Die Beta-Version eines Journalismus-Handbuchs

Hektor Haarkötters Handbuch „Journalismus.Online“ gibt angehenden Journalisten und Amateuren viele Tipps

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hektor Haarkötter besuchte die Büros von mehr als zwanzig großen und kleinen Online-Redaktionen – beispielsweise von BILD Online, Spiegel Online, von netzpolitik.org und der Kölner Lokalnachrichtenseite Report-K – und berichtet in seinem neuen Handbuch Journalismus.Online in teilweise lockerem Plauderton von seinen Besuchen, den Gesprächen und Ideen. Es wird sofort deutlich: Das Buch soll informieren und unterhalten. Haarkötter gibt Tipps für Foto- und Videobearbeitungssoftware, stellt Content-Management-Systeme vor und erläutert etwa die notwendigen Schritte, um einen Podcast oder einen Wordpress-Blog zu starten. Mit Checklisten zum Texten von Überschriften, zur richtigen Suche nach lizenzfreien Bildern, zum Setzen der richtigen Links im Text bis zur „YouTube-Ethik“ und mit kurzen Tutorials wie „Online-Texte schreiben“ und „Online-Videos selbst machen“ gibt Haarkötter angehenden Online-Journalisten ebenso wie interessierten Amateuren Tipps und Hilfestellungen. Schließlich kann heute fast jeder Texte, Bilder und Videos ins Internet stellen. Die Möglichkeiten der Selbstpublikation wurden vor wenigen Jahren noch belächelt. Blogger bekamen keine Presseakkreditierungen. Dies hat sich längst geändert: Blogger haben eine ernstzunehmende mediale Macht, Influencer werden umworben, zu Interviews zugelassen und von Behörden zu Instawalks eingeladen. Haarkötter erklärt ausführlich, wie grundlegend die Online-Kommunikation die Medienlandschaft verändert und welche Herausforderung dies für den Journalismus darstellt.

Eine Herausforderung für das Buch stellt die notwendige Aktualität in einem sich rasch verändernden Themengebiet dar. Die im Handbuch erwähnte ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2014 ist nicht die aktuellste Quelle für Daten zur Nutzung mobiler Endgeräte in Deutschland. Die zitierte Umfrage von Statista zur Blog-Nutzung aus dem Jahr 2016 war am Erscheinungstag des Buches bereits veraltet. Einzelne Screenshots im Buch stammen aus den Jahren 2013 bis 2016. Haarkötter berichtet, die Fuldaer Zeitung habe seit 2016 ihren Kommentarbereich geschlossen; auf Facebook können alle Beiträge der Zeitung jedoch sehr wohl kommentiert werden. Der Blick auf „Twitteratur“, die Weltliteratur „in 140 Zeichen gießt“, ist zugleich ein Blick in die Vergangenheit des Kurznachrichtendienstes Twitter. Texte im Web befänden sich im Zustand einer permanenten Beta-Version, befindet Haarkötter. Sie könnten und müssten ständig überarbeitet werden.

Auch das Handbuch Journalismus.Online ist eine Beta-Version. An den Texten ist vermutlich über einen längeren Zeitraum gearbeitet worden. Dabei sind Teilen die permanente Überarbeitung und Aktualisierung anzumerken, während andere Teile veraltet und längere Zeit vernachlässigt wirken. Manches wird intensiv ausgeführt und mehrmals wiederholt, anderes wird nur flüchtig gestreift. Sogar völlig unterschätzt wird die Bedeutung von Instagram. Wenig mehr als zwei Seiten widmet Haarkötter der rasant wachsenden Instagram-Community – im Gegensatz zu detaillierten Vorstellungen von Facebook und Twitter. Die knappe Vorstellung ist fehlerhaft; beispielsweise weist der Autor auf das „durchgehend quadratische Bildformat“ der Plattform hin, obschon es seit dem Jahr 2015 möglich ist, seine Fotos im Hoch- und Querformat zu posten. Außerdem können seit langem auch mehrere Fotos in einem Beitrag geteilt werden, sodass die an mehreren Stellen des Buches angeregten Bildergalerien auf Instagram realisiert und hernach beispielsweise in Multistorys eingebaut werden könnten.

Wer seinen Content optimal verbreiten möchte und daher zugleich verschiedene Kanäle bedient, der sollte heute auch Instagram nutzen. Kommunikationsstrategien von Unternehmen kommen ohne Instagram nicht mehr aus. Die Bedeutung für den Journalismus wächst. Weshalb Haarkötter in seinem Beitrag über Instagram als Beispiele für – wie er schreibt – „recht“ erfolgreiches Posten die Accounts von n-tv und des Kölner Stadtanzeigers auswählte, bleibt unklar. Schließlich sind die Accounts der sonst im Buch zitierten Tagesschau, der Zeit, der FAZ und anderer Redaktionen weit erfolgreicher und zeigen, dass Inhalte sehr gut auf einer Fotoplattform verbreitet werden können. Instagram-Journalismus bezeichnet Haarkötter hingegen als „trübselig“ – ein nicht nur emotionales, sondern vor allem falsches Urteil. Ebenso falsch ist Haarkötters Vermutung, im „professionellen Bereich wird man [bei der Aneinanderreihung möglichst kreativer und vieler Hashtags.] vermutlich eher Mäßigung üben“. Hashtags sind auf Instagram so wichtig wie auf Twitter – insbesondere für das Auffinden und die Analyse von Trending Topics.

Das Handbuch Journalismus.Online enthält viele weitere Ungenauigkeiten. Ob Haarkötter sein im Kapitel über „Video-Plattformen & Medieatheken“ gefälltes Urteil, dass YouTuber „häufig wenig Eigenleistung in Form eigener Recherche oder eigenem Augenschein“ bieten, auch nach der bundesweiten Rezo-Diskussion aufrecht halten kann? Das YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ von Rezo wurde von Mai bis August 2019 rund 15,7 Mio. mal angesehen. Es löste eine Debatte aus, welche die CDU überraschte und wanken ließ. In einem schwachen Online-Kommentar auf Haarkötters Webseite befindet der Autor, Rezos Video wäre außerhalb von Wahlkampfzeiten „wohl kaum aufgefallen“. Verantwortlich für die hohen Klickzahlen seien die klassischen „Altmedien“ – wie Haarkötter sie nennt: „Die Klickzahlen des Rezo-Videos sind ja erst in dem Augenblick exponentiell gestiegen, als die ersten journalistischen Beiträge in Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen darüber zu lesen waren.“ Diese Analyse darf angezweifelt werden.

Weiterhin erläutert Haarkötter in seinem Buch, dass private Fernsehsender sehr zurückhaltend mit dem Einstellen eigener Videos auf YouTube seien. Dabei lässt er unerwähnt, dass viele der Sendungen über andere Kanäle als die des jeweiligen Senders hochgeladen werden. So hat der Komiker Klaas Heufer-Umlauf beispielsweise seine außergewöhnlichen und viel diskutierten ProSieben-Interviews mit Politikern zur Bundestagswahl 2017 über den Kanal von „Joko & Klaas“ auf YouTube gestellt. Weshalb werden diese Publikationswege nicht in die Überlegungen einbezogen? Der Leser stellt sich viele Fragen, die nicht beantwortet werden. Nur kurz weist der Autor auf die Debatte zur Grenze zwischen Journalismus und Public Relations hin. Unternehmen stellen sich auf Corporate Blogs dar. „Öffentliche Stellen geben keine Pressemitteilungen mehr heraus“, pauschalisiert Haarkötter. Die Politik entwickelt in der Tat neue Kommunikationsstrategien; die Hessische Landesregierung hat beispielsweise begonnen, von Delegationen zu bloggen und zielgruppenorientierte Kanäle aufzubauen, um Bürgerinnen und Bürger besser zu erreichen. Pressemitteilungen werden dennoch veröffentlicht und gehören zum Portfolio der Pressestellen. Es wäre wichtig gewesen, alle Akteure im Online-Spannungsfeld von Sendern und Empfängern zu beachten, weil es eben nicht mehr nur den Journalisten auf der einen Seite und den Leser auf der anderen Seite gibt. Vieles bleibt offen.

Titelbild

Hektor Haarkötter: Journalismus.online. Das Handbuch zum Online-Journalismus.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2019.
421 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783744511087

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