Buk Sings His Ass Off

Erinnerungen des Übersetzers Carl Weissner an Charles Bukowski

Von Carl WeissnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carl Weissner

Ich hatte mit Bukowski schon einige Jahre Kontakt, ich kannte ihn aus unzähligen Briefen, aus seinen Büchern, aus den Manuskripten die er mir für Klacto/23 schickte, und als ich ihn im Sommer 1968 zum ersten Mal in Los Angeles besuchte, hatte ich auch die „Bukowski-Legende“ kennengelernt: in den Poster Shops von New York und San Francisco und in den ekstatischen Artikeln seiner Bewunderer in den Redaktionen der amerikanischen Underground Zeitschriften & Zeitungen. Seit Ende der 50er Jahre hatte es kaum ein „Little Magazine“ von einiger Bedeutung gegeben, in dem er nicht regelmäßig mit Beiträgen vertreten war. Endgültig setzte der Run auf Bukowski 1965 ein, als ihn The Outsider – neben Evergreen Review und Kulchur eines der wichtigsten Literaturmagazine jener Jahre – in einer Sondernummer zum „Outsider des Jahres“ erklärte.

Damals schickte er mir eine Kopie seines Briefes an die Herausgeber, in dem er ausführlich über seinen letzten Selbstmordversuch berichtete und erst ganz am Ende, fast etwas mißmutig, die „Ehrung“ zur Kenntnis nahm und hinzufügte: „Ich bleibe dabei – und ihr kennt mich gut genug um das jetzt nicht in die falsche Kehle zu kriegen –: Personenkult ist Scheiße.“

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Bei unserem Treffen erzählte ich ihm, daß ich von Leuten, die nur den Erfolg, aber nicht den Mann selbst kannten, immer wieder zu hören bekommen hatte, Bukowski sei doch ein Con Man erster Ordnung, wenn er so tue, als sei er nach wie vor kurz vor dem Abschnappen; in Wirklichkeit habe er doch mittlerweile ein dickes Bankkonto und fahre wahrscheinlich einen bar bezahlten Cadillac, vermutlich halte er sich auch einen kleinen Homo, der ihm die Schreibarbeit abnimmt usw.

„Shit“, sagte er. „Alles kalter Kaffee. In meinem Leben hat sich nichts geändert, außer daß mir der ganze Rummel die Lust am Schreiben nimmt. Ich habe jedenfalls nicht vor, mich auf die goldenen Scheißhäuser der Kultur zu abonnieren. Schau dich um: ich lebe nach wie vor im Dreck, in den Slums, auf der Skid Row von Hollywood. Aber das ist etwas, womit ich umzugehen verstehe, deshalb bin ich gar nicht scharf darauf, daß sich das ändert.

Das, plus eine Serie von miesen Jobs, eine ruinierte Gesundheit, eine Dosis Irrsinn, ein kaputter 57er Plymouth, ein ramponiertes Gesicht, verkorkste Weibergeschichten, ein paar Magazine & kleine Verleger, für die es sich zu schreiben lohnt, und ein paar alltägliche Laster wie Pferdewetten und Saufen ist alles was ich bisher hatte & alles was ich zum Arbeiten brauchte. Wenn mir das Schreiben ab und zu ein paar hundert Dollar einbringt, kriege ich sofort das Gefühl, daß ich ins Rutschen komme, daß ich dabei bin, Ausverkauf zu machen. Und ich sehe zu, daß ich die Moneten auf dem nächsten Rennplatz verwette oder daß sie bei einer Sauftour draufgehen. Erst wenn ich auf Zero bin, kann ich mich wieder an die Maschine setzen und versuchen weiterzumachen.

Und wenn ich schreibe, dann trotz der letzten entnervenden Nachtschicht (als Briefsortierer im Postamt – C. W.), trotz der letzten Verluste am Totalisator, trotz Hämorrhoiden und Magendurchbruch, trotz der letzten Knaststrafe wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Körperverletzung und Beamtennötigung, trotz der Tatsache daß ich vor einer halben Stunde noch Blut gekotzt habe, und trotz des Schecks von Evergreen Review oder Playboy, und trotz der blödsinnigen Arschlöcher, die mir dieses Scheiß-Image des „taugh guy“ angehängt haben oder mich als einen wild gewordenen Hemingway feiern oder als den Slum-Gott aus den Kloaken von Los Angeles oder was weiß ich…

Viele, die mich lesen, sind anscheinend nicht imstande zu begreifen, daß ich nur schreibe, um herauszufinden, ob ich schon vollkommen kirre bin oder nicht – und das bedeutet: ob ich die nächsten 24 Stunden überleben werde, überleben will, oder nicht; ob ich noch fähig bin der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und das dann auch zu Papier zu bringen, anstatt einfach nur Literatur zu machen.

Mit anderen Worten, wenn ich sage, daß ich mich jeden Tag an diese Schreibmaschine dort am Fenster klammere wie an ein rostiges Maschinengewehr, nachdem mich der Feind schon rechts und links überrollt hat, dann ist das keine lyrische Floskel. Mein Vokabular ist in diesen Jahren auf einen letzten äußersten Rest zusammengeschrumpft, aber mit diesem Rest versuche ich herauszuhämmern, was nur drin ist.

All die Jahre, die ich in Schlachthöfen und Tankstellen, an Fließbändern und in U-Bahn Tunnels usw. gearbeitet habe, machen es mir unmöglich, das wohlgesetzte Wort um seiner selbst willen zu akzeptieren. Für mich muß da mehr drin sein, sonst bin ich nur ein weiterer Selbstmord in einem dreckigen Zimmer oder in der Gosse oder im Meer oder in der Gaswolke. Und wenn ich das Zeug aus dem Haus lasse, wenn ich es rausschicke und veröffentlichen lasse, dann deshalb weil ich weiß, daß da draußen ein paar hundert oder tausend Kanacken herumkrebsen, die exakte Duplikate von mir sind, und weil es mir deshalb gelungen ist, bis zum heutigen Tag zu überleben.

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Außer dem reinen Selbsterhaltungstrieb könnte da natürlich auch ein Schuß Ego mit im Spiel sein: Charles Bukowski auf einem Stück Papier, verstehst du? Sodaß ich das Gefühl haben kann, wenn ich in der Säuferpenne umkippe oder meine Eingeweide herausgeschnitten kriege oder meine Seele oder sonstwas, daß ich wenigstens einen Bruchteil dieses beschissenen verkorksten Lebens gerettet habe…“

Damit ist glaube ich einiges gesagt. Nicht über das „Phänomen“ Bukowski, nicht über die „Legende“ Bukowski, sondern über den amerikanischen Menschen Charles Bukowski… an einem Abend im Sommer 1968 bei der sechsten Dose pabst blue ribbon Bier in seiner baufälligen Wohnung an der DeLongpre Avenue in Los Angeles.

Damit ist vielleicht auch etwas gesagt über Charles Bukowski, den Sohn deutsch-polnischer Einwanderer, 1920 in Andernach am Rhein geboren, im Alter von 2 Jahren nach Amerika gekommen, aufgewachsen in den Slums der Großstädte, erste Vorstrafen als jugendliches Bandenmitglied, später Studium der Journalistik (abgebrochen), dann Erfahrungen gesammelt als Leichenwäscher, Werbetexter für ein Bordell, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Sportjournalist, Müllkutscher, Hafenarbeiter, Zuhälter, Herausgeber von Literaturzeitschriften, Alkoholiker, Strafgefangener und konsequenter Outsider… über diesen Charles Bukowski also, den ich in der Nacht zum 8. August 1968 auf einer Party im Haus des Henry Miller (auch er Sohn einer deutschen Mutter) erlebt habe, wie er in volltrunkenem Zustand dem Gastgeber auf die Schulter schlug und ausrief: „Henry, wir Deutschen sind doch weiß Gott die größten Arschlöscher auf der Welt!“, worauf sich ein Wortgefecht entwickelte, das zum wesentlichen Teil mit deutschen Kraftausdrücken geführt wurde und darin endete, daß Miller sich an seinen zerschrammten Yamaha-Flügel hockte und die Marseillaise hämmerte, während Bukowski die polnische Nationalhymne grölte.

Dieser Charles Bukowski ist der Autor des Buchs Aufzeichnungen eines Außenseiters (ursprünglich geschrieben als eine Serie von wöchentlichen Kolumnen für Open City, die Underground-Zeitung von Los Angeles), in dem unter anderem auch die Rede ist von Jack Micheline, einem der letzten aktiven Street Poets der Beat Generation; von Bukowskis Zusammentreffen mit Neal Cassady (dem Helden in Kerouacs Roman On the Road) wenige Tage bevor er in Mexiko an einer Überdosis starb; und von Harold Norse (aus dem Kreis der „Exil-Amerikaner“ um William Burroughs in Paris Anfang der 60er Jahre), bei dem Bukowski – wie bei sich selbst – das Frozen Man Syndrom diagnostiziert, das untrügliche Kennzeichen der selbstgewählten Außenseiter-Existenz.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages aus Carl Weissner: Aufzeichnungen über Außenseiter. Essays und Reportagen. Hg. von Matthias Penzel. Verlag Andreas Reiffer, Meine 2020 (Erstdruck: Melzers Surf Rider. Melzer Verlag, Darmstadt 1970).