In den Untiefen des nationalsozialistischen Schrifttums

Band 5 der Reihe „Dichter für das „Dritte Reich““, herausgegeben von Rolf Düsterberg, präsentiert zehn Portraits von NS-Barden und Kulturfunktionären

Von Jens FlemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Flemming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum jemandem dürften die Namen geläufig sein, die in der von Rolf Düsterberg herausgegebenen Portraitsammlung auftauchen. Geschrieben haben die einzelnen Beiträge seine Schülerinnen und Schüler, die damit Ergebnisse ihrer Qualifikationsarbeiten vorstellen. Sie lenken das Augenmerk auf Schriftsteller, die im „Dritten Reich“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatten, auf diese oder jene Weise vom Regime protegiert wurden und nach 1945 dem Vergessen anheimfielen. Selbst dann, wenn sie weiterhin in ihrem vertrauten Metier tätig waren, konnten sie den alten Funktionsradius nicht wiedergewinnen. Je zur Hälfte stammten sie aus dem 1918 untergegangenen kaiserlich-königlichen Österreich-Ungarn bzw. der Republik Österreich und dem Deutschen Reich. Auf den Logenplätzen der NS-Kulturelite waren sie überwiegend nicht zu finden, wohl aber im zweiten oder dritten Rang. Sie waren es, die den Literatur- und Kulturbetrieb auf den mittleren und unteren Ebenen am Laufen hielten, für die Verbreitung nationalsozialistischer Anschauungen, völkischer und judenfeindlicher Ressentiments in der Fläche sorgten und für ihre Hervorbringungen allerlei, von diversen Instanzen ausgelobte Preise einheimsten.

Vier der Protagonisten zählten zur Kriegsjugendgeneration, geboren im Jahrzehnt nach 1900, eine weitere zur Nachkriegsgeneration, geboren am Beginn der zwanziger Jahre. Sie stießen relativ früh zur NS-Bewegung, zum Teil bereits vor 1933, kamen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, verfertigten Lyrik, Romane, Zeitungsartikel, Rundfunkbeiträge, regimekonforme Sachprosa und Propagandabroschüren, waren in der NS-Frauenschaft als Jugendleiterin oder Kreispressereferentin aktiv, in der Hitlerjugend, der Reichsstudentenführung und im Propagandaapparat der NSDAP. Ihr Ziel war nicht Volksbildung, sondern Volkbildung, Fundierung einer völkischen, von vermeintlich artfremden Bestandteilen gesäuberten Volksgemeinschaft. Dass hier die Aversionen gegen Juden und Slawen ihren unverrückbaren Platz hatten, versteht sich von selbst. Ebenso die Adolf Hitler entgegengebrachte Verehrung, die darin sich offenbarende Erwartung, dieser werde die Deutschen erlösen und aus den Niederungen und den Verirrungen der Demokratie zum Kern deutschen Wesens zurück- und zu machtpolitischer Geltung emporführen.

Für uns Heutige ist das alles schwer verdaulich, aber von historischem Interesse ist es schon. Denn es bietet Einblicke in die vom NS-Regime geförderten Denkmuster und Verhaltensnormen, in die handelsüblichen ideologischen Versatzstücke, die gegenüber der Literatur gehegten Ansprüche, die Abmahn- und Belohnungssysteme. Die Gedichte der Österreicherin Elisabeth Effenberger zum Beispiel, über die Judith Schnittger berichtet, oszillierten zwischen Sentimentalität und Brutalität. „Kann es ein edler‘, schöner Bildnis geben / Als eine deutsche Mutter und ihr Kind?“ schwärmt sie in einem ihrer Gedichte und ein andermal: „Dein Wille aber werde stolz. Und hart / Wie blauer Stahl, zum Schwert in deinen Händen!“ Für den HJ-Funktionär Hannes Kremer, der sich Gedanken machte über die Entsakralisierung und nationalsozialistische Umpolung von Hochzeitsfeiern, war der Jude, so Anna Maria Klumparendt, „der Feind schlechthin“. Wenig überraschend, dass in dieser Sicht der deutsche Soldat im Krieg als moralisch und kämpferisch überlegen gezeichnet wird, dem Rotarmisten hingegen „absolut animalische Primitivität“ bescheinigt wird.

Fritz Helke, auch er ein Hauptamtlicher bei der HJ, wo er sich um das Jugendschrifttum kümmerte, war überzeugt, dass ihm der Stoff für seine Romane gleichsam schicksalhaft ohne eigenes Tun zuwachse. Der Dichter sei Prophet für die „höheren Wahrheiten“, er künde von Führergestalten, die wie der preußische General Yorck von Wartenberg 1813 „in entscheidenden Stunden“ das Geschick der „Gemeinschaft“ bestimmen. Das war, notiert Nikola Götzel, ein Ausflug in die Vergangenheit, um die Gegenwart und das Wirken Adolf Hitlers mit der Gloriole historischer Legitimität zu versehen: Preußen als „Vorbild und Projektionsfläche für das Deutsche Reich.“

Von den vor 1900 geborenen sticht als Ältester Hermann Stegemann (Jahrgang 1870) hervor, ein Militärschriftsteller, der mit seiner zwischen 1917 und 1921 gedruckten vierbändigen Geschichte des Krieges ein damals viel gelobtes Standardwerk etablieren konnte. 1924 folgte eine Darstellung des Rheins als deutscher Schicksalsstrom, 1926 eine Analyse der Versailler Vertrags und 1929 seine Memoiren. Bereits 1901 hatte er die deutsche gegen die schweizerische Staatsbürgerschaft eingetauscht. Gleichwohl war er, wie Kinga Jaschke verdeutlicht, in der NS-Zeit so etwas wie eine persona grata und zollte dem Regime seine Reverenz, das sich seinerseits mit der Verleihung des Frankfurter Goethe-Preises erkenntlich zeigte. Nur zwei Jahre nach Stegemann hatte – um nur noch diesen zu nennen ­– Otto Erler im thüringischen Gera das Licht der Welt erblickt. Janina Joram portraitiert ihn als ferventen „Deutsch-Germanen“, ein Gymnasialprofessor und Dramatiker, der sich bester Beziehungen zu Adolf Bartels, dem völkisch-antisemitischen Literaturkritiker, erfreute. Hitler feierte er – wen wundert es – als genialische Gestalt, die das Volk „aus tiefstem Unglück“ auf die „Höhe“ gebracht habe. Weggefährten rühmten Erlers Schaffen als „wurzelecht“, hervorgewachsen „aus dem deutschen Volkstum“. Nicht von ungefähr war er in den dreißiger Jahren einer der meistgespielten Bühnenautoren.

Soweit sie nicht vor 1945 das Zeitliche gesegnet hatte, gereichten den in Düsterbergs Sammelband gewürdigten Literaten ihr Engagement für den Nationalsozialismus nicht zum Nachteil. Sie wurden ohne größere Probleme entnazifiziert, als Mitläufer eingestuft und konnten unbehelligt weiterarbeiten: als Journalisten für Radio und Printmedien, als Autoren von Jugendbüchern oder als Mitarbeiter im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, zwar ihrer parteiamtlichen Funktionen entkleidet, aber ohne Reibungsverluste sich einordnend in die von den alliierten Siegern geförderte und geforderte demokratische Neuordnung. Auch die Unverbesserlichen, die ihren rechtsradikalen Gesinnungen Treugebliebenen fanden ihren Platz, unter anderem in der 1970 nach etlichen Vorläufen gegründeten Deutschen Akademie für Bildung und Kultur, der abschließend Mattes Schwerdtmann einen informativen Beitrag widmet.

Hier versammelten sich „ehemalige NS-Funktionäre“ wie der Fachschaftsleiter für Lyrik in der Reichsschrifttumskammer Herbert Böhme, „Führungspersönlichkeiten der rechten Szene“ wie der in zahlreichen gleichgerichteten Vereinen aktive Alfred E. Manke und schließlich „Geschichtsrevisionisten“ wie der Erlanger Professor Hellmut Diwald. Sie alle einte die Überzeugung, dass die von den Alliierten angestoßene „Umerziehung“ des Teufels sei, die deutsche Kultur gefährde und den Sinn für historisch gewachsene Tradition unterminiere, getreu dem Motto: „Wer seine Herkunft vergißt, hat seine Zukunft verspielt.“ Im rechtsradikalen Milieu nach der NPD zeitweilig die zweitstärkste Organisation, brachte man dort sattsam bekannte zivilisationskritische Überzeugungen zu Gehör, sprach vom „Versagen der Bildungspolitik“, brandmarkte die „politischen Irrwege der Kirche“ und schwadronierte über die „Verfremdung des Menschen durch die Wunder der Technik“. In den neunziger Jahren dann litt die Akademie zusehends an Auszehrung, um die Jahrhundertwende entschlummerte sie, ihr Förderkreis, der ihr finanziell unter die Arme gegriffen hatte, wurde 2010 aus dem Vereinsregister gelöscht.

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Rolf Düsterberg (Hg.): Dichter für das »Dritte Reich«. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. 10 Autorenporträts und eine Skizze über die Deutsche Akademie für Bildung und Kultur.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
362 Seiten , 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783849815363

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