Sehnsucht nach Mehrsprachigkeit
Die Schwedin Lina Wolff gibt mit ihrem zweiten Roman „Die polyglotten Liebhaber“ ein Statement gegen einen männlich dominierten Literaturbetrieb ab
Von Emma Oeding
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEllinor, eine Frau Mitte 30, sucht nach enttäuschten Beziehungsversuchen im Süden Schwedens und dem dänischen Kopenhagen im Internet nach neuer Bekanntschaft. Kurzerhand steigt sie in den Zug nach Stockholm, wo sie, halb vergewaltigt von Literaturkritiker Calipso, die Nacht in dessen Haus verbringt. Um sich an dem einsamen und fettleibigen Mann zu rächen, verbrennt sie das ihm Heiligste: das Manuskript Die polyglotten Liebhaber.
Raffiniert führt Wolff so ihren zweiten Protagonisten, den Verfasser des Manuskripts, Max Lamas ein. Sie verleiht dem unglücklichen Schriftsteller einen anderen Sprachduktus und der Leser kann aus der Ich-Perspektive die Suche nach seiner polyglotten Liebhaberin miterleben. Der in Schweden lebende Literat soll ein Porträt der letzten Adeligen Italiens anfertigen. Hierdurch wird die dritte Protagonistin ins Spiel gebracht und der entfernte Schauplatz Italien.
Lucrezia, verarmter Adel aus Rom, erinnert sich an ihre durch Reichtum geprägte Kindheit. Durch Geldsorgen gedrängt, sinnt sie der Zeit mit dem Schriftsteller im Sommerhaus nach. Wochen, die für sie durch die sexuellen Erfahrungen mit dessen Assistent gekennzeichnet sind, jedoch auch andere Familienmitglieder neue Beziehungen eingehen lässt…
Während der Leser noch dabei ist, sich das Zusammenspiel der Figuren zu erschließen, spürt die Autorin Lina Wolff der Frage der Verständigung zwischen Frau und Mann nach, fragt nach menschlichen Beziehungen und lotet diese in ihren traurigen Dimensionen aus.
Denn verbinden tut die drei Protagonist*innen erstmal nur eines: die Enttäuschung, die sie durch ihre als „krank“ bezeichneten Sexualpartner*innen erfahren haben. Es geht um die Angst verletzt zu werden, beim gleichzeitigen Akt des Verletzens. Es geht um unerfüllte Hoffnungen in der drastisch geschilderten Realität der Figuren, in einem Menschheitsbild, das dem Houellebecqs an Stellen ähnelt.
Die simple Sprache, die späte Auflösung der Figurenkonstellation und die voyeuristischen Elemente fesseln den Leser, üben gleichzeitig jedoch auch ein Ablehnen dieser Figuren und ihrer geschilderten Lebensrealitäten aus. Der Kreation dieses Gefühls ist es eventuell geschuldet, dass Wolff häufig zu abgedroschenen Klischees greift. Dass sie ihren Figuren Sätze in den Mund legt, wie beispielsweise dem Literaturkritiker, der Ellinor bittet, doch unbekleidet auf dem Fell vor dem Kamin auf ihn zu warten und dann verkündet, er „[sei] nicht der Typ für ein langes Vorspiel“. Möglicherweise sind die Klischees aber auch Ausdruck dafür, dass sie ihr Werk auf die Ebene des Exemplarischen heben möchte. Die Häufung jedoch und das Gefühl, die Realität der Figuren werde wenig von diesen reflektiert, lässt Zweifel an deren Plausibilität aufkommen. So vernimmt man als Leser – bestens vertraut mit Ellinors enttäuschenden Beziehungen – nach ihrem Zusammentreffen mit Literaturkritiker Calipso den Satz: „Ich war hergekommen, um den Richtigen zu finden“.
Die schon länger im Literaturbereich arbeitende Schwedin entwirft mehr oder minder glaubwürdige Porträts vom polyglotten Akademiker bis hin zum intellektuell wenig begabten Adel. Hierbei sticht das sehr negativ gezeichnete Bild der im Literaturbetrieb tätigen Männer heraus. Die drastischen, gefühlsmageren Sexschilderungen und ihr Machtbedürfnis lassen kein gutes Haar an diesen Figuren. Der Umgang mit dem Manuskript Die polyglotten Liebhaber steht im Buch exemplarisch für den Racheakt der Frau. Auf dieses wird, bevor Ellinor es verbrennt, uriniert. Die etwa 300 Seiten des Romans sind somit auch als Reaktion auf den Skandal um die schwedische Nobelpreisjury lesbar.
Wolff setzt dem Bild der sexuellen Frustration, der Einsamkeit und den Spuren seelischer Verwüstung auf den letzten Seiten einen Funken Hoffnung entgegen, der sich jedoch schwer behaupten kann gegen die – durch Zitate erzeugte – Präsenz Houellebecqs und Djuna Barnes.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2020 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2020 erscheinen.
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