Hinter den Kulissen der Reichen und Schönen

Irene Diwiak erzählt in „Malvita“ von der Reise einer jungen Deutschen in die italienische Provinz

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die junge Österreicherin Irene Diwiak hat einen faszinierenden zweiten Roman veröffentlicht, der durch seine immer neuen Wendungen mit jeder Seite mehr Spannung aufbaut. Was der Fotografin Christina, die gerade von der ersten großen Liebe enttäuscht wurde, zunächst als ein harmloser Auftrag erscheint, entwickelt sich zu einem Abgrund, der größer ist als der Leser zu erahnen vermag. So gelingt es der Autorin, einen Bogen zu schlagen, der schließlich in der unvermeidlichen Katastrophe endet – aber anders, als wir es vermuten hätten können.

Nachdem Christina erkennen muss, dass ihre beste Freundin und ihr Freund sie hinterhältig betrogen haben, kann ihre sonst so zurückhaltende Mutter das Leid der Tochter nicht mehr ansehen und organisiert eine Reise zu bis dahin verheimlichten italienischen Verwandten. Ihre Kusine Marietta wird in einer Woche heiraten und die engagierte Fotografin ist plötzlich ausgefallen. Wie sich nach Christinas Ankunft herausstellt, wurde das Mädchen – eine Freundin aus der Kindheit der Braut – auf grausame Weise ermordet.

Doch zunächst erreicht Christina nach einer langen Bahnfahrt die beschauliche italienische Provinz, die ihr zwar zunächst öde und beklemmend, aber doch idyllisch vorkommt. Ihre andere Kusine Elena, die Schwester der Braut, holt sie in ihrem Sportwagen ab und nach einer rasanten Fahrt mit unterkühlter Atmosphäre erreichen die beiden das Haus der Familie Esposito: eine schlossartige Villa, in der so viele Räume und Wege existieren, dass eigentlich für alle Bewohner*innen genügend Platz sein sollte.

Noch vom unsagbaren Reichtum der Familie geblendet spürt Christina bald die Enge dieses Palastes, in dem es vor Bediensteten wuselt, die einst in der inzwischen stillgelegten Lederfabrik des Ortes gearbeitet hatten. Doch in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes kann Christina nur erahnen, dass jede Person, die sie dort trifft, Geheimnisse mit sich herumträgt. Noch kann sie nicht einordnen, was sich tatsächlich hinter der ständigen Beschäftigung der vielen Angestellten mit dem Putzen und Sauberhalten des Hauses verbergen könnte. Doch sie ist neugierig und vielleicht gerade, weil sie des Italienischen nicht mächtig ist, entwickelt sie Antennen für Wege und Zusammenhänge, die ihr schließlich auch für ein paar Stunden einen Ausflug mit dem Auto der Kusine und dem umsorgten Nesthäkchen der Familie, dem eigentlich schon erwachsenen Jordi, erlauben. Für Jordi stellen diese Stunden tatsächlich einen Ausbruch aus einem Gefängnis da, kennt er doch sein Wohnhaus fast nur von innen, wo er seine ganze Aufmerksamkeit seiner Katze Paola zu widmen scheint und von allen verhätschelt wird. Doch auch dafür gibt es Gründe, wie sich Christina inzwischen sicher ist.

Mit der Zeit stellt Christina immer neue Fragen und stößt dadurch auf mehr Geheimnisse, als sie verarbeiten kann. Getrieben von einer sich plötzlich eröffnenden Todessehnsucht – möglicherweise ausgelöst durch einen Besuch mit Elena in den Uffizien, bei dem ihr diese ihr blutrünstiges Lieblingsbild der Judith offenbart – beschließt sie, das Leben eines anderen zu retten. In dem Versuch, das vermeintliche Opfer einer Intrige der starken Frauen der Familie zu schützen, gerät sie schließlich selbst in Lebensgefahr. Doch statt die ihr angebotene Flucht anzunehmen, bleibt sie in Malvita und wird Teil einer ungewöhnlich inszenierten Hochzeitsveranstaltung.

Diese soll vor der Kulisse eines riesigen Schwimmbeckens in der alten Lederfabrik stattfinden. Am Ende wird niemand die Fotos zu sehen bekommen, die die verschiedenen Beteiligten von dieser Veranstaltung geplant hatten. Christina erfährt in der Woche ihres Aufenthaltes viele bittere Wahrheiten über Reichtum, Schönheit, die glitzernde Modewelt, elitäre Ballettschulen, Ehen, Freundschaft sowie die Machtverhältnisse der Geschlechter.

Ein meisterhafter Roman: Unprätentiös und stellenweise sarkastisch entfaltet er eine große Wirkkraft, ist stimmig konzipiert und nimmt mit jedem Kapitel mehr Fahrt auf. Der Roman macht nicht nur Angst, sondern auch Spaß, ist beklemmend, berührend und betörend zugleich. Der Leser erlebt wie die Hauptfigur ein Potpourri an Gefühlen. Dabei ist Christina genauso wie alle anderen doch ständig mit ihrem eigenen Inneren beschäftigt, dessen Wahrheiten sie immer wieder zu überwältigen drohen.

Am Ende bleibt vieles offen, und hier hätte Irene Diwiak durchaus noch mehr liefern dürfen. Denn der Schluss ruft genauso wieder Inhalt nach einer Fortsetzung. Wer nun vermuten mag, es handele sich nur um einen Krimi, wird hier eines Besseren belehrt. Der Roman ist weit mehr, indem er verschiedene gesellschaftskritische Stränge aufnimmt und auch deshalb auf bemerkenswerte Weise erfrischend bleibt. Das Buch ist nicht humorvoll, aber voller Schmäh; es ist nicht kunstvoll geschrieben, aber arbeitet mit dem Ziel, ein Kunstwerk eigener Art zu entwerfen und es verfällt auch nicht in Klischees, obwohl es sich ihrer bedient.

Titelbild

Irene Diwiak: Malvita. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020.
304 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783552059771

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