Pfarrhausliteratur auf die Schippe, indem sie insgesamt ihrer Verwunderung über die Darstellung von Katharina als Pfarrfrau und Martin Luther als das Pfarramt versehender Ehemann Ausdruck verleiht, da diese gar nicht im Mittelpunkt einer Kirchengemeinde agierten, sondern einem Professorenhaushalt vorstanden.

Die sich in der Geschichtswissenschaft etablierende feministische Perspektive wird in dem Sammelband zudem hinsichtlich Gender-Konstruktionen erweitert. So ist sehr erfrischend im Aufsatz von Ute Gause über „Reformation und Genderforschung“ zu lesen, dass sich mit der Wandlung des Zölibats zur Priesterehe nicht nur neue Gestaltungsmöglichkeiten von Lebenswelten für Frauen ergaben, sondern dass vielmehr durch die Reformation auch Vorstellungen männlicher Sexualität und generell Geschlechtsvorstellungen mit ihren Rollen und Normierungen neu konstituiert wurden, wobei hier die Forderung und die damit einhergehende Aufwertung der Ehe als natürlicher Lebensgestaltung, gerade auch durch Martin Luthers Schriften, eine besondere Rolle spielte. Gause legt dar, dass nun männliche Sexualität im Vergleich zum mittelalterlich asketischen Reinheitsideal aufgewertet und als ein Grundbedürfnis des Menschen im Rahmen der Ehe bejaht wurde. Auch die neu entstehende Hausvaterrolle und die damit einhergehende Frömmigkeit wurde und wird häuslich konnotiert, sodass nicht nur die Rollenvorstellungen von Frauen in häuslicher Einordnung erfolgten.

Bezüglich dieser Neuordnung von Geschlechterrollen besteht in der Forschung aber bis heute eine sehr strittige Kontroverse, die zwischen möglicher Befreiung von Frauen aus vorgeprägten Glaubens- und Gesellschaftsstrukturen zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten und ihrer Entmachtung oszilliert. Einerseits wurden Mädchenschulen gegründet, sodass die Heilige Schrift in der Volkssprache und auch für Frauen bildungstechnisch lesbar wurde. Auch die Ehefrau- und Mutterrolle wurde aufgewertet, die neben dem häuslichen Bereich auch weitgehende Verantwortung in wirtschaftlichen Aufgaben, in der Armen- und Krankenfürsorge und in der, auch religiösen, Anleitung der Hausgemeinschaft beinhaltete. Heutzutage würden wir es als Personalmanagement und Finanzverwaltung eines mittelständischen Betriebes bezeichnen, um einen anachronistischen Vergleich zu bemühen. Stefan Dornheim erwägt diese „‚Erfindung‘ der evangelischen Pfarrfrau, [die sich] gegen das tradierte Negativimage der sogenannten Pfaffenhure [für die vormals zölibatär lebenden Priester] durchsetzen musste“ gar als eine Verlagerung der ehemals klösterlichen Sozial- und Versorgungsdienste auf die Institution der Pfarrfamilie. Er zeichnet zudem die Bedeutung der „ersten Pfarrfrauengeneration“ nach und zeigt überzeugend auf, wie sehr diese, durch ihre Bildung im Kloster oder aus adligen Verhältnissen stammend, sowohl ihre reformatorisch gesinnten Männer theologisch unterstützen konnten als auch Netzwerke pflegten und gestalteten, oft im „überraschenden Gegensatz zu deren [späteren] erinnerungsgeschichtlicher Bedeutungslosigkeit“. Dornheim bringt die Pfarrfrauen damit zurück ins kollektive Gedächtnis und konstatiert gleichsam zu männlich vererbten Adelstiteln eine weiblich ‚vererbte‘ Linie von Pfarrfrauen, die durch Verheiratungen innerhalb von Familienverbänden und als lehrende Pfarrwitwen eine mögliche Emanzipation im 18. Jahrhundert einleiteten.

Andererseits wurden Frauen durch diese neuen Vorstellungen aber auch wieder domestiziert, indem sie sich in ehelichen und häuslichen Pflichten unter die rechtliche Vormundschaft von Vater und Ehemann unterordnen sollten. Die zuvor gelebte intellektuelle Freiheit in Klöstern als Ordensfrauen jenseits des Ehestandes ging weitestgehend verloren. Anne Conrads Beitrag „Vom Evangelium zur Ehe. Frauen in der Zeit der Reformation“ gibt diese Oszillation von Ermächtigung und Entmachtung gekonnt wieder. Die Autorin erstellt durch ihre vielfältigen und überregionalen Beispiele von adligen und bürgerlichen Akteurinnen ein differenziertes Bild von Geschlechterkonstruktionen innerhalb der Reformation.

Die neu entstandenen Perspektiven und damit einhergehenden ökonomischen Schwierigkeiten von Ordensfrauen durch die reformatorischen Umwälzungen fehlen in der Darstellung des Sammelbandes ebenfalls nicht. „Fliehen oder bleiben?“ lautete die Devise, wie Sabine Zinsmeyer passend tituliert. In fast schon romanartig spannend zu lesender Façon gibt sie in ihrem Beitrag Selbstzeugnisse von Nonnen wieder, die sich zwischen Repressalien innerhalb reformatorisch gesinnter Herrschaftsgebiete als im Kloster bleibende altgläubige Glaubensvertreterinnen und der verlockenden aber unsicheren Möglichkeit neuer reformatorischer Glaubensvollzüge entscheiden mussten – wobei letztere Entscheidung mit der gleichzeitigen Entscheidung für eine Lebensgestaltung als vor allem protestantisch lebende Ehefrauen einherging, sofern sie als entlaufene Nonne geheiratet und nicht vom Umfeld verachtet wurden. Jasmin Irmgard Hoven-Hacker untersucht zu dieser Entscheidungsproblematik in ihrem Beitrag darüber hinausgehend sehr erhellend das „äußerst disparate[ ] Bild“ von Nonnen fürstlicher Herkunft in der Reformationszeit anhand von Beispielbiografien. Sie beschreibt, dass Nonnen je nach der Glaubensgesinnung ihrer Herkunftsfamilie von ihrer Klosterflucht gehindert wurden oder von einer reformatorisch überzeugten Familie trotz ihrer altgläubigen Überzeugung teils dazu gezwungen wurden, beziehungsweise aufgrund der Bauernunruhen aus ihren Klöstern fliehen mussten.

Abgerundet wird der Sammelband durch Anke Fröhlich-Schauseils kunsthistorische Perspektive auf die Caritas-Darstellungen von Lucas Cranach, welche ihrer Meinung nach das reformatorisch neu entstehende Familien-, Frauen- und Mutterideal der uneigennützigen Nächstenliebe abbilden.

Auch der Aufsatz von Ralf Frassek zum sächsischen Eherecht liefert den Hintergrund für juristische Veränderungen durch reformatorisch gewonnene neue Überzeugungen zur Ehe, wobei Frasseks Abgrenzung zu „Irrationalität“ und der Betonung des „rationale[n] Gehalt[s] des evangelischen Eherechts“ für mich nicht argumentativ einordbar waren, sondern eher wie pejorative Ausdeutungen der Rekonstruktion von Eherechtsgeschichtsschreibung klangen.

Insgesamt bietet der Band eine sehr wünschenswert differenzierte Sicht auf die verschiedenen, teils entstehenden Konfessionen des Reformationszeitalters im Zusammenhang mit Frauenbildern und Akteurinnen verschiedener mittelalterlicher Stände und Bekanntheitsgrade. Zudem erfolgen Untersuchungen zu Geschlechtskonstruktionen, die auch über den Titel Frauen und Reformation hinaus in Bezug auf Männlichkeitsbilder gewinnbringend eingebracht werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Martina Schattkowsky (Hg.): Frauen und Reformation. Handlungsfelder – Rollenmuster – Engagement.
Im Auftrag der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016.
354 Seiten, 66,00 EUR.
ISBN-13: 9783865839275

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