Überforderte Männer und ein schrecklicher Verdacht

In seinem zwölften Fall bekommt es Jo Nesbøs Serienheld Harry Hole mit einem alten Gegner zu tun – und mit sich selbst

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Harry Hole hat schon vieles überlebt: mörderische Sprengfallen, Lawinenabgänge, teuflische Folterinstrumente. Aber auch Alkoholexzesse, korrupte Kollegen, Frauen, von denen ihm nicht jede guttat, und den Mel-Gibson-Film Braveheart (1995) – für Hole ein mehr als überschätzter Streifen. Auch in seinem zwölften Abenteuer mit dem Titel Messer wird nicht gerade zimperlich mit dem Serienhelden des norwegischen Bestsellerautors Jo Nesbø (geboren 1960) umgegangen. Am meisten setzt der sich diesmal allerdings selbst unter Druck. Denn alle Anzeichen deuten darauf hin, dass der zu Beginn des Romans wieder allein lebende Hole mehr mit dem gewaltsamen Tod seiner Frau, Rakel Fauke, zu tun hat, als es zunächst den Anschein hat.

Die Beziehung zwischen Hole und Rakel reicht in der Romanreihe zurück bis zu dem auf Deutsch 2003 erschienenen Band Rotkehlchen und bestand aus einem ständigen Auf und Ab. Mal waren die beiden zusammen, mal wieder getrennt. Für Oleg, Rakels inzwischen erwachsenen Sohn, wurde Nesbøs Romanheld im Laufe der Zeit zu einer Art Ersatzvater. Mehrmals rettete Harry ihm und seiner Mutter das Leben. Doch der Beruf eines auf Serienmörder spezialisierten Ermittlers und etliche Rückfälle in die Alkoholsucht führten immer wieder zu Zerwürfnissen.

Ganz voneinander lassen konnten Rakel und Harry allerdings nie. Nachdem sie schließlich sogar geheiratet hatten, versuchte Hole, weiteren Konflikten aus dem Weg zu gehen, indem er sich in ein scheinbar ganz normales Familienleben mit geregelten Arbeitsabläufen als Dozent an der Osloer Polizeihochschule zurückzog. Dass auch das nicht die Lösung war, merkt der Leser allerdings spätestens, wenn zu Beginn von Messer ein Harry Hole auftaucht, der wieder einmal vollkommen von der Rolle ist. Seine Dozentenstelle ist er los, Rakel hat ihn aus dem gemeinsamen Haus geworfen und der Alkohol ist ihm wieder zum alltäglichen Begleiter geworden.

Kein Zufall also, dass er nach der Nacht, in der die Liebe seines Lebens brutal ermordet wurde, ohne jede Erinnerung zu sich kommt. Die Prügelei mit einem Bekannten, von der ihm Freunde im Nachhinein berichten, erklärt scheinbar das Blut an seiner Kleidung und die Schürfwunden an seiner Hand. Doch bald kommen ihm Zweifel. Auch für seine Kollegen von der Osloer Polizei steht schnell fest, dass er als Ehemann des Mordopfers nichts mit den Ermittlungen im Fall Rakel Fauke zu tun haben sollte.

Allein Hole hat einen Verdacht. Hat der psychopathische Vergewaltiger Svein Finne, seit Neuestem wieder auf freien Fuß, sich für den Tod seines Sohnes an Harry rächen wollen? Mit Hilfe von ein paar treuen Seelen aus dem Polizeikorps beginnt er deshalb, privat zu ermitteln und Indizien gegen den Mann zu sammeln, den er gerne für immer hinter Gitter bringen würde. Bis er auf dem Film einer gut getarnten Überwachungskamera, die er selbst einst zu seinem und Rakels Schutz im Außenbereich ihres Hauses angebracht hatte, sehen muss, dass niemand anderer als er selbst es war, der in der Mordnacht das Haus des späteren Opfers betreten hat.

Geschickt legt Jo Nesbø in Messer Spuren, die immer wieder ins Leere führen. Buchstäblich jeder – Harrys Kolleginnen und Kollegen und er selbst nicht ausgenommen – könnte der Mörder von Rakel Fauke sein. Wenn dann am Ende des Romans schließlich des Rätsels Lösung präsentiert wird, ist sie dennoch überraschend. Und in der Konfrontation von Nesbøs Helden mit dem Mörder des ihm liebsten Menschen gewinnt einer, der bei seinen bisherigen Gegnern kaum ja Mitleid kannte, eine menschliche Qualität hinzu, wie man sie kaum erwartet hätte.

Nesbø hat im zwölften Band seiner weltweit verbreiteten Reihe ein wenig auf die Gewaltbremse getreten. Keine perfide ausgedachten Folterwerkzeuge mehr. Kein Sich-überbieten-Müssen im brutalen Morden. Kein Hetzen von blutigem Tatort zu noch blutigerem Tatort. Bis auf zwei, drei effektvoll aufgezogene Action-Szenen eigentlich nichts, das in der Lage wäre, nervenschwachen Lesern den Nachtschlaf zu rauben. Das wird nicht jedem gefallen. Der Spannung aber tut es keinen Abbruch. Die bleibt gleichmäßig hoch bis zum letzten, dem 53. Kapitel. Nur speist sich der Thrill diesmal weniger aus spektakulären Handlungselementen als aus den Beziehungen der einzelnen Figuren zu- und untereinander.

Letztere sind den meisten treuen Nesbø-Lesern längst bekannt – aber immer noch für (teils böse) Überraschungen gut. Doch auch neu auftauchendes Personal – wie Rakels Vorgesetzter Roar Bohr, der nach seiner Karriere bei einer militärischen Spezialeinheit, die in Afghanistan Taliban-Terroristen zu jagen hatte, zum Leiter einer international agierenden Menschenrechtsorganisation geworden ist und damit den klassischen Karrieresprung vom Saulus zum Paulus vollzogen hat – ist richtig gut erfunden. Überhaupt die Männer in diesem Buch: In ihrer generellen Überforderung können sie einem fast leid tun. Keiner – nicht der Abgebrühteste, nicht der Zartbesaitetste – kommt mit der Rolle, die ihm das Leben zugeteilt hat, wirklich zurecht. Alle wollen sie anders sein als sie sind. Nicht zuletzt aus diesem Ungenügen an der eigenen Person und der Unfähigkeit, sich selbst zu akzeptieren, entspringt in Jo Nesbøs diesmal besonders dunkel eingefärbter Romanwelt die Gewalt, die sich gegen andere richtet, obwohl man im Grunde auf sich selbst zielt.     

Titelbild

Jo Nesbø: Messer. Kriminalroman.
Ullstein Verlag, Berlin 2019.
640 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783550081736

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch