Aufklärer, Erzieher, Philosoph und meistgelesene Dichter seiner Zeit

Zum 250. Todestag von Christian Fürchtegott Gellert

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

„Vergesst Gellert“ lautete der Titel einer Rezension (FAZ, 8. März 1997) zum fünften Band der kritischen Gesamtausgabe der Gesammelten Schriften von Christian Fürchtegott Gellert – ein Verriss, in dem der Literaturwissenschaftler Hermann Kurzke den deutschen Dichter und Aufklärer einen „Rhetoriker der Moral“ und einen „Kanzelredner der künstlichen Natürlichkeit“ nannte. Andere Kritiker dagegen sehen in Gellert den großen volkstümlichen Dichter der Aufklärungszeit, den Wegbereiter der Glanzzeit der deutschen Literatur ab 1786. Wer war nun dieser Christian Fürchtegott Gellert, der in meiner Schulzeit in den 1960er Jahren mit immerhin sechs Seiten in unserem Lesebuch Aus deutscher Dichtung (1961, Verlag Volk und Wissen) vertreten war?

Christian Fürchtegott Gellert wurde am 4. Juli 1715 im kursächsischen Hainichen am Rande des Erzgebirges geboren. Er war der fünfte Sohn des evangelischen Pfarrers Christian Gellert (1671-1747) und seiner Frau Johanna Salome Gellert, geb. Schütz (1681-1759). Insgesamt dreizehn Kinder bevölkerten das Pfarrhaus, von denen allerdings fünf früh starben. Trotz der ärmlichen Verhältnisse vermittelten die Eltern ihnen neben tiefer religiöser Frömmigkeit auch Bildung und Freude an der Poesie. So wuchs der kleine Christian zunächst wohlbehütet im Familienkreis auf, doch im zarten Alter von acht Jahren – wahrscheinlich wegen der prekären finanziellen Familienverhältnisse – wurde er für ein Jahr in den Haushalt seiner älteren Schwester Johanna Augusta Meese gegeben, die mit dem Stadtschreiber (späteren Bürgermeister von Hainichen) Friedrich Gottlieb Meese verheiratet war. Hier fand der Junge zwar bessere materielle Verhältnisse vor, die aber durch die strenge Erziehung des Schwagers getrübt wurden. In seinem späteren autobiografischen Text Unvollständige Nachrichten aus meinem Leben (1758) erinnerte er sich an dieses Jahr: „Dieser Mann hielt mich hart, ich musste den Tisch decken, Bier auf der Gasse holen, in der Freystunde oft die Kinder wiegen. Kurz, ich habe dadurch wenigstens gehorchen lernen; eine treffliche Kunst“.

Ab 1723 besuchte Gellert die öffentliche Schule in Hainichen. Nach dem Schulunterricht half er seinem Schwager häufig, gegen ein kleines Handgeld Verträge, Urkunden oder gerichtliche Akten abzuschreiben. („Gegen das eilfte und zwölfte Jahr schrieb ich Acten bey ihm ab. Dieses hat mir so viel geholfen, dass ich artig im Canzelleystil schrieb.“) 1729 erhielt der vierzehnjährige Gellert, wie seine älteren Brüder Friedrich Lebrecht und Christlieb Ehregott, eine Freistelle an der Fürstlichen Landesschule St. Afra in Meißen, die von den sächsischen Herzögen unterhalten wurde. Die Fürstenschulen galten als Eliteschulen, in denen die Zöglinge zu „tüchtig vorgebildeten Geistlichen und gelehrten Beamten“ erzogen werden sollten. Der Schulalltag war streng geregelt in Unterricht, Mahlzeiten und Gebet. Fünf Jahre besuchte der kränkliche und körperliche schwache Gellert die Fürstenschule. Angeregt durch die Studien der antiken Klassiker Horaz, Homer und Vergil entstanden erste Gedichte.

Ehe Gellert 1734 sein Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig beginnen konnte, hatte er St. Afra wegen „Leibesschwäche“ verlassen müssen und war ins Elternhaus zurückgekehrt. Die weltoffene Messe- und Handelsstadt, die damals bereits 30.000 Einwohner hatte, übte sicher einen überwältigenden Eindruck auf den jungen Studenten aus. Im Gegensatz zu Dresden mit seiner barocken Pracht hatte sich Leipzig zu einem weltoffenen und intellektuellen Zentrum im kurfürstlichen Sachsen entwickelt. So hatte Christian Thomasius (1655-1728), der „Vater der deutschen Aufklärung“, an der Leipziger Universität als erster deutscher Universitätsprofessor Vorlesungen in deutscher Sprache gehalten. Da es keine festgesetzten Studienpläne gab, besuchte Gellert auch Vorlesungen in Geschichte, Philosophie und Literatur (u.a. bei Johann Christoph Gottsched (1700-1766)). Das Elternhaus unterstützte ihn finanziell so gut es ging, doch 1738 musste er aus Geldmangel das Studium abbrechen. Also wieder zurück nach Hainichen, wo er sich zunächst als Prediger und Erzieher verdingte. Wenig später ging er als Hauslehrer nach Dresden, wo er die Kinder des Grafen von Lüttichau unterrichtete. In diese Zeit fiel auch seine erste Veröffentlichung: das Gelegenheitsgedicht Ode auf den heutigen Flor von Rußland zur Vermählung des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig mit Anna Leopoldowna, die 1740 für eine kurze Interimsphase Regentin des russischen Zarenreichs war. Der Druck in dem renommierten Leipziger Verlagshaus von Bernhard Christoph Breitkopf ging wahrscheinlich auf eine Empfehlung von Gottsched zurück.

1740 nahm Gellert sein Studium in Leipzig wieder auf, das er nun durch Unterrichtsstunden für junge Adelige und durch Auftragsarbeiten, die ihm sein Lehrer Gottsched vermittelte, finanzierte. Außerdem schrieb er Gelegenheitsgedichte für zahlende Leipziger. Dieser lyrische Zuverdienst sollte neben seinen literarischen Publikationen und der Hauslehrertätigkeit über Jahre hinweg die nötigen Mittel für den Lebensunterhalt garantieren. In Leipzig wurde Gellert Mitglied einer Gruppe junger Autoren, die sich um die literarische Monatsschrift Belustigungen des Verstandes und des Witzes (ebenfalls Breitkopf Verlag) gesammelt hatten, wobei Gottsched im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt. In der „moralischen Publikation“ wurden Gellerts erste Fabeln, Lehrgedichte, Erzählungen, Oden, Elegien und poetische Sendschreiben (insgesamt 34 Stücke) veröffentlicht. Seine Beiträge waren jedoch noch sehr von den kunsttheoretischen Anschauungen Gottscheds geprägt. Später hat er sie teilweise verworfen oder gründlich überarbeitet. Durch die Mitarbeit an dieser Zeitschrift wurde sein Name aber einem größeren Leserkreis bekannt.

Das Studium schloss Gellert 1743 mit dem Titel des Baccalaureus und Magister der Weltweisheit ab. Ein Jahr später habilitierte er mit der öffentlichen Verteidigung der Schrift De poesi apologorum eorumque scriptoribus (dt. Über die allegorische Poesie der alten Schriftsteller). Danach war er als Dozent tätig und hielt Vorlesungen über Poesie, Beredsamkeit und Moral. Der Beginn der beruflichen Tätigkeit wurde allerdings von einer schweren Erkrankung überschattet, die er in der frischen Landluft von Hainichen auskurierte. Zu seiner schwachen Gesundheit gesellte sich auch noch eine ausgeprägte Hypochondrie. Trotz des desolaten Gesundheitszustandes und der Auswirkungen des Schlesischen Krieges, von denen Gellert persönlich betroffen war, gehörten die 1740er Jahre für ihn zu seinem schriftstellerisch erfolgreichsten Jahrzehnt.

Um der andauernden Bevormundung durch Gottsched zu entgehen, gründete Gellert gemeinsam mit Karl Christian Gärtner (1712-1791), Johann Andreas Cramer (1723-1788), Justus Friedrich Wilhelm Zachariae (1726-1777) und Gottlieb Wilhelm Rabener (1714-1771) die Literaturzeitschrift Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes (später in Anspielung des Verlagsortes auch Bremer Beyträge genannt), die mit ihrer literarischen Orientierung den Typus der moralischen Wochenschrift langsam ablöste. Hier erschienenen neben den ersten Messias-Gesängen von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) auch Gellerts Lustspiele Die Betschwester (1745) und Das Loos in der Lotterie (1747), in denen anstelle (falscher) Frömmigkeit die Tugend trat. Während seiner gesundheitlichen Auszeit im Elternhaus hatte Gellert bereits mit der Arbeit an seinen Fabeln und Erzählungen begonnen, die nun 1746 und 1748 in zwei Bänden im Leipziger Verlag von Johann Wendler erschienen. Getreu dem Motto: „Dem, der nicht viel Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen“ benutzte Gellert in den 143 Fabeln und Verserzählungen einen plauderhaften Erzählton, der dem im Volke gesprochenen Deutsch angelehnt war. Ob Erhabenes oder Lächerliches, ob Geiz, Geschwätzigkeit, Habgier oder Prahlerei – alle menschlichen Charaktereigenschaften (oder Unzulänglichkeiten) wurden satirisch, realistisch und mit aufklärerischer Tendenz bloßgestellt, wobei Gellert im Gegensatz zu den antiken Fabeldichtern oder zu den französischen Schriftstellern Jean de La Fontaine (1621-1695) und Antoine Houdar de la Motte (1672-1731) weniger auf Tierfabeln zurückgriff, sondern lieber menschliche Akteure wählte.

Der Schwätzer

Die größte Plage kluger Ohren,
Ein Ausbund von beredten Toren,
Ein unentfliehlich Ungemach,
Ein Schwätzer, der zu allen Zeiten
Mit rednerischem O! und Ach
Von den geringsten Kleinigkeiten,
Von Zeitungsangelegenheiten,
Und, was noch schlimmer war, meist von sich selber sprach;
Und, dass es ihm ja nicht am Stoffe fehlte,
Was er vorher erzählt, gleich noch einmal erzählte.

Ein so beredter Herr sah einen wackern Mann,
Der denkend schwieg, verächtlich an.
„Der Herr“, zischt er dem Nachbar in die Ohren,
„Hat wohl das Reden gar verschworen,
Ich wett, er ist ein Narr, und weiß nicht, was er will.“
„Das dächt ich nicht“, zischt der ihm wieder in die Ohren,
„Ein Narr, mein Herr, schweigt niemals still.“

Angeblich wurde kein Buch zu jener Zeit häufiger zur Hand genommen als seine Fabeln und Erzählungen – die Bibel ausgenommen. Quasi ein Bestseller des 18. Jahrhunderts. Die große Beliebtheit machte Gellert zu einem echten Volksschriftsteller, nicht nur in ganz Deutschland, auch im europäischen Ausland fand er breite Anerkennung. Selbst seine schärfsten Kritiker mussten eingestehen „Alles, was sich nur ein wenig über den Bauernstand erhebt, liest anjetzt, und es liest vor allen Dingen Gellerts Schriften“ (1771, Briefwechsel Ueber den Werth einiger Deutsche Dichter, Jakob Mauvillon / Ludwig August Unzer). Gellert war der meistgelesene deutsche Schriftsteller vor Goethe, wobei bei ihm die Rolle des Dichters eng mit der Rolle des Erziehers verbunden war.

In rascher Folge erschienen dann die Komödien Die kranke Frau (1746), Die zärtlichen Schwestern (1747) und Das Orakel (1747), die, gewissermaßen als dramatisierte Fabel, ebenfalls auf eine sittliche Läuterung des Publikums zielten. Gellert ging es aber nicht nur darum, menschliche Schwächen auf die Bühne zu bringen und dem Gelächter preiszugeben, mit der Rührung des Publikums strebte er auch eine moralische Erziehung an. Damit entstand die neue Dramenform des „Rührenden Lustspiels“. Seine Vorstellungen und Forderungen fasste Gellert 1754 in den Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele zusammen:

Noch einmal also mit einem Worte: das Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides. … Die wahre Komödie allein ist für das Volk, und allein fähig einen allgemeinen Beifall zu erlangen, und folglich auch einen allgemeinen Nutzen zu stiften. Was sie bei dem einen nicht durch die Scham erlangt, das erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar.

Gellert brachte in seinen Komödien erstmals Protagonisten aus bürgerlichen Schichten auf die Bühne und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des deutschen Dramas. Mit ihrem kleinbürgerlichen Sujet waren die Komödien ein realistisches Abbild der damaligen Zeit. „Ohnstreitig ist unter allen unsern komischen Schriftstellern Herr Gellert derjenige, dessen Stücke das meiste ursprünglich Deutsche haben. Es sind wahre Familiengemälde, in denen man sogleich zu Hause ist; jeder Zuschauer glaubt, einen Vetter, einen Schwager, ein Mühmchen aus seiner eigenen Verwandtschaft darin zu erkennen“, urteilte Gotthold Ephraim Lessing 1767 in seiner Hamburgischen Dramaturgie.

Mit Leben der schwedischen Gräfin von G wandte sich Gellert schließlich dem Roman zu, der in der deutschen Literatur bis ins 18. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle einnahm. Als minderwertige literarische Gattung war er derart verpönt, dass Schriftsteller es unter ihrer Würde hielten, sich damit zu beschäftigen. Gellerts Roman, der vor dem Hintergrund des Großen Nordischen Krieges (1700–1721) spielte, war eine Mischung aus Briefroman und Ich-Erzählung und erschien zuerst anonym in zwei Teilen 1747 und 1748 in Leipzig. Im ersten Teil erzählt die namenlose und verwitwete schwedische Gräfin ihre von zahlreichen Katastrophen belastete Lebensgeschichte. Im Krieg verliert sie ihren Mann und heiratet Herrn R., einen Freund ihres Gatten. Doch unvermutet kehrt ihr totgeglaubter Gatte aus russischer Gefangenschaft zurück. Der Tugend und Vernunft gehorchend gibt der zwischenzeitliche Gatte die Gräfin wieder frei. Im zweiten Teil wird zunächst das Schicksal des Grafen G skizziert. Am Ende sterben jedoch beide Männer und die Gräfin bleibt allein zurück Indem Gellert immer wieder das tugendhafte Handeln der Romanfiguren betonte, versuchte er sein eigenes, christlich-aufklärerisches Tugendideal zu vermitteln. Der Roman, der heute als wichtige Etappe in der Entwicklung des deutschen Romans gilt, fand beim bürgerlichen Publikum eine begeisterte Aufnahme, wurde aber später als rührselige Familiengeschichte abgetan.

Im April 1751 wurde Gellert zum außerordentlichen Professor der Philosophie an der Universität Leipzig ernannt. In seiner Antrittsvorlesung De vi atque utilitate optimarum artium ad morum elegantium vitaeque communis suavitatem (dt. Von dem Einflusse der schönen Wissenschaften auf das Herz und die Sitten) wie auch in seiner programmatischen Schrift Pro comoedia commovente (1751) lieferte er noch einmal die poetologische Rechtfertigung für das „rührende Lustspiel“. Als Professor genoss Gellert hohes Ansehen, der seinen Studenten ein „aufrichtger Freund und treuer Ratgeber“ sein wollte. Seine Vorlesungen hatten stets großen Zulauf; sie waren das Zugpferd im Universitätsalltag. Mitunter drängte sich fast die gesamte Studentenschaft (immerhin 500 Studierende) der Leipziger Universität in den überfüllten Hörsaal. Auch Johann Wolfgang Goethe gehörte 1765/66 zu den Zuhörern: „Die Verehrung und Liebe, welche Gellert von allen jungen Leuten genoss, war außerordentlich.“

Die Aufgaben und Pflichten des Hochschullehreramtes bestimmten fortan seinen Alltag. Immer wieder zwang ihn jedoch sein Gesundheitszustand, die Lehrtätigkeit zu unterbrechen. Zur Genesung unternahm er dann längere Badereisen nach Lauchstädt oder Karlsbad. Die schmale, jährliche Pension von 100 Talern als Hochschullehrer sowie die Kosten der Kuraufenthalte zwangen Gellert, die literarische Produktion wieder aufzunehmen. Unter dem Titel Lehrgedichte und Erzählungen veröffentlichte er 1754 mehrere Fabeln, die teilweise bereits in Belustigungen des Verstandes und des Witzes erschienen waren, – ergänzt durch einige Gelegenheitsgedichte. Großen Erfolg hatte er noch einmal mit seinen Geistlichen Oden und Liedern (1757), die zu Beginn des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) entstanden. In seiner Vorrede betonte er den „hehren Anspruch“, neben der Religiosität mit „der Sprache der Poesie die Einbildungskraft und den Verstand auf eine angenehme Weise zu beschäftigen“. Die Geistlichen Oden und Lieder erfreuten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts überaus großer Beliebtheit und wurden rund 560 Mal vertont, u.a. von großen Komponisten wie Georg Philipp Telemann, Joseph Haydn oder Ludwig van Beethoven. Bereits nach wenigen Monaten erschien die Liedersammlung Herrn Professor Gellerts geistliche Oden und Lieder mit Melodien von Carl Philipp Emanuel Bach. Zahlreiche Lieder bereichern noch heute evangelische Gesangsbücher – allerdings mit abnehmender Tendenz. Sein geistliches Lied Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre hat durch Beethovens Vertonung große Berühmtheit erlangt.

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere;
Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?
Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von ferne,
Und läuft den Weg, gleich als ein Held.

Inzwischen war Gellerts Ansehen so gewachsen, dass er 1760 eine Audienz bei König Friedrich II. von Preußen erhielt, als dieser nach dem verlustreichen Sieg über die Österreicher bei Torgau in Leipzig sein Hauptquartier gemacht hatte. In der Unterredung forderte Gellert den König zur Aufmunterung der Künste und zum Frieden auf („Geben Sie uns nur Frieden, Sire.“). Auf die Frage „Hat er den Lafontaine nachgeahmet?“ antwortete er selbstbewusst und zugleich bescheiden: „Nein, Sire, ich bin ein Original; das kann ich ohne Eitelkeit sagen; aber darum sage ich noch nicht, dass ich ein gutes Original bin.“ Seine Majestät soll Gellert schließlich mit den lobenden Worten „le plus raisonable de tous les savans allemans“ (dt. „der vernünftigste von allen deutschen Gelehrten“) entlassen haben.

Als man Gellert 1761 das Angebot einer ordentlichen Professur unterbreitete, lehnte er aus gesundheitlichen Gründen ab. Gleichwohl kam er als außerordentlicher Professor seinen Lehrverpflichtungen weiterhin nach. 1765 hielt er in der Leipziger Universitätsbibliothek in Anwesenheit von Kurfürst Friedrich August von Sachsen eine öffentliche Vorlesung mit dem Thema Von der Beschaffenheit, dem Umfange und dem Nutzen der Moral. In den späten 1760er Jahren war Gellert damit beschäftigt, seine Werke und Vorlesungen zu überarbeiten; er wollte sie in einer zehnbändigen Ausgabe seiner Sämtlichen Schriften zusammenfassen, deren erste Bände bereits 1769 im Verlag von Philipp Erasmus Reich in Leipzig erschienen. Noch einmal besuchte er seine Heimatstadt Hainichen. Es war ein Abschied, denn wenig später, am 13. Dezember 1769 starb Christian Fürchtegott Gellert.

Unter großer Anteilnahme wurde er am 16. Dezember auf dem Leipziger Johannisfriedhof beigesetzt. Das Grab wurde schnell zur Wallfahrtsstätte für zahlreiche Verehrer, die den Grabhügel langsam abtrugen, da jeder eine Handvoll Erde als Andenken mitnehmen wollte. Schließlich sah sich der Magistrat der Stadt veranlasst, die Massenwallfahrt zu verbieten. 1790 wurden seine Gebeine an die Seite Johann Sebastian Bachs in die Johanniskirche umgebettet. Es sollte jedoch nicht Gellerts letzte Ruhestätte sein. Nach der Zerstörung der Kirche 1943 erhielt Gellert seinen dritten Begräbnisplatz 1949 in der Universitätskirche St. Pauli. Als diese 1968 wegen der „sozialistischen Umgestaltung“ des Augustusplatzes gesprengt wurde, ging der Sarkophag verloren und Gellerts Gebeine wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf den Südfriedhof umgebettet. Innerhalb von 250 Jahren drei Mal exhumiert und umgebettet. Totenruhe sieht sicher anders aus.

Gellert war der meistgelesene Autor seiner Zeit, bewundert und verehrt, so etwas wie ein Pop-Star. War es nur ein „Augenblickserfolg“ (Albert Bielschowsky)? Heute ist Gellert nahezu aus dem Gedächtnis der deutschen Literatur verschwunden. Dieser Prozess setzte bald nach seinem Tode ein, bereits die jungen Literaten der nachfolgenden Sturm-und-Drang-Generation verschmähten ihn als seichten „Dichter ohne einen Funken Genie“. Ihr Vorbild war Friedrich Gottlob Klopstock. Selbst Goethe, der mit Begeisterung Gellerts Vorlesungen besucht hatte, charakterisierte später in Dichtung und Wahrheit die deutsche Literatur der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als „wässrige, weitschweifige, nulle Epoche“.

Neben spärlichen Überbleibseln in Gesangsbüchern und als der Fabeldichter in Schulbüchern hat Gellert heute leider kaum noch literarische Spuren hinterlassen. Auch in zeitgenössischen Gedichtanthologien ist er nur noch selten vertreten. In den letzten Jahren hat die Literaturwissenschaft diesen bedeutenden Autor der Aufklärung jedoch wieder entdeckt. Da wäre in erster Linie die anfangs erwähnte kritische, kommentierte Gesamtausgabe seiner Gesammelten Schriften (7 Bände, 2000-2008, Walter de Gruyter Verlag, Hg. Bernd Witte u.a.) zu nennen, die erst nach über dreißigjähriger Arbeit abgeschlossen vorlag. Zum 300. Geburtstag erschienen mit Praeceptor Germaniae – Christian Fürchtegott Gellerts 18. Jahrhundert (2013, Hg. Werner Jung / Sibylle Schönborn, Aisthesis Verlag) und Christian Fürchtegott Gellert – Der alte Dichter und der junge Criticus (2014, Hg. Werner Marx, Evangelische Verlagsanstalt) zwei Publikationen, die sich u.a. mit Gellerts wirkungsgeschichtlicher Einordnung auseinandersetzten. Dank des Engeldorfer Verlages (2013, zehnbändige Reihe herausgegeben durch den ehemaligen Pfarrer Friedemann Steiger) und des Hansebooks Verlages (2017, zehnbändige Ausgabe Sämtliche Schriften Herrn C. F. Gellerts als Nachdruck) sind Gellerts Werke in Neuerscheinungen wieder verfügbar. Außerdem müssen die beiden biografischen Titel Christian Fürchtegott Gellert von Sikander Singh (2010, Wehrhahn Verlag) und Episoden um Christian Fürchtegott Gellert von Susan Hastings (Pseudonym, 2015, Tauchaer Verlag) erwähnt werden. In diesem Jahr sucht man allerdings zu seinem 250. Todestag vergebens nach einer angemessenen Publikation. Nicht einmal seine bekannten Fabeln liegen in einer Neuausgabe vor. Die einzige Jubiläums-Veranstaltung findet am 13.12.2019 im Alten Senatssaal der Universität Leipzig statt, wo unter dem Motto „Christian Fürchtegott Gellert – Poet, Professor, Rhetor“ vier Vorträge Gellert aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Den Höhepunkt bildet die Aufführung von Beethovens „Gellert-Liedern“.