Architektur – im Handumdrehen verstanden

Thomas R. Hoffmann führt in „Das fünf x 5 der Architektur“ ein – in die europäischen Architektur-Epochen

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Fünf-Mal-Fünf der Architekturgeschichte: Fünf Kunst-Epochen, fünf Bauwerke aus jeder Epoche, fünf Fragen und Antworten zu jedem Bauwerk. So einfach – in Form eines Unterhaltungsspiels – kann man Architektur erklären und verstehen. Und Thomas R. Hoffmann, freier Mitarbeiter der Berliner Museen, also ein erfahrener Praktiker, hat sich wirklich etwas Originelles einfallen lassen, eine „Architekturgeschichte für Einsteiger“, eine Beschreibung der Bauwerke in knappster Form, ein aufschließendes Frage-und-Antwort-Spiel zu jeder Bau-Epoche.

Mit der Aufteilung der Architekturgeschichte in fünf Epochen – Mittelalter, Renaissance, Barock, 19. Jahrhundert, Klassische Moderne – könnte man sich schnell einig sein. Ab dem 19. Jahrhundert wäre dann aber vielleicht doch eine größere Differenzierung angebracht gewesen. Da die Perioden ständig kürzer wurden und Stilströmungen, wenigstens gewisse Zeit, auch nebeneinander bestanden, geschah es auch häufig, dass sich Architekten zugleich verschiedener Formsysteme bedienten. Klassizismus, Romantik, Eklektizismus, Jugendstil, Kubismus, Futurismus, Expressionismus, Dadaismus, Konstruktivismus und Surrealismus wechselten einander ab bzw. gingen ineinander über. Und wenn mit der Klassischen Moderne abgeschlossen wird, wo bleibt dann die Postmoderne, wo der Dekonstruktivismus, die zu den aufregenden Erlebnissen der jüngsten Zeit gehören?

Wohlüberlegt die Auswahl der Bauwerke für das Mittelalter. Die Benediktinerabtei Maria Laach (1093-1216) als Beispiel für eine hochmittelalterliche Klosteranlage; das Freiburger Münster (1200-1513), im romanischen Stil begonnen und im Stil der Gotik und Spätgotik vollendet; die Burg Eltz, eine Höhenburg aus dem 12. Jahrhundert, die sich in der Anlage an der elliptischen Form der Felsformation orientiert und die niemals gewaltsam erobert werden konnte; das Spitzhäuschen in Bernkastel-Kues, ein 1416 erbautes Fachwerkhaus, ein Meisterstück bäuerlich-bürgerlicher Bau- und Wohnkultur des Mittelalters und gleichzeitig eines der ältesten Beispiele moselländischer Winzerhäuser; schließlich das Krantor in Danzig (1442-1444), als Stadttor mit doppelter Kranfunktion markantes Wahrzeichen der Stadt, es war der größte Hafenkran des mittelalterlichen Europa, der für das Um- und Ausladen der Schiffe genutzt wurde.

Für die Renaissance stehen der Palazzo Medici-Riccardi in Florenz, der als erster Profanbau der Frührenaissance von der Familie Medici 1444 bei dem Architekten Michelozzo in Auftrag gegeben wurde, ein geschlossener, breit gelagerter, kubischer, meist dreigeschossiger Baukörper von klar gegliederter Monumentalität. Dagegen ist die Basilika Sant’Andrea in Mantua von Leon Battista Alberti entworfen und ab 1472 als Gründungsbau für die sakrale Architektur der Hochrenaissance und der Gegenreformation errichtet worden. Als das prächtigste und majestätischste aller Loire-Schlösser gilt das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter König Franz I. errichtete Prunk- und Jagdschloss Chambord; zentrale Achse des Schlosses ist die Doppelwendetreppe, die auf Leonardo da Vinci zurückgeht. Zu den bedeutenden Bauten der Sächsischen Renaissance zählt das 1541 vollendete Alte Rathaus der Lutherstadt Wittenberg, das drei verschiedene Stilepochen aufweist. Seine typische Gestalt eines Renaissance-Bauwerkes erhielt es erst durch die 1573 aufgesetzten Zwerchhäuser. Die Villa La Rotonda bei Vicenza (ab 1566) ist von dem berühmten Renaissance-Architekten Andrea Palladio entworfen worden. Vor dem Gebäudekubus ist auf allen vier Seiten die gleiche, offene Fassade gestellt: ein klassischer Portikus auf sechs ionischen Säulen, von einem Dreiecksgiebel gekrönt.

Die Barock-Epoche wird eingeleitet durch den spektakulären Blick auf den Petersplatz in Rom, der von Gian Lorenzo Bernini zwischen 1656 und 1667 unter Papst Alexander VII. vor dem Petersdom angelegt wurde. In der Mitte des Platzes, der eine elliptische Form hat und von Kolonnaden dorischer Säulen umrahmt wird, steht ein Obelisk, der aus dem Circus des Caligula und Nero stammt, in dem Petrus der Überlieferung nach zufolge hingerichtet wurde. Die Kirche St. Kajetan und Adelheid in München, genannt Theatinerkirche, eine kreuzförmige Kuppelbasilika mit Querschiff, ab 1663 erbaut, erst 1768 wurde die Fassade vollendet, ist die erste im Stil des italienischen Hochbarock erbaute Kirche in Altbayern. Sie wurde Vorbild anderer Kirchenbauten und steht am Beginn des italienisch inspirierten Hochbarock in Bayern. Nicht fehlen durfte das Schloss Versailles, ein Höhepunkt europäischer Palastarchitektur, das vom 17. bis zum 19. Jahrhundert als Vorbild für zahlreiche weitere Schlossbauten diente. Versailles ist ein Gesamtkunstwerk, mit seinem Park, den Gärten, Wasserspielen, Statuen, mit seinem einzigartigen Spiegelsaal, den Gemälden und der Schlosskapelle, die Ludwig XIV. noch in seinen letzten Lebensjahren errichten ließ.

Die Zahl der Herrscherpaläste und Schlösser nahm dann ab, der Bau von öffentlichen Gebäuden profaner Bedeutung nahm zu. Von den drei geplanten Türmen des barocken Hauptgebäudes der Universität Breslau wurde nur der Mathematische Turm errichtet, der den Haupteingang mit einem dreigeteilten Portikus, durchbrochener Balustrade und den Figuren der vier Kardinaltugenden bildet. Ein schöner Einfall ist das Buddenbrookhaus in Lübeck, das Stammhaus der Familie Mann und Schauplatz des Jahrhundertromans Die Buddenbrooks. Hinter der weißen Barockfassade aus dem Jahr 1758 verbirgt sich eines der außergewöhnlichsten Literaturmuseen, das jetzt allerdings wegen Erneuerungsarbeiten bis 2023 geschlossen ist.

Dann wird es im 19. Jahrhundert doch etwas wahllos und unübersichtlich. Nachvollziehbar das 1818-1820 von Karl Friedrich Schinkel erbaute Berliner Schauspielhaus als Hauptwerk des deutschen Klassizismus. Dann erfolgt der Sprung in die Grands Boulevards, die der Präfekt Haussmann ab 1853 als Prachtstraßen quer durch Paris anlegen ließ. Ihnen folgt die im romanisch-byzantinischen Stil errichtete, aber erst 1914 fertiggestellte Basilika Sacré-Cœur de Montmartre, die Hamburger Speicherstadt, ein zwischen 1883 und 1927 errichteter historischer Lagerhauskomplex, und der Dresdner Hauptbahnhof, der 1898 in Betrieb ging. Wäre hier nicht eher überlegenswert gewesen, wenn nicht gerade das Schloss Neuschwanstein, das der romantikverliebte Ludwig II. ab 1869 errichten ließ, die Semperoper in Dresden (1878) oder den neobarocken Berliner Dom um 1900, dann stattdessen das geschichtsträchtige Berliner Reichstagsgebäude von 1894 aufzunehmen, ein Bauwerk der Spätphase des Historismus, dessen Fassade die Stilsuche und den daraus resultierenden Stilmix seiner Zeit spiegelt?

Für die Klassische Moderne werden exemplarisch genannt die Casa Batlló in Barcelona, ein Werk des katalanischen Jugendstils, das Bauhausgebäude in Dessau, das mit Abstand berühmteste Bauwerk der klassischen Moderne in Deutschland, die von Corbusier entworfene katholische Wallfahrtskirche Chapelle Notre-Dame-Du-Haut de Ronchamp, die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun und der IBM Tower in Chicago, dessen Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe stammt, der jedoch 1969 noch vor Baubeginn starb. Ein bedeutendes Beispiel für die Jugendstil-Architektur wäre auch die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt gewesen, wo Joseph Maria Olbrich, der Architekt der Wiener Secession, zwischen 1901 und 1908 zahlreiche Bauten verwirklichte. Man hätte auch der expressionistischen Architektur zugeneigte Bauwerke wie den Einsteinturm in Potsdam von Erich Mendelsohn (1921) oder das Hamburger Chilehaus von Fritz Höger (1924) mit seiner visionären, erregend neuen Formsprache in die engere Wahl ziehen können. Schließlich gehört der IBM Tower, dieser 212 Meter hohe Wolkenkratzer, in unserem Band das einzige Bauwerk außerhalb Europas, eigentlich schon zur Postmoderne. Und für die Postmoderne, die mit architekturgeschichtlichen Zitaten arbeitet und sich nicht nur auf die Funktion beschränken, sondern auch „erzählen“ bzw. Inhalte vermitteln will, wie auch für den Dekonstruktivismus hätte es noch manche aufsehenerregende Beispiele gegeben. So etwa das Vitra Design Museum in Weil am Rhein von Frank O. Gehry (1989), das als Begründungsbau des Dekonstruktivismus gilt.

Ein Glossar mit den wichtigsten architekturgeschichtlichen Begriffen und ein Verzeichnis der Architekturstile schließt dieses so nützliche Handbuch ab.

Titelbild

Thomas R. Hoffmann: Das 5 x 5 der Architektur. Kunst-Epochen einfach verstehen.
Belser Verlag, Stuttgart 2020.
72 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783763028436

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