Über die Literatur im Zeitalter der Krise

Hans Blumenbergs frühe „Schriften zur Literatur“ sind erschienen

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im vergangenen Jahr sind zwei Bücher erschienen, die Wichtiges leisten für die Erschließung von Leben und Werk des jungen Hans Blumenberg. 1920 in Lübeck geboren, 1996 im Alter von 75 Jahren verstorben, war Blumenberg seit den späten 1950er Jahren ein wichtiger Name in der bundesdeutschen Philosophie, als Lehrstuhlinhaber in Gießen, Bochum und Münster sowie als Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher, von denen die Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960) sowie das große Werk über Die Legitimität der Neuzeit (in erster Ausgabe 1966 erschienen) als erste wichtige genannt werden können. Sowohl biografisch als auch mit Blick auf Blumenbergs akademische Laufbahn beziehungsweise seine Publikationstätigkeit in den ersten drei bis vier Jahrzehnten seines Lebens liegt jedoch noch einiges im Dunkeln oder jedenfalls abseits eines Großteils des auf Blumenberg verwandten wissenschaftlichen Interesses. Hier hat nun zum einen Kurt Flasch, der selbst als Philosoph und Philosophiehistoriker Spezialist für Spätantike und Mittelalter ist, mit seinem bemerkenswerten, ebenso umfangreichen wie gründlichen Buch Hans Blumenberg. Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966 Abhilfe geschaffen. Leider dürfte die Wahrnehmung dieses Buches allerdings unter seinem kaum erschwinglichen Buchhandelspreis empfindlich leiden. Und zum anderen ist da ein von den Konstanzer Literaturwissenschaftlern Alexander Schmitz und Bernd Stiegler herausgegebener Band, der Blumenbergs Schriften zur Literatur aus den Jahren 1945 bis 1958 versammelt. Letzterer ist der Gegenstand dieser Besprechung.

Mit insgesamt 41 Beiträgen, die Hans Blumenberg nach Kriegsende zu Vortragszwecken, als Radiobeiträge oder als Artikel für Zeitungen und Zeitschriften verfasste – teils blieben die Texte auch unpubliziert und werden nun aus dem Nachlass des Philosophen, der sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach befindet, ediert –, wartet der Band auf. Es handelt sich um kürzere Rezensionen und literaturkritische Glossen, aber auch um einige längere Essays. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Jahren 1953 bis 1955, als Blumenberg vor allem in den Düsseldorfer Nachrichten und in den Bremer Nachrichten veröffentlichte (teils unter Pseudonym); einige längere Beiträge erschienen auch in der katholischen Kulturzeitschrift Hochland. Hinzu kommt, als Abschluss und besonderer Glanzpunkt des Buches, ein langer, auf 1938 datierter Aufsatz über Hans Carossa, der nun aus dem Nachlass erstmals veröffentlicht wird und der Datierung zufolge noch zu Schulzeiten Blumenbergs, der 1939 seinen Abschluss am Lübecker Katharineum machte, verfasst worden sein muss. Alles in allem vermittelt das Buch so einen ganz anderen Zugang zum Werk Blumenbergs, als ihn zum Beispiel seine späteren Texte über Literatur, etwa seine Studien zu Paul Valéry, vermitteln, oder auch der von denselben Herausgebern 2015 veröffentlichte Schwesterband, Blumenbergs Schriften zur Technik, die etwa aus dem gleichen Zeitraum stammen wie nun die Schriften zur Literatur.

Mit Blick auf den Entstehungszeitraum der Texte kann es sicherlich nicht überraschen, wenn Blumenberg die Auseinandersetzung mit Literatur als Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart respektive der Epoche versteht, und zwar mit ihr als einer Krisenerfahrung. In einem Vortrag über Das Problem des Nihilismus in der deutschen Literatur der Gegenwart (1950) stellt er eine „Krise der fundamentalen Wirklichkeitsgewißheit“ fest; „und diese Krise wird um so umfassender und akuter sein, je bedrängender und unabweisbarer jene Erfahrungen sind.“ Der Nihilismus ist hier für Blumenberg der Begriff für die Krise einer Epoche, die ihre Wirklichkeit zwar unter einem Anspruch auf Verobjektivierung zu fassen versucht, daran aber scheitert. Aus heutiger Sicht ist man natürlich geneigt, solche Überlegungen – nicht allein bei Blumenberg – auf die Verheerungen des Nationalsozialismus, Krieg und Völkermord zu lesen; zeittypisch scheint aber auch, dass diese als solche kaum zur Sprache kommen, die „Krise“ vielmehr als Epochenphänomen auf die Neuzeit insgesamt bezogen wird.

Die Herausgeber zitieren in ihrer editorischen Notiz einen Satz, mit dem Blumenberg sich nur wenige Monate nach Kriegsende, im November 1945, an den Insel Verlag wandte: „Der Unterzeichnete hat, obwohl ihm die Gesetzgebung der letzten zwölf Jahre jede publizistische Äußerung wie den Abschluß seines philosophischen Universitätsstudiums unmöglich machte, nicht den Ehrgeiz, um jeden Preis sich gedruckt zu sehen.“ Und in der Tat blieb der Dostojewski-Beitrag, den Blumenberg dem Verlag übersandt hatte, auch ungedruckt, bis er nun als erster Artikel dieses Sammelbandes erschienen ist. Davon abgesehen ist jedoch auffällig, wenn auch für die Nachkriegsjahre gleichfalls nicht ungewöhnlich, wie stark angloamerikanische Autoren bei Blumenberg präsent sind. Mit Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Jean-Paul Sartre, Ernst Jünger, Franz Kafka und anderen behandelt er zwar auch nicht-englischsprachige Literaturen, aber schon numerisch fällt das ausgeprägte Interesse für Autoren wie Samuel Beckett, G.K. Chesterton, T.S. Eliot, William Faulkner, Graham Greene, Ernest Hemingway, Aldous Huxley, Henry James und Evelyn Waugh ins Auge (genauso wie übrigens auch die völlige Abwesenheit von Autorinnen).

Über Blumenbergs Publikationsstrategien, warum er etwa ein Pseudonym wie „Axel Colly“ in seinen Zeitungsartikeln verwendete, gibt im Übrigen ebenfalls die editorische Notiz der Herausgeber Auskunft. In einer dieser Axel-Colly-Glossen aus dem Jahr 1955 diskutiert Blumenberg anhand der immer verbreiteteren rororo-Taschenbücher die Zukunft und das mögliche Aussterben des „Vollbuches“: Immerhin, so räumt er beispielsweise ein, habe ihn erst eine Taschenbuchausgabe mit dem Werk Felix Hartlaubs bekannt gemacht, dessen „Gesamtwerk“ er sich anschließend in einer hochwertigeren (und hochpreisigeren) Ausgabe zugelegt habe. Derlei „Taschenbuchköder“ scheinen also das Unbehagen angesichts des Einzugs des Taschenbuchs widerlegen zu können. Zweifellos haben wir es hier mit einer Krisendiagnose zu tun, die heute noch oder jedenfalls wieder in aller Munde zu sein scheint. Ob Blumenberg auch dem E-Book und digitalen Rezensionsportalen Ködereigenschaften hätte abgewinnen können, wollen und können wir hier nicht beantworten. Aber das vorliegende Buch selbst kann, obwohl es geradezu herkömmlich als Hardcover auf den Markt gekommen ist (es gibt freilich auch eine E-Book-Ausgabe), im Hinblick auf das Werk seines Autors sehr gut als ein Köder fungieren.

Titelbild

Hans Blumenberg: Schriften zur Literatur 1945-1958.
Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
371 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783518586976

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