Versuch einer Rettung

Der Band „Institutsprosa“ bietet Ein- und Ausblicke in ein spannendes Feld der Gegenwartsliteraturforschung

Von Tobias SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann an dem Sammelband Institutsprosa. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf akademische Schreibschulen nur wenig kritisieren. Das hat vor allem damit zu tun, dass die HerausgeberInnen Kevin Kempke, Lena Vöcklinghaus und Miriam Zeh betonen, mit dem Buch die „erste systematische Erkundung des Phänomens ‚Institutsprosa‘“ vorgelegt zu haben und somit nicht den Anspruch erheben, alle möglichen oder erwünschten Aspekte des Feldes abzudecken. Ziel ist es, den „Begriff der ‚Institutsprosa‘ im Sinne einer Heuristik als analytisches Raster auf zentrale Problemfelder und Fragestellungen hinsichtlich der Literaturinstitute und ihrer Rolle in der Gegenwartsliteratur“ anzuwenden und den Begriff einer „Neubesetzung“ zu unterziehen.

Zwei Schwachpunkte sollen aber gleich zu Beginn benannt werden: Zum einen scheint die Perspektive sehr eingeschränkt, weil in fast allen Beiträgen immer auf die historisch zwar sehr relevanten amerikanischen Creative-Writing-Programme referiert wird, aber leider die europäische Dimension dabei zu kurz kommt. Neben Deutschland gibt es mittlerweile ja auch in Österreich, der Schweiz, Dänemark, Norwegen, Tschechien und anderen Ländern ebenfalls Schreibinstitute bzw. Studiengänge für Literarisches Schreiben, zwischen denen zum Teil reger Austausch besteht. Die Frage also, ob sich bspw. für die europäischen Schreibinstitute mittlerweile eine von der amerikanischen Tradition verschiedene Herangehensweise an Literarisches Schreiben und dessen Poetik etabliert hat, bleibt so leider unbeantwortet. Zum anderen wäre es wünschenswert gewesen, mehr Fallstudien zu literarischen Texten zu lesen, denn zu oft decken sich die Referenzen der verschiedenen Beiträge (Florian Kessler, Leif Randt, Juli Zeh). Was hat es denn nun genau mit der kritisierten Konformität der sogenannten „Institutsprosa“ auf sich? Lassen sich nicht vielleicht doch Ähnlichkeiten in Stil, Ton, Wortgebrauch, Rhetorik und Syntax erkennen? Wenn ja, ist das dann Systemeffekt, Zeiteffekt oder vielleicht sogar Resultat der relativen Abgeschlossenheit des Systems Literatur selbst? An diesen Fragen zeigt sich, dass das Untersuchungsfeld der „Institutsprosa“ noch lange nicht ausanalysiert ist.

 Das Themenspektrum der zehn Beiträge umfasst Feuilleton-Debatten (Claudia Dürr), die Geschichte des ostdeutschen Johannes-R.-Becher-Instituts (Katja Stopka), die Kontroversen um die MFA-Programme in den USA und ihrer Bezüge zu den deutschsprachigen Schreibinstituten (Johannes Franzen und Sara Heristchi), Schreibschulanthologien (Sonja Lewandowski), sogenannte Betriebsromane (Wolfgang Hottner), die Biografie als Ressource (Kevin Kempke), das literarische Mentorat (Johanne Mohs und Marie Caffari) und Schreibratgeber (Miriam Zeh). Hier zeigt sich bereits der methodologische Fokus des Bandes, der in erster Linie literatursoziologisch orientiert ist, also v. a. die Rahmenbedingungen untersucht, in und mit denen Schreibinstitute und deren AbsolventInnen konfrontiert sind.

In ihrer Feuilleton-Schau von 1990–2017 stellt Claudia Dürr fest, dass es auch heute noch eine eher kritische Reflexion der Produkte von Schreibschulabsolventen gibt (mit Ausnahmen wie bspw. Saša Stanišić oder etwa Juli Zeh, deren Schreibschulzeiten aber auch bereits lange zurückliegen und beide sich davon mehr oder weniger emanzipiert haben). War die anfängliche Berichterstattung noch von Neugier und Wohlwollen geprägt, so wurden rasch auch kritische Stimmen laut, die von Erfahrungsarmut, Weltlosigkeit und Konformität sprachen. Immer wieder spielt in der Begutachtung von Institutsprosa eine Vorstellung mit, die von AutorInnen mehr als Talent und Handwerk verlangen, sondern eben auch Genie. „Aus Sicht des Feuilletons bleiben ‚Talent‘/‚Begabung‘ auf der einen und ‚Institutsprosa‘, sprich Vereinheitlichung durch die Gruppe, auf der anderen Seite stattdessen weitgehend unvermittelbare Extreme.“ Was dabei auffällt ist, dass die Kritik häufig nicht in erster Linie substantiell argumentiert, dafür aber oft Oberflächenphänomene wie Stereotypisierung, Klischees oder Gefälligkeit bemängelt. Das als für Institutsprosa spezifisch zu diagnostizieren, ist aber selbst zu oberflächlich. Was Claudia Dürrs Beitrag deutlich macht, ist eine Schwäche der Kritik, deren Aufgabe es eigentlich sein müsste, die tieferen Strukturen zu analysieren, bspw. syntaktische, ideelle/ideologische oder auch rhetorische Muster zu suchen, die eventuell als Ausweis eines Merkmals von Institutsprosa gelten könnten – oder eben auch nicht.

Was in den Feuilleton-Debatten und Rezensionen zu Institutsprosa immer wieder begegnet, ist ein starker Fokus auf die Biografie der AutorInnen. Dieser Entwicklung geht Kevin Kempke in seinem Beitrag nach und fragt, inwiefern die „Biografie als Ressource literarischer Produktion“ zunehmend in den kritischen Blick gerät. Dabei kommen Konstellationen zum Vorschein, die „Autorschaft mit Faktoren der Herkunft und bestimmten kollektiven Identitäten zusammen […] denken“. Es geht darum herauszustellen, dass in der Wahrnehmung zeitgenössischer und das heißt konkret gegenwärtiger Texte die AutorInnenbiografie, der Text und die Inszenierung von Autorschaft ein Interpretationsensemble bilden, das von drei Seiten zugleich bedient und rezipiert werden muss, den AutorInnen, den LeserInnen und den KritikerInnen. Dabei diagnostiziert Kempke zwei unterschiedliche Typen von AutorInnen: jene, denen „Erfahrungsarmut“ attestiert wird und jene anderen, deren Biografie durch einen nonkonformen Verlauf gekennzeichnet ist (migrantisch, milieuhaft, kriminell, etc.). Beide jedoch sehen sich, so Kempke, „einem jeweils verschiedenen Begründungsaufwand [ihrer] Autorschaft“ gegenüber. Sind erstere darauf verwiesen „unter den Bedingungen des Erfahrungsparadigmas den Flirt mit dem Anderen, Transgressiven“ zu suchen, haben letztere das Problem, ihr „biografische[s] Kapital in marktgängige Strukturen zu überführen“. Im Kontext von „Institutsprosa“ stehen vor allem Texte jener bürgerlichen, aus gesicherten Verhältnissen stammenden AutorInnen im Fokus, denen ihre unterstellte Erfahrungsarmut zur Last gelegt wird. Kempke beobachtet nun und belegt das am Beispiel des Romans Schimmernder Dunst über CobyCounty von Leif Randt, dass jene AutorInnen vermehrt ihre Erfahrung an Schreibinstituten als biografische Ressource nutzen, um vom „Schreiben selbst“ zu schreiben.

Diesem Phänomen geht Wolfgang Hottner in seinem Beitrag zu Betriebsromanen nach und kommt auch auf Leif Randt zu sprechen, der nicht nur in seinem Debütroman Schimmernder Dunst über CobyCounty jenes „Schreiben selbst“ behandele, sondern ebenso in seinem zweiten Roman Planet Magnon. Hottner stellt fest, dass es oft zweite Romane sind, die sich des Themas annehmen. Charakteristisch sei für diese Romane die Affinität zu postmoderner Theorie, deren Anwendung und Spiel damit versuche „eine theorieaffine Literaturkritik“ zu ködern, die das Spiel mit der Theorie als genuines Merkmal des Textes zu erkennen meint. In seiner Analyse zu Leif Randts Roman Planet Magnon macht Hottner die Tendenz aus, dass die institutionellen Formen und Strukturen nicht unbedingt direkt als solche beschrieben werden müssen, sondern transponiert und damit subtil den ‚Betriebsroman‘ Planet Magnon durchziehen können. Den KritikerInnen bzw. LeserInnen ist es dann überlassen, die gelegten Spuren auf den Betrieb hin zu lesen oder eben nicht. Randts Roman, so Hottners Fazit, geht so weit, dass er in seiner Anlage zwar keine Gesellschaftskritik übt, aber doch die gegenwärtigen Produktionsbedingungen von Ästhetik und Literatur kritisch beleuchtet.

Dem mitunter paradoxen Genre des Ratgebers fühlt Miriam Zeh auf den Zahn. Sie spricht von zwei unterschiedlichen Ausprägungen von Schreibratgebern. Da sind zum Einen die „Laienratgeber“, deren erklärtes Ziel es sei, v. a. das therapeutische Potential des Schreibens in den Vordergrund zu stellen. „Beurteilungskriterien für Literatur, Maßstäbe und Beispieltexte aus dem Kanon der Weltliteratur“ sollen dabei gerade nicht vermittelt werden, sondern „Techniken der Selbsttherapie“. AutorInnen dieser Ratgeber kommen deshalb in der Regel nicht aus dem Literaturbetrieb, und die „fehlende Institutionalisierung ihres Wissens“ sei es, die ihre Glaubwürdigkeit produziert. Von solchen Ratgebern setzen sich jene AutorInnen ab, die in den Institutionen der Literatur verwurzelt sind, häufig selbst bekannte SchriftstellerInnen oder ProfessorInnen besagter Institute. Deren oft bewusst polemische Absetzung gegenüber Laienratgebern, v. a. die dort häufigen Versuche, Regeln zu definieren, die erfolgreiches Schreiben garantieren sollen, wird gegen das Dialog- oder Mentoringmodell der Schreibinstitute ausgespielt. Dabei scheint der AdressatInnenkreis aber nun keineswegs die eigene StudentInnenschaft zu sein, sondern „externe Autodidaktïnnen“. So werde aber „die Exklusivität der institutionellen Schreibausbildung noch einmal hervorgehoben.“ Miriam Zeh zieht ein zwiespältiges Fazit, denn beide Gattungen der Schreibratgeber haben nicht immer den Nutzen, den sie vermeintlich versprechen. Laienratgeber können wegen ihrer Regelverhaftung und fehlender Beurteilungskriterien des Geschrieben denen nicht nützen, die literarisch qualitative Texte schreiben wollen. Die sind aber auch bei den Ratgebern aus dem Institutskontext oft an der falschen Adresse, weil ihnen die Exklusivität einer institutionellen Ausbildung als der bessere Weg aufgezeigt wird, den zu gehen aber durch eine Vielzahl von Zugangsregelungen erschwert wird.

Der Sammelband Institutsprosa gibt äußerst interessante Ein- und Ausblicke in das noch stark zu beforschende Feld der Schreibinstitute und leistet damit einen Beitrag zur aktuellen Gegenwartsliteraturforschung. Sowohl LiteraturwissenschaftlerInnen als auch angehenden und gegenwärtigen Studierenden des Literarischen Schreibens ist der Band ans Herz zu legen, finden sich darin doch nicht nur historisch spannende Querverweise, sondern auch viel Material zur Reflexion des eigenen Schreibens und der Produktionsbedingungen, in denen sich vermeintlich selbstbestimmtes kreatives Arbeiten situiert.

Titelbild

Lena Vöcklinghaus (Hg.) / Kevin Kempke / Miriam Zeh: Institutsprosa. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf akademischen Schreibschulen.
Spector Books, Leipzig 2019.
262 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783959052870

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