Wie Hoffnung schöpfen?

Paulus Hochgatterer erzählt in „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ von traumatisierten Menschen

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Umschlag des schmalen Bandes zeigt eine Landschaft ohne Menschen. Der Vordergrund ist dunkel, fast schwarz. Dahinter vereistes Gebirge. Eisgrauer Himmel darüber. Eine hoffnungslose Gegend. Tatsächlich entspricht die Erzählung Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war von Paulus Hochgatterer, der auch Primar der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tulln (Niederösterreich) ist, auf mehreren Ebenen den Evokationen des Buchcovers. Das Buch versammelt auf seinen nur gut 100 Seiten Menschen, die allesamt traumatisierende Ereignisse verarbeiten müssen. Sie leben in einer Welt voller Gewalt. Diese auszuhalten gelingt, indem man davon erzählt, indem dabei möglicherweise das Faktische mit dem Fiktiven vermischt wird.

Es ist März 1945, zwei Wochen vor Ostern. Ort der Handlung ist ein niederösterreichischer Bauernhof in der Nähe von St. Valentin, dem Standort des Nibelungenwerkes zur Produktion von Panzern für die Front. Am 17. Oktober 1944 wurde es bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. An diesem Tag taucht auf dem Bauernhof der Familie Jakob und Barbara Leithner die dreizehnjährige Cornelia auf. Das Mädchen kann sich an nichts erinnern, stellt fest: „Ich glaube, in meinem Kopf ist alles weggebomt.“ Ihre Eltern und zwei Brüder sind bei dem erwähnten Bombenangriff ums Leben gekommen. Sie wird von den Leithners aufgenommen und Nelli gerufen. Nelli ist es, die die Ereignisse vom 14. März 1945 bis zum Ostersonntag am 1. April 1945 erzählt.

Durch sie erfahren wir vom tragischen Tod eines Kleinkindes in der Nachbarschaft und den Leiden von dessen Eltern, die das Drama nicht verarbeiten können. Bedrückend auch die Ängste eines Kindes, das befürchtet, von einer anderen Familie adoptiert zu werden. Der Bruder des Bauern ist krank, denkt an Suizid und verheimlicht Jakob Leithner die Nachricht vom Tod des Ältesten an der Front. Schließlich erscheint am 21. März mit einer Gruppe Ausgebombter Michail auf dem Hof, ein russischer Zwangsarbeiter auf der Flucht. Er ist suprematistischer Maler und hat ein Bild dabei, das offensichtlich für ihn von größtem Wert ist. Nelli schlägt ihm als Sujet Märtyrer vor. So wird daran erinnert, dass die Geschichte der Gewalt eine alte ist, und die Frage aufgerufen, wie sie in der Kunst verarbeitet wird. Überhaupt sind zwei Fragen in die Erzählung eingeschrieben: Was bewirkt schreiben und was das Bild? Die dreizehnjährige Erzählerin theoretisiert nicht. Sie berichtet einfach, beschreibt genau, lässt Mut und Humor erkennen, gibt aber keine Antworten. Hochgatterers präzise Komposition leiten jedoch uns Leserinnen und Leser, Fragen zu stellen und Antworten zu versuchen. Das geschieht unaufdringlich, und ist deswegen große Kunst.

Am Gründonnerstag 1945 quartiert sich eine Gruppe Wehrmachtsoldaten im Hof der Leithners ein. In einem Interview mit dem ORF schildert Hochgatterer, dass der Großvater mütterlicherseits auf seinem Bauernhof in den letzten Kriegstagen mit einem noch wahnhaft an der Idee des Nationalsozialismus festhaltenden Wehrmachtsoffizier konfrontiert war, der auf dem Hof einen Ostarbeiter aus irgendeinem nichtigen Grund erschießen wollte. Auch diese Geschichte erzählt Nelli auf ihre Art.

Geschichte besteht aus verschiedenen Geschichten. Nellis Perspektive steht in Hochgatterers Erzählung nicht allein. Dazwischengesetzt finden sich die legendenhaften Texte Geschichte vom nicht ertrunkenen Kind, Die Geschichte vom nicht erschossenen Suprematisten und Die Geschichte vom glücklichen Ende. Es scheint, als bräuchten wir diese Perspektive des guten Ausgangs, um die Grausamkeit des Lebens ertragen zu können. Dabei ist nicht sicher, ob diese Geschichten mit gutem Ausgang in jedem Fall dem Faktischen ferner sind. Schließlich berichtet Hochgatter in erwähntem Interview, der Großvater habe den fanatischen Wehrmachtsoffizier von seinem Vorhaben abringen können. Er war ein Held. Das ist eine Lesart. Die kurze Erzählung, das große Kunstwerk erlaubt auch andere Lesarten.

Durch die zeitliche Fixierung der Ereignisse gerät auch die wirkmächtigste aller Hoffnungsgeschichten, die Erzählung von der Auferstehung Jesu, in ein schillerndes Licht. Sicher ist, dass es wenige so prägnante Bücher gibt, die große Fragen stellen und unaufdringlich Antworten provozieren.

Titelbild

Paulus Hochgatterer: Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war. Erzählung.
Deuticke Verlag, Wien 2017.
111 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783552063495

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch