Ein Porträt des Künstlers als Meister der Schwarzmalerei

In „Ein Mann der Kunst“ setzt sich Kristof Magnusson satirisch mit den Untiefen des Kulturbetriebs auseinander

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er kann schon nerven, dieser Großkünstler KD Pratz, wie er da von seiner Burg Ernsteck hoch über dem Rhein auf die Gegenwart hinabschaut und keinen Zweifel aufkommen lässt: Alles, aber auch wirklich alles hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten, seit er angetreten ist, mit seinen Bildern die Museen der Welt zu erobern, zum Schlechteren entwickelt. Die Kunst der Gegenwart – „genauso kaputt wie die Gesellschaft“. Der emsige Betrieb um sie herum – Laienauftriebe zwischen Häppchen, Prosecco und hohlem Geschwurbel, „Kasperltheater für privilegierte Langweiler“. Die Welt – ein Irrenhaus, in dem Solidarität und Vernunft, Maß und Berechenbarkeit schon lange nicht mehr zählen: „Früher war man sozial. Heute ist man social media“ und verbringt seine Zeit damit, „zu wischen anstatt zu denken“. Und er selbst – unverstanden und vereinsamt auf seinem Felsen sitzend und das Handwerk als die wahre Kunst der Gegenwart preisend.

Dabei hatten sich die mit einem Bus aus Frankfurt am Main angereisten Fördervereinsmitglieder des Museums Wendevogel so auf die Begegnung mit diesem Titanen der Kunstwelt gefreut. Zum einen, weil der Mann seit geraumer Zeit wirklich niemanden mehr an sich herangelassen hatte. Zum anderen, weil man wieder einmal für ein Wochenende seinen Alltag vergessen und sich ganz in den höheren Sphären der„Bildungsbürgerbespaßung“ mit Kunst bewegen durfte. Und schließlich natürlich auch, weil die Reisegesellschaft mit froher Kunde für den Malerfürsten unterwegs ist: Sieht der Plan für den in naher Zukunft zu errichtenden Erweiterungsbau ihres Museums doch vor, dessen Räume, sollte der Förderverein dem zustimmen, einzig und allein den Werken von KD Pratz zu widmen.

Ärzte, Juristen und Lehrer, eine Zahntechnikerin, ein Steuerberater und ein im Schüttgut-Vertrieb zum Millionär gewordener Fabrikant in Begleitung seines „derzeit aktuellen Bernhardiners“, mittendrin der Erzähler des neuen Romans von Kristof  Magnusson, der Architekt Constantin Marx, mit seiner Mutter Ingeborg, die dem Förderverein präsidiert – ihnen allen steht die Freude ins Gesicht geschrieben, als sie schon kurz nach ihrem Eintreffen auf Burg Ernsteck dem Hausherrn bei einem kleinen Empfangsimbiss gegenüberstehen. Doch der beginnt, sich augenblicklich „warm zu schimpfen“.

Nach seinen Romanen über die Welt der Investmentbanker und die Finanzkrise von 2008 (Das war ich nicht, 2010) und die Malaisen des deutschen Gesundheitssystems am Beispiel des Alltags rund um ein medizinisches Notfallzentrum (Arztroman, 2014) hat der 1976 geborene Kristof Magnusson nun mit Ein Mann der Kunst eine humorvoll-gallige Satire auf den Kunstbetrieb vorgelegt. KD Pratz, der als Politkünstler mit anspielungsreichen Collagen begann und inzwischen auf Porträts und großformatige Landschaften – die Monumentalgemälde „18 Quadratmeter Frau“ und „18 Quadratmeter Land“ hat er in einem nahe seiner Burg gelegenen alternativen Weingut aufhängen lassen – umgestiegen ist, ist ein „Old-School-Künstler“ comme il faut. Der Endsechziger verkörpert „alles, was die Menschen an der Kunst liebten. Und hassten“. Zwischen Neo-Expressionismus und Fotorealismus hat er alle Strömungen der letzten 50 Jahre in vorderster Linie mitgeprägt und präsentierte sich dabei „detailverliebter als Gerhard Richter […], archaischer als Anselm Kiefer und expressiver als Georg Baselitz“.

Und doch: Der Mann, der Museumsdirektor Michael Neuhuber und den zahlreichen Förderern des kleinen, aber feinen Frankfurter Hauses nicht nur das Tor zu seiner Burg, sondern allmählich auch jenes zu seinem Inneren öffnet, scheint verbittert. Und als sich ganz nebenbei herausstellt, dass es durchaus noch nicht ausgemacht ist, ob in den Museumsneubau tatsächlich nur Werke von KD Pratz einziehen werden, wie ihm das Direktor Neuhuber in einem den Besuch des Fördervereins vorbereitenden Telefongespräch offenbar bereits voreilig versprach, wird aus dem Warmschimpfen, mit dem die Begegnung ihren Anfang nahm, allmählich eine mit immer schärferen Argumenten ausgetragene Konfrontation zwischen dem Künstler und seinen busreisenden Verehrern aus der Mainmetropole, die am Ende in einen Eklat mündet, nach dem keine Verständigung zwischen den beiden Seiten mehr möglich scheint.

Aber zum Glück hat man ja mit dem Architekten Constantin Marx einen Mann in der Reisegruppe, der im Laufe der drei Tage einen ganz besonderen Draht zu KD Pratz aufgebaut hat und langsam zu ahnen beginnt, dass Zurückgezogenheit und Knurrigkeit des Künstlers nicht nur Resultate von dessen zunehmender Abscheu vor der Welt und den Menschen sind, sondern auch Ausdruck seiner Scheu, sich nach Jahrzehnten der Einsamkeit anderen wieder zu öffnen. „Hatte ihn gar nicht so sehr die Aussicht auf ein eigenes Museum gelockt, sondern vielmehr die Aussicht auf ein bisschen menschlichen Kontakt, und dann hatte er gemerkt, dass er nicht mehr wusste, wie das ging?“, lautet deshalb die Frage, die sich Magnussons Erzähler stellt.

Mit Ein Mann der Kunst hat Kristof Magnusson erneut ein intelligentes, wenn auch in seinem Mittelteil gelegentlich etwas zu viel wollendes Buch – kein Streithema unserer an Streitthemen nicht gerade armen Gegenwart soll ausgelassen werden – vorgelegt. Bewegt von der Fragestellung, welche Rolle jenseits von „Wochenendspaß“ und Zeitvertreib „für Leute mit Geld, die sich für zu kultiviert halten, um einfach abends den Fernseher anzumachen“, der Kunst in unseren Tagen zukommen sollte, hat er eine Geschichte voller Humor, treffender Wortspiele, pointierter Dialoge und gelegentlich auch ein wenig Irrwitz erfunden. Auf diese Weise ist ein ebenso seltener wie gelungener und verspielter Unterhaltungsroman entstanden.

Und natürlich wird am Ende alles gut. Die Frankfurter Reisegruppe findet den begehrten Einlass in das Allerheiligste des Malers, sein riesiges Atelier. Dort darf sie sich zunächst davon überzeugen, dass KD Pratz in der Zeit seiner jahrelangen Klausur auf Burg Ernsteck nicht müßig gewesen ist. Dutzende von mahnenden, schwarz-grauen „Propheten“ – Porträts stellen – auch wenn Frauen offensichtlich im Kreis der Porträtierten fehlen, was aber nicht einmal der streitbaren Feministin Ingeborg aufzufallen scheint – durchaus so etwas wie die Rückkehr des Malers zur politischen Kunst dar. „Schwarzmalerei“ habe er die letzten Jahre über betrieben, bekennt KD Pratz selbst, ehe er seine verblüfften Gäste zu einer gemeinsamen Aktion einlädt, die – es sei hier nicht zu viel von diesem Coup verraten – mit einem völlig neuem Zusammenspiel von Kunstproduzenten und Kunstrezipienten ausklingt.

Wenn man sich anderthalb Jahren später aus Anlass einer großen KD Pratz-Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum wiedertrifft – alle sind sie erneut dabei, nur der Künstler ist zu Hause auf seiner Burg geblieben, weil man ihm die Fortschreibung einer Performance seines Lehrers Joseph Beuys aus dem Jahr 1974 (I like America and America likes Me hieß Beuys‘ Aktion vom 21. bis zum 25. Mai 1974 in der New Yorker Galerie René Block) verwehrte –, wartet zwar das Frankfurter Museum immer noch auf seinen Erweiterungsbau, aber die Förderer haben mit ihrem Künstler längst Frieden geschlossen. Sogar zu einer gemeinsamen Rauminstallation von KD Pratz und Magnussons Erzähler, der zum Abschluss des Wochenendes im Rheingau den Künstler wieder mit den Kunstförderern und umgekehrt versöhnte, ist es gekommen. Und rund um den Globus wetteifern Museen und Privatsammler damit, den Wert ihrer KD Pratz-Gemälde zu steigern, indem sie sie, dem Vorbild des Meisters folgend, „verwässern“.  

Titelbild

Kristof Magnusson: Ein Mann der Kunst.
Verlag Antje Kunstmann, München 2020.
220 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783956143823

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