Scheitern ohne Chance

Birgit Birnbacher gibt in ihrem Debütroman „Ich an meiner Seite“ Einblicke in die Fallstricke des Lebens

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie muss es sich anfühlen, als 22jähriger junger Mann, der soeben aus dem Gefängnis entlassen wurde, in seinem Leben vergeblich wieder Fuß zu fassen? Arthur scheitert immer wieder aufs Neue, denn ohne einen schön geföhnten Lebenslauf bekommt man als Ex-Knacki keine Anstellung und ohne Job keine Wohnung. Der Eintritt in die sogenannte „normale“ Gesellschaft bleibt somit verwehrt. Die österreichische Autorin Birgit Birnbacher, die 2010 mit ihrem Kurztext Der Schrank den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, weiß, wovon sie in ihrem Debütroman schreibt. Als Soziologin hat sie persönliche Erfahrungen im Umgang mit Randgruppen der Gesellschaft.

Arthur, der nach 36 Monaten Gefängnis in die vermeintliche Freiheit entlassen wird, hat aber trotz aller Widrigkeiten auch Glück. So wird ihm der unkonventionelle Therapeut Konstantin Vogl (genannt Börd) an die Seite gestellt, der mit ihm das Konzept einer „Optimalversion“ erarbeiten will. Der junge Haftentlassene soll sich, durch verschiedenste Versuche und Tests, ein zweites optimiertes Ich erschaffen, in dessen Gedankenwelt und Gefühle er bei Bedarf hineinschlüpfen kann. Diese neue Hauptfigur soll Arthur in Krisenzeiten Orientierung und Halt geben. Mit Hilfe des sogenannten „Schwarzsprechens“ erhält Arthur den Auftrag, auf ein Audiogerät prägende Ereignisse aus seiner Vergangenheit zu erzählen. So switcht die Geschichte gekonnt zwischen den Ereignissen im aktuellen Leben Arthurs und – bei Einschüben der Tonprotokolle – seiner privaten und familiären Vergangenheit. Der Leser erfährt dadurch viel von der lieblosen Kindheit, seiner ichbezogenen Mutter, die vorangetrieben durch ein ehrgeiziges berufliches Projekt, mit dem zweiten Ehemann, Arthur und dessen älteren Bruder nach Spanien auswandert. Dort fasst der Junge nur schwer Fuß, wird als Jugendlicher Teil einer unglücklichen Dreierbeziehung, um schließlich allein und überstürzt nach Österreich zurückzukehren. Nur die ältere schwerkranke Schauspielerin Grazetta vermag ihm einen gewissen emotionalen Halt zu geben. Das (offene) Ende soll hier nicht verraten werden, tröstlich ist, dass die vermeintliche Katastrophe, das komplette Scheitern glücklicherweise ausbleibt.

Birnbacher hat in ihrem Debütroman eine höchst interessante Mischung aus sozialer Kritik über die Unmöglichkeit der Integration Straffälliger und einen stellenweise komisch-ironischen Text mit Humor und liebenswerten Figuren geschaffen. Ein feinsinniges Buch über die Fallstricke des Lebens und ein lesenswerter Einblick in die Tatsache, dass alle Menschen nur Teil einer großen Bühne sind, auf der manche ihre Rolle gut, andere schlechter spielen.

Titelbild

Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020.
272 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783552059887

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch