Die kleine Sabine möchte aus der Vergangenheit abgeholt werden

Wie Else Buschheuer in „Hier noch wer zu retten?“ ergründen will, warum sie gern anderen hilft und dabei sich selbst findet

Von Romy TraeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Romy Traeber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Freiwilligendienst in Kalkutta, Praktika in Demenz-WG und Pflegeheimen, Aufnahme von Geflüchteten in der eigenen Wohnung: Else Buschheuers Buch Hier noch wer zu retten? – Über die Liebe, den Tod und das Helfen ist eine wahre Odyssee des Helfen-Wollens. Warum sie das tut, versucht Buschheuer zu ergründen. Dafür sucht sie professionelle Hilfe beim bekannten Münchner Psychoanalytiker und Autor Wolfgang Schmidbauer oder der dänische Sexologin Ann-Marlene Henning. Sie begibt sich aber auch auf spirituelle Reisen und unterzieht sich einer „Spiritual Surgery“ oder lässt sich via Telefonleitung von einer Spezialistin für „mediale Therapie und Channeling“ ihr Energiefeld begutachten (Spoiler: Es sieht nicht gut aus). Klingt komisch, ist es vielleicht auch, aber es bringt die Autorin irgendwie weiter. Genau genommen führt es in ihre Vergangenheit und direkt zu Sabine Knoll, der das Buch gewidmet ist. Dabei handelt es sich um Buschheuers „richtigen“, also ihren Geburtsnamen. Else nannte sie sich selbst in Erinnerung an Else Lasker-Schüler seit sie 15 war (und ließ das schließlich auch offiziell ändern), der Nachname veränderte sich mit einer Heirat.

Als Leser*in begleitet man Buschheuer in teilweise nur wenige Zeilen langen Kapiteln durch ihr Leben; dabei beschreibt Alles hängt zusammen. Krankheit – Helfenwollen – Familie das poetologische Konzept des Buchs. Wenn Buschheuer zwischen Erinnerungen, vergangenen und aktuellen Krankengeschichten, ihrer Lebensgeschichte, ihrer Kindheit und dem großen wunden Punkt ihres Lebens – dem Tod ihres Mannes – hin- und herspringt, dann wird deutlich, dass in ihrem Leben und der Suche nach den Ursachen für ihr selbstdiagnostiziertes Helfersyndrom tatsächlich alles zusammenhängt. Ob sie wildfremden Menschen ihre Wohnung zur Verfügung stellt, Gegenstände verleiht, die selten den Weg zu ihrer Besitzerin zurückfinden (was sie aber nicht sonderlich zu stören scheint, nach eigener Aussage hängt sie nicht an Dingen), Geld verschenkt oder Zeit für Besucher aufwendet, die diese Großzügigkeit offenbar nicht zu schätzen wissen – man möchte manchmal den Kopf schütteln über so viel Naivität, aber dann ist es ja auch irgendwie wieder grundsymphatisch.

Ab und an drängt sich der Gedanke auf, dass das doch alles nicht so passiert sein kann, dass niemand so extrem hilfsbereit sein kann, dass niemandem so viel Unglück passieren kann. Dann stellt sich die Frage, wer hier eigentlich schreibt. Auf dem Cover steht „Else Buschheuer“ und man erfährt vieles über eine Person, deren Angaben mit denen übereinstimmen, die man leicht zugänglich zur Person Else Buschheuer abfragen kann. Und doch scheint manches so unfassbar, dass man am „Wahrheitsgehalt“ zweifelt. Das spricht entweder dafür, dass die Autorin ein wirklich (wirklich!) unglaubliches Leben führt, dessen Wendungen sich kein*e Schreiber*in ausdenken könnte (außer vielleicht die Drehbuchautor*innen einer Telenovela), oder dass wir es hier mit einer von einer Erzählerin selbst ins Spiel gebrachten Konstruktion zu tun haben: Im Kapitel Wer wirkt aus mir heraus? beschäftigt sie sich mit dem Inneren-Team-Modell des Kommunikationswissenschaftlers  Friedemann Schulz von Thun und beschreibt die Mitglieder ihres Teams. An vorderster Front stehen fünf Hauptfiguren (unter anderem die kleine Sabine), die von einem „Opernchor, dem Hintergrundgeräusch“ weiterer „Else-Inkarnationen“ begleitet werden. Eine dieser Nebendarstellerinnen ist „Else, die literarische Figur“, und so schnell man über diese eine in einer Aufzählung von 21 Else-Variationen hinwegliest, so interessant scheint sie doch. Vor allem, wenn man Else Buschheuer als Romanautorin kennt, die selbst in ihrem Internet-Tagebuch (www.else-buschheuer.de: Das New York Tagebuch, gedruckt erschienen 2002) durchaus auch mit fiktionalen Elementen spielt.

Am Ende bleibt nach allem Kopfschütteln und Fragen aber so etwas wie ein Lichtblick: Wenn es Menschen wie Else Buschheuer gibt, die so altruistisch sind, dann ist dieser ganze Haufen Erdbewohner vielleicht doch noch nicht verloren – in was für einer wunderbaren Welt könnten wir alle leben, wenn wir nur alle ein wenig selbstloser wären?

Titelbild

Else Buschheuer: Hier noch wer zu retten? Über die Liebe, den Tod und das Helfen.
Heyne Verlag, München 2019.
270 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783453202887

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