Schillerndes Erzählgewebe mit dunklen Fäden
Rafik Schamis Roman „Sami und der Wunsch nach Freiheit“ führt mitten in die Altstadt von Damaskus und zu den Anfängen des Aufstands in Syrien
Von Hannelore Piehler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs ist die Geschichte einer tiefen Freundschaft: „Ich weiß nicht mehr, wann ich Sami kennengelernt habe. Ich war, seit ich denken kann, immer sein Freund. Wir wohnten in derselben Gasse. Unsere Wohnungen waren nicht einmal hundert Meter voneinander entfernt.“ Doch es ist nicht nur die räumliche Nähe, die Scharif und Sami verbindet, über die gesagt wird, sie „seien die einzigen Zwillinge der Welt, die zur gleichen Stunde, aber von zwei verschiedenen Müttern zur Welt gebracht worden waren.“ Die beiden „Freundschafts-Zwillinge“ sind die Protagonisten in Rafik Schamis Roman Sami und der Wunsch nach Freiheit, den der Autor den „tapferen Kindern von Daraa gewidmet hat, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“. Die syrische Diktatur und der Aufstand der Syrer im Zuge des Arabischen Frühlings prägen die Geschichte und das Schicksal der beiden Freunde.
Die Handlung spielt, wie schon in vorangegangenen Romanen, in Schamis Geburtsstadt Damaskus. Auch die Gasse im christlichen Viertel der Altstadt, in der die beiden Protagonisten leben, dürfte seinen Leserinnen und Lesern bekannt sein. Es ist eine eher ärmliche Gegend, die Häuser sind aus Lehm und Holz, „nur die Reichen wohnten in schönen Steinhäusern“. Während Scharif mit seinen Eltern immerhin in einem großen Haus lebt und nur Küche und Toilette mit den Bewohnern der Etage teilen muss, wohnt Sami mit seinen Eltern und Geschwistern sowie mehr als zehn anderen Familien im „,Gnadenhof‘, einer Ansammlung von miserablen Behausungen der ärmsten Christen“. Der Kontrast zwischen Arm und Reich bildet einen der Fäden, aus denen der Autor kunstvoll seine Geschichte webt. Andere Fäden sind der Sinn für (Un-)Gerechtigkeit, der Sami schon früh – zum Beispiel in der Schule – aufbegehren lässt, was ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringt, oder seine Bereitschaft, aus Liebe auch große Gefahren einzugehen.
Schnell wird klar, dass äußerer und innerer Reichtum nicht immer einhergehen, wenn Scharif sagt: „Sicher waren unsere Eltern arm, aber sie waren reich an Gefühlen in jeder Hinsicht“. Oder wenn er über den Postboten Elias, einem guten Freund der beiden Jungen äußert: „Doch so arm er als Rentner lebte, so reich waren seine Geschichten und Abenteuer, die er als Postbote erlebte. ,Man klopft oder klingelt an eine Tür und schon öffnet sich eine Theaterbühne oder das Tor zur Hölle oder das Fenster zum Paradies. Es ist wie ein spannender Fortsetzungsroman, der nie zu Ende geht‘“.
Mit dieser Aussage lässt sich auch Schamis Roman treffend beschreiben. Denn die Geschichten aus der Kindheit und Jugend von Sami und Scharif erzählt Letzterer in der Erzählkonstruktion nach seiner Flucht nach Deutschland dem Autor Rafik Schami bei zahlreichen Treffen und Gesprächen – und dieser wiederum schreibt sie auf, „so wie Scharif sie mir erzählt hat. Ich habe es ihm fest versprochen“. Der Eindruck des mündlichen Erzählens dominiert den gesamten Roman, der immer wieder den Fortgang gekonnt verzögert beziehungsweise durch kleine Voraus- und Andeutungen Spannung erzeugt. Der Leser ist nicht nur auf die Entwicklung der beiden Protagonisten gespannt, die sich aus armen Verhältnissen bis zum Informatikstudium hocharbeiten und die schließlich durch die Wirren um den Aufstand in Syrien getrennt werden, sondern auch auf die zahlreichen Anekdoten und Lebensweisheiten, die der Roman enthält. Wie in anderen Büchern Schamis, der bereits 1971 nach Deutschland kam, beeindruckt auch hier die große Zahl vielfältiger, liebenswerter und schillernder Figuren – vom Postboten Elias über die Hebamme Sofia bis zum Straßenverkäufer Amin Schahin, der die Dichtung liebt und von sich selbst sagt: „Jede Nacht gehe ich als Dichter ins Bett und wache als Straßenverkäufer auf“.
Unter anderem am Schicksal des Straßenverkäufers, der eines Tages plötzlich verschwindet, um Wochen später völlig verunstaltet wieder aufzutauchen, wird die Grausamkeit und Willkür der syrischen Geheimdienste, die Menschen entführen, verhaften und foltern, deutlich gemacht. Eine Mischung aus Gewalt, Korruption, Angst und Schweigen, die die andere Seite des Lebens von Scharif und Sami in Damaskus ausmacht, bildet die dunklen Fäden und den Grundton des Erzählgewebes in diesem „Jugendroman“, der sich damit als Lektüre nicht nur für Jugendliche empfiehlt. Denn wer sich abseits der hiesigen politischen Diskussion, die sich nur noch um die Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Europa dreht, einen Eindruck vom Leben in Syrien, dem Aufstand 2011 und der Sehnsucht nach Freiheit machen möchte, findet mit diesem Buch einen guten Einstieg.
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