Das Denken des Tertium
Slavoj Žižek erkundet das Konzept der Disparität als Grundlage des philosophischen Denkens
Von Axel Schmitt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn einer Passage gegen Ende des ersten Kapitels von Marcel Prousts Die Welt der Guermantes, dem dritten Band seines Romans Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, spricht der Erzähler Marcel mit seiner Großmutter am Telefon. Die Stimme, die ihm im Hörer begegnet, wird von der „natürlichen“ Gesamtheit des Körpers der Großmutter subtrahiert, zu dem sie gehört und aus dem sie als ein eigenständiges Teilobjekt für den Kommunikationsvorgang hervortritt. Für Marcel wird die Stimme zu einem körperlosen Organ, das magischerweise ein Eigenleben führen kann – ihm ist es, als habe er in einer aus den Fugen geratenen Welt die Stimme „allein vor [sich], ohne die Maske des Gesichts“. Marcel nimmt die Großmutter außerhalb der gewöhnlichen Bedeutung des warmen, liebenswerten Menschen, der sie ist, als „rot, schwerfällig, vulgär, krank, vor sich hindösend und mit einem etwas wirren Blick über ein Buch hingleitend [wahr], eine alte von der Last der Jahre gebeugte Frau, die ich gar nicht kannte.“
Durch das Aufbrechen der körperlichen Totalität, der organischen Einheit der Textur ›Großmutter‹, durch Subtraktion ihrer Stimme von ihrem Körper, gelangt man zu dem, was sie gemäß des Buches Disparitäten des slowenischen Philosophen Slavoj Žižeks „wirklich“ ist. Hier begegnet das ontologische Axiom eines Begriffes, der für Žižek zum Leitbegriff und zum Mittelpunkt eines neuen philosophischen Entwurfs wird, in dem die Inkongruenz der Wirklichkeit im Mittelpunkt steht: Disparität. Auf ihrer elementaren Ebene verweist die Disparität auf ein Ganzes, dessen Teile nicht zusammenpassen, sodass diese Totalität als ein Oxymoron erscheint, als ein aus disparaten Elementen Zusammengesetztes, dessen organische Einheit für immer zerstört beziehungsweise als grundlegendes Phantasma zu bezeichnen ist. Für Žižek besteht die einzige Möglichkeit, zur Wahrheit zu gelangen, darin, die imaginierte Einheit schonungslos in Einzelteile zu zerlegen, um sichtbar zu machen, dass es sich dabei um etwas Künstliches handelt. Dies gilt von der Personenebene (Marcel muss, um die Wahrheit über seine Großmutter zu erkennen, seine Erfahrung der Einheit ihrer Person destruieren, indem er sie in eine eigenständige obszöne Stimme und den ekelhaften körperlichen Rest trennt, der nicht mehr bruchlos die Einheit „Großmutter“ ergibt) bis hin zur Gesellschaftsebene (die organische Einheit des Sozialkörpers muss durch die Trennung in Klassen zerstört werden).
Die Totalität, die disparate Glieder vereint, ist eine unechte Totalität, eine Verbindung aus einander widerstreitenden, gegensätzlichen Elementen, die, wenn sie zusammengefügt werden, ein organisches Ganzes lediglich vortäuschen. Für Žižek ist eine solche disparate Struktur universell und konstitutiv für die Realität beziehungsweise für das, was wir als Realität erfahren:
Die Realität, die wir erfahren, ist niemals ›alles‹; damit die Illusion des ›alles‹ entstehen kann, muss sie um ein disparates künstliches Element ergänzt werden, das ihre Leerstelle beziehungsweise ihr Loch ausfüllt, wie bei einer Filmkulisse, die aus ›wirklichen‹ Elementen (Bäumen, Tischen, Wänden) zusammengesetzt, aber mit einem gemalten Hintergrund versehen wurde, der die Illusion schafft, dass wir uns in einer ›realen‹ Außenwelt befinden.
Mit anderen Worten: Das, was wir als Realität erfahren und benennen, ist immer schon beschnitten, gefiltert; irgendeine Dimension, irgendein disparates Element ist von ihr ausgeschlossen und kann nur als Fiktion erscheinen, als nicht zu unserer Realität gehörig. Die Realität des Menschen ist symbolisch konstruiert, also letztlich eine kollektiv praktizierte Fiktion. Das Reale dagegen ist innerhalb dieser Ordnung des Symbolischen ein nicht fingierbarer Kern, der sich nicht qua Sprache symbolisieren lässt. Es hat keine positive Existenz, sondern existiert nur ex negativo als Ausgeschlossenes, das an den Grenzen der gewöhnlichen Realität zum Vorschein kommt.
Philosophische Referenz für Žižeks Begriff der Disparität ist Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vorstellung der „Ungleichheit“, die dreimal an einer Schlüsselstelle des Vorworts zu dessen Phänomenologie des Geistes vorkommt, an der Hegel die prägnanteste Erklärung dafür bietet, was es bedeutet, die Substanz auch als Subjekt zu begreifen:
Die Ungleichheit, die im Bewußtsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt. Es kann als der Mangel beider angesehen werden, ist aber ihre Seele oder das Bewegende derselben; weswegen einige Alte das Leere als das Bewegende begriffen, indem sie das Bewegende zwar als das Negative, aber dieses noch nicht als das Selbst erfaßten. – Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstande erscheint, so ist es ebensosehr die Ungleichheit der Substanz zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein.
Nach Žižek ist Hegel als Anti-Organizist zu lesen, der nicht an eine wie auch immer geartete Totalität glaubt. „Die Ungleichheit zwischen Subjekt und Substanz ist gleichzeitig die Ungleichheit der Substanz mit sich selbst – oder, um es mit Lacan zu sagen, Ungleichheit heißt, dass der Mangel im Subjekt gleichzeitig der Mangel im Anderen ist.“ Dialektik ist im Sinne Hegels und Žižeks entsprechend nicht nur Totalität, sondern zeichnet sich dadurch aus, dass das Problem, das disparate Element isoliert und mit einer gedachten Totalität konstelliert wird, sodass Wahrheit als stets Fragiles nur approximativ erscheint, mit Differenzen, Antagonismen und Schatten behaftet ist.
Der dialektisch-materialistische Ausdruck „Disparität“ bezeichnet ein Nebeneinander von Ungleichem. Als disparat versteht Žižek gemeinsam auftauchende Begriffe dann, wenn sie nicht unter einen höheren Gattungsbegriff oder einer Gruppe zu einer Einheit zusammengefasst werden können, also keine ähnlichen Inhalte vermitteln und demnach unvereinbar sind. Dabei können sie zur Beschreibung eines dritten dienen und müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen. Žižek zufolge verweist Disparität in ihrer radikalsten Form
nicht einfach nur auf die Lücke zwischen Teilen oder Sphären der Realität, sie muss vielmehr auch selbstbezüglich verstanden werden und so gedacht werden, dass sie die Disparität einer Sache in Bezug auf sich selbst einschließt – oder, um es anders zu sagen, die Disparität zwischen einem Teil einer Sache und nichts. A ist nicht einfach nur nicht-B, es ist auch und vor allem nicht vollkommen A, und B tritt hervor, um diese Lücke zu füllen.
Zu denken wäre an Heinrich von Kleists berühmte Figurationen des Dritten: etwa den um die Mitte des 16. Jahrhunderts an den Ufern der Havel lebenden Rosshändler Michael Kohlhaas, „einen der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“, oder an Odysseus Stoßseufzer angesichts der plötzlichen Erscheinung der Amazonin Penthesilea: „So viel ich weiß, gibt es in der Natur/ Kraft bloß und ihren Widerstand, nichts Drittes.“ Das entspricht exakt der Ebene, auf der nach Žižek die ontologische Differenz zu verorten ist:
Die Realität ist unvollständig, lückenhaft, inkonsistent, und das höchste Wesen oder Sein ist die illusorische Vorstellung, die diesen Mangel, diese Leere, welche die Realität zu einem Nicht-Alles macht, ausfüllen (verschleiern) soll. Kurz gesagt, die ontologische Differenz – die Differenz zwischen der Nicht-Alles-Realität und der Leere, die sie durchkreuzt – wird durch die Differenz zwischen dem „höchsten“ oder „wahren“ Sein (Gott; das eigentliche Leben) und seinen sekundären Schatten verschleiert.
Das Denken des tertium setzt die Trennung von der (etwa von Gilles Deleuze ausgearbeiteten) Vorstellung der „Univozität des Seins“ voraus, die fraglos den Vorteil hat, uns zu ermöglichen, sämtliche Annahmen einer ontologischen Hierarchie aufzugeben – von der theologischen Vorstellung des Kosmos als eines hierarchischen Ganzen mit Gott als höchstem Agenten der energeia akinesias, dem einzigen vollständigen Wesen an der Spitze, bis hin zur gängigen marxistischen Hierarchie sozialer Sphären.
Žižeks Disparitäten ist nun der Versuch, „unsere Gegenwart einer Art hegelianischer Analyse zu unterziehen“ und die ontologischen, ästhetischen und politischen Dimensionen der Disparität freizulegen. Auf der ontologischen Ebene stellt sich die Disparität in ihrer radikalsten ontologischen Differenz dar; diesen Gedanken nimmt Žižek zum Ausgangspunkt einer Untersuchung des Fortbestehens der ontologischen Differenz in unserer immer eindimensionaler werdenden kapitalistisch-technologischen Welt. Dabei kommen nicht nur die Antinomien der universalisierten wissenschaftlichen Vernunft in den Blick, sondern es geht auch um zwei philosophische Reaktionen auf die Vorherrschaft dieser Vernunft: den Versuch der Objektorientierten Ontologie Levi Bryants, der Welt ihren Zauber zurückzugeben, und den transzendentalen Versuch Robert Pippins zu zeigen, inwiefern wissenschaftliche Untersuchungen sich auf die diskursive Normativität gegenseitiger Anerkennung stützen müssen, die sich selbst nicht wissenschaftlich begründen lässt.
Auf der ästhetischen Ebene besteht das disparate Element „in dem abstoßenden X“, auf das sich teilweise überschneidende Begriffe rekurrieren: das Hässliche, der Ekel, das Abjekt. Zunächst geht es Žižek darum, den Hegel’schen Weg hin zur modernen gegenständlichen Kunst zu rekonstruieren; anschließend versucht er, in enger Auseinandersetzung mit Julia Kristeva das Hässliche, den Ekel und den Grusel in seinen Varianten moderner Subjektivität zu entfalten; schließlich wird in diesem Teil noch die „subjektive Destitution“ in der Kunst (am Beispiel William Shakespeares und Samuel Becketts) in ihren Umrissen nachgezeichnet. Der dritte Teil bietet eine Bestimmung der Disparität in Auseinandersetzung mit der bestehenden theologisch-politischen Unordnung. Die theologische Bezeichnung für das „disparat Verschiedene“ ist Gott als das radikal Andere: das Tote, Unbewusste, Böse, Machtlose, Inexistente, Kontrafaktische, Sadistische oder – im Sinne Jacques Lacans – als Hypothese. In einem kurzen Schlussteil werden einige politische Folgerungen aus dem Disparitätsbegriff gezogen.
Wie in vielen seiner früheren Veröffentlichungen bietet Žižek auch hier in reichhaltigem Ausmaß fermenta cognitionis, explosive Gärstoffe der Erkenntnis, ein gelehrtes Potpourri aus Überlegungen zur Philosophie des Deutschen Idealismus (wobei, wie erwähnt, der Säulenheilige Hegel die zentrale Rolle einnimmt), zu Karl Marx, zu verschiedenen Spielarten des (Post-)Humanismus, zu Versuchen des Selbstbewusstseins, zur negativen Theologie bis zur millenaristischen Politik und zeitgenössischen Denkansätzen aus dem Bereich des Poststrukturalismus, der Film- und Medientheorie, des Feminismusʹ und der Cultural Studies. Žižeks gelehrte, dezidiert un-systematische Streifzüge kreisen um fragile Identitäten und ihre wechselnden Beziehungen zu den sie umgebenden Geflechten aus Ideologien, gesellschaftlichen Verhältnissen und psychischen Konstellationen des Unbewussten.
Grundlage der ontologischen, ästhetischen und theologisch-politischen Dimensionen der Disparitäten ist einmal mehr für Žižek Lacans Konzeption des Anderen, über den sich das Subjekt erst als Eigenes mit gegensätzlichen Elementen konstituiert. Dieser Andere besitzt nach Lacan bekanntlich zwei Dimensionen: den „großen Anderen“ und den „kleinen anderen“. Das Objekt klein a ist das Objekt des Begehrens des Subjekts, nach dem das Subjekt hinstrebt und mit dem es sich zu vereinigen versucht, der „unsichtbare Rest“ des Prozesses der symbolischen Repräsentation, der als die (immer schon verlorene) Objektursache des Begehrens fungiert – idealtypisch ist hierfür das sexuelle Begehren eines anderen Menschen oder das Fasziniert-Sein im Zusammenstoß mit dem „abjektalen Exzess“. Für Žižek ist die „dem Abjektbegriff zugrundeliegende Vorstellungsmatrix […] die eines gefährlichen Grundes: Das Abjekt deutet auf einen Bereich, der die Quelle unserer Lebensintensität bildet – wir beziehen unsere Energie aus ihr, zugleich aber müssen wir den richtigen Abstand wahren.“ Das Objekt dieses Begehrens ist im Grunde beliebig und austauschbar, solange es in den Rahmen des persönlichen Phantasmas passt, der es erst begehrenswert macht.
Dieses „obskure Objekt der Begierde“ (Luis Buñuel) ergänzt als Disparität die Vorstellung einer Totalität. Im Gegensatz dazu garantiert der „große Andere“ als symbolische Instanz (etwa die „Hypothese Gott“, die sich jenseits der Seinsordnung befindet) die Gesetze und Normen des Sozialen und weist dem Subjekt erst seinen Platz innerhalb der Gesellschaft zu. Indem das Subjekt diesen Anderen als Funktionsträger und damit als Träger des Gesetzes anerkennt, ordnet es sich zugleich dem gesellschaftlichen Ganzen unter. Zugleich – und paradoxerweise – gewinnt das Subjekt durch diese Anerkennung des Anderen erst seinen eigentlichen Subjektstatus, indem es durch sie erst einen Ort findet, von dem aus es sich überhaupt artikulieren kann, an dem es eine Sprache findet. Doch diese Sprache, und mit ihr das Subjekt als solches, ist immer schon vom paradoxen Ineinander des Eigenen und des disparaten Anderen bestimmt, sodass Žižek mit Arthur Rimbaud und Lacan immer davon ausgehen kann, dass „Ich ein Anderer“ ist. So ist das Subjekt im Grunde kein Subjekt, vielmehr ein Diskurs-Ort, der von einem ebenso konstitutiven wie disparaten Außen her strukturiert ist. Trotz gegenteiliger Behauptung von Seiten des Autors besteht damit auch eine unübersehbare Nähe von Žižeks philosophischem Konzept zu anderen poststrukturalistischen Ansätzen eines „dezentrierten Subjekts“, wie sie sich etwa bei Deleuze oder Jacques Derrida finden.
Zahlreiche ebenso kluge wie unterhaltsame Diskursminiaturen aus Musik, Film, Literatur, Politik, Religion und Populärkultur bieten elektrisierende philosophische Analysen. Kluge Kritik wird mit brillanten Aperçus verknüpft, deren Anwendbarkeit auf aktuelle und über die Psychoanalyse hinausgehenden Phänomene Žižek meisterhaft vorführt – etwa der Nachweis, dass Hegel die in der Romantik diskutierte These von der „schwarzen Athene“ trotz aller Versuche, nach einer harmonischen, versöhnten Totalität zu streben, nicht fremd war; der an Karl Rosenkranz’ Ästhetik des Häßlichen von 1853 demonstrierte Übergang vom Schönen zum Erhabenen und vom Erhabenen zum Ungeheuren; die im Zusammenhang mit der platonischen Mimesis-Konzeption geltend gemachte Angst des griechischen Philosophen vor dem Strudel des musikalischen Realen, der den Logos in den Abgrund zu ziehen droht, wie etwa der ver-rückte Tanz der Bacchantinnen in Euripides’ Tragödie.
Besondere Erwähnung verdient Žižeks Plädoyer, die Philosophie Martin Heideggers angesichts der Publikation der Schwarzen Hefte (2014) nicht eindimensional als antisemitisch zu kriminalisieren. Der in den Feuilleton-Debatten erkannte „Skandal“ der Schwarzen Hefte Heideggers lässt sich zweifelsohne als eine Implosion des Schemas erkennen, durch das Heidegger und seine Texte bislang interpretiert wurden. Indem Heidegger in den zwischen 1931 und 1948 entstandenen Aufzeichnungen die „Judenfrage“ in seine Philosophie integriert, fällt er in ein metaphysisches Denken zurück, von dem er sich scheinbar gelöst hat. Der „metaphysische Antisemitismus“ der Schwarzen Hefte, der nicht geleugnet oder bagatellisiert werden darf, aber gedacht werden muss, räumt zudem mit einem bedeutsamen Topos der Philosophie des 20. Jahrhunderts auf, mit dem Topos von Heideggers Schweigen über die Shoah. Gleichzeitig deutet Žižek in diesem Zusammenhang eine Gegenposition an, die allerdings erst noch eines weiteren differenzierten Nach-Denkens bedarf: Der verschwiegene hebräische Anteil von Heideggers Denken tritt an strategischen Punkten, an entscheidenden Zäsuren seiner Philosophie, aber auch als Sub-Textur der Schwarzen Hefte auf: in der Auffassung von Sprache, in der Ansicht der Geschichte, beim Thema der Interpretation, bei dem des Entzugs, des Nichts und der Zeitlichkeit. Wenn Heidegger die Einflussnahme jüdischen Denkens verschweigt, um zugleich aus ihm zu schöpfen, dann muss seine Beziehung zu ihm heimlich, verheimlicht sein. Möglicherweise hat Heideggers Traum der Wieder-Holung des Griechischen im Deutschen das Hebräische vertilgt.
Auch diese Veröffentlichung lebt von dem typischen, eigen-artigen, mitunter kontrovers diskutierten Žižek-Stil. Trotz seiner oft schwer verständlichen, von Gedankensprüngen, radikalen Diskurswechseln und schnellen Assoziationen geprägten Ausführungen bietet Žižek in Disparitäten ein intellektuelles Feuerwerk, dem konkurrierende Systemphilosophien oder populärphilosophische Ergüsse, die nicht selten in trüben Wassern fischen, selbiges kaum reichen können. Auch wenn Žižek oft für seinen populärwissenschaftlichen, bisweilen unsauberen und nach Pointen heischenden Stil kritisiert wurde, dem die philosophische Systematik fehle und dem begriffliche und sachliche Schärfe zum Opfer falle, ist er fraglos einer der bekanntesten Intellektuellen der Gegenwart. Wiederholt hat man ihn als „Pendant des Wirren“ bezeichnet, ohne dabei allerdings zu bemerken, dass die unkonventionellen gelehrten Spaziergänge Žižeks den einen oder anderen Rezensenten intellektuell überfordern mögen. Das Gegenteil ist richtig: Žižek ist ein großer, ebenso aufgeregter wie aufregender, politisch selten korrekter Denker, sein vorgestelltes Konzept ebenso abstrakt wie wirkmächtig, wenn auch ohne umfangreiches Hintergrundwissen kaum zu verstehen. Disparitäten bietet eine anspruchsvolle, fordernde und in vielerlei Hinsicht bereichernde Lektüre, die zudem spannend geschrieben ist und stets unterhaltsam bleibt – nicht nur für Žižekianer, sondern für alle am philosophischen Denken Interessierten.
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