„Bernhard öffnet keine Räume, er schließt sie“

Literaturkritik.de-Mitherausgeber Sascha Seiler und 3sat Kulturzeit-Redakteur Ralf Rättig sprechen über ihre jahrzehntelange Leidenschaft für Thomas Bernhard

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler und Ralf RättigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Rättig

Sacha Seiler und Ralf Rättig teilen seit mehreren Jahrzehnten eine gemeinsame Leidenschaft für die Schriften Thomas Bernhards. Aus Anlass des 90. Geburtstags des Schriftstellers trafen sich die beiden zum Gespräch.

 

Ralf Rättig: Ich hätte einen guten Titel für unser Gespräch: „Thomas Bernhard kauft keine Hose, weil ja Corona ist, und Essengehen fällt auch aus.“ 

Sascha Seiler: Das gefällt mir. Wie bist du denn auf Bernhard gestoßen?

Rättig: Ich möchte lieber nicht mit meiner ersten, sondern vielmehr mit der für mich prägendsten Begegnung mit Thomas Bernhard beginnen. Es gibt diese Interviewfilme, die Krista Fleischmann für den ORF gemacht hat. Das ist allein schon deswegen einzigartig, weil Bernhard sich nur sehr selten hat filmen lassen. In beiden Filmen lässt er sich begleiten; in einem ist er auf Mallorca, im anderen auf dem spanischen Festland, unter anderem in der Stierkampfarena – darauf sollten wir später nochmal zu sprechen kommen. Das Faszinierende daran ist, dass – und ich glaube nicht, dass das vorher eine Bedingung war – Krista Fleischmann überhaupt nicht in Erscheinung tritt, obwohl es Interviewfilme sind. Es gibt keine einzige Frage, sodass das Ganze wie ein Monolog wirkt.

Aber es gibt diese eine entscheidende Stelle – die wichtigste im gesamten Mallorca-Film –, in der Bernhard in seinem üblichen Duktus unter anderem darüber spricht, wie der Rhythmus des Lebens ist, und dann sagt er irgendwann: „Sehen Sie?“. Daraufhin muss die Kamera hinunterfahren und man sieht, dass sein Fuß die ganze Zeit wackelt. „Das ist der Takt, der ist immer da!“ Das ist der Moment der Interaktion, man merkt plötzlich, da ist jemand hinter der Kamera. In diesem Augenblick zeigt er, dass jemand außerhalb des Bildausschnitts da ist, er bricht die ganze Situation auf und man begreift mit einem Mal, dass es nicht nur ein langer Monolog ist, sondern er tatsächlich mit jemanden spricht. Das ist aber gleichzeitig eine zweischneidige Sache, weil die Szene ganz klar macht, dass man sich bei Begegnungen mit Bernhard einem Takt unterwerfen muss, und zwar – natürlich – Thomas Bernhards Takt.

Seiler: Weißt Du, ob er auf den Schnitt Einfluss hatte, also ob er diesen Schnitt auf den Fuß selbst so haben wollte?

Rättig: Ich kann mir das für die damalige Zeit nicht vorstellen, aber damit kann ich falsch liegen. Es gibt ja interessanterweise ein Interviewbuch mit ihm, auf dessen Cover ein Foto eines Reporters mit einem dicken kugelförmigen Mikro zu sehen ist; der sieht aus wie ein Feldreporter. Er ist da richtig schön optisch inszeniert. Aber wenn man das Bändchen öffnet, sieht man zwanzig Monologe und keine einzige Frage. Das gleiche wie in den Filmen! Also ist egal, ob und wie er über so etwas bestimmt hat, das sagt letztlich nichts über die Texte aus, die daraus entstanden sind. Jedenfalls sind die jeweiligen Interviewer wohl immer zu dem Schluss gekommen, dass sie nichts Wesentliches beizutragen haben, dass das Abdrucken ihrer Fragen das Ganze nicht voranbringen würde. Kurz: Die einzigen gefilmten Interviews und die einzigen Interviews in Buchform sind Monologe.

Seiler: Und vom Stil her genau wie seine Bücher. Wobei ich schon denke, dass hier eine Absicht seitens des Senders bzw. des Verlags dahintersteckt: das Prinzip Bernhard in einem anderen Medium weiterführen.

Rättig: Die haben tatsächlich an der Stilisierung, ja, an der Ikonisierung Bernhards mitgearbeitet. Es gibt ja auch diesen urkomischen, und gleichzeitig auch grausamen Moment in dem Madrid-Film: Wie es eben Anfang der 80er so üblich war, ging man auch in die Stierkampf-Arena. Und Thomas Bernhard ist dann in der Arena und doziert darüber, was jetzt genau alles ‚feig‘ ist und dass je goldbestrasster ein Picador sei, desto ‚feiger‘ sei er auch. Und er setzt dann diesen für ihn typischen, schelmischen Gesichtsausdruck auf und sagt nur lakonisch: „Grausam“. Und das sind die Momente, aus denen ja auch seine Bücher schöpfen.

Seiler: Meine erste Begegnung mit Bernhard war ja Wittgensteins Neffe. Ich glaube bei dir auch, wenn ich mich recht erinnere. Ich weiß noch sehr genau, wie 1989 eine Sonderausgabe der von mir damals sehr geschätzten Zeitschrift Tempo herauskam, in der die besten Platten, Filme und Bücher der 80er Jahre vorgestellt wurden. Bei den Büchern war übrigens Irre von Rainald Goetz auf Platz eins. Und Wittgensteins Neffe war auch recht hoch platziert. Jedenfalls habe ich mir damals, als Schüler, vorgenommen, die Höchstplatzierten zu lesen, und so war auch irgendwann Bernhard dran. Vieles war ja ganz grauenhaft, aber Bernhard hat mich fasziniert. Allerdings hatte ich dann eine lange Bernhard-Pause, bis zum Studium, da habe ich dann wieder angefangen – allerdings nicht, weil das bei uns gelehrt wurde, sondern weil wir beide uns damals gegenseitig Bernhard empfohlen haben, wie du dich sicher erinnerst.

Rättig: Ich war in den 90ern Mitglied der Büchergilde Gutenberg. Da musste man ja einmal im Quartal, glaube ich, Bücher bestellen, und da habe ich mir irgendwann genau diesen Roman kommen lassen, Wittgensteins Neffe, nicht wissend, was mich erwartet. An was erinnerst Du Dich als erstes, wenn Du an das Buch denkst?

Seiler: Sanatorium, Wahnsinn…

Rättig: Genau. Der Ich-Erzähler ist lungenkrank, der andere, Paul Wittgenstein, ist wahnsinnig. Mich hat das sofort für ihn eingenommen.

Seiler: Hast Du dann gleich alles gelesen von ihm?

Rättig: Ich habe da ein interessantes Prinzip, was Bernhard angeht. Ich habe meine Lektüre nämlich stets dosiert, damit ich immer noch etwas habe, das vor mir liegt. Und ich habe dieses Prinzip konsequent durchgezogen, mich gegen dieses erschöpfende Lesen, das Gesamtwerk zu bewältigen, aufzulehnen. Klar, das Meiste kenne ich mittlerweile, aber es gibt immer noch das eine oder andere Theaterstück, vielleicht auch einen der kürzeren Prosabände, die ich noch nicht kenne. Es gibt also noch Lücken, die ich bewusst gelassen habe, damit ich immer etwas habe, auf das ich mich freuen kann (lacht).

Seiler: Ich habe vor zwanzig Jahren mal den Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow interviewt, die haben ja auf ihren ersten drei, vier Platten eine Art ‚Bernhard-Rock‘ gemacht, wie man ihre Musik damals tatsächlich auch hin und wieder genannt hat. Als ich mit ihm gesprochen habe – das muss 2002 gewesen sein – hatte die Band gerade ihr unbetiteltes, weißes Album aufgenommen, mit dem sie eine radikal andere Richtung einschlug, weg vom Schimpfen auf die Gesellschaft und ihren Stumpfsinn, hin zu verschlüsselteren Texten. Ich befragte von Lowtzow daher auch zu Bernhard und er meinte, das Problem sei eben, dass man irgendwann leider alles gelesen habe, das Werk sei nun mal endlich, und was macht man dann? Das war für ihn schon ein dramatischer Einschnitt, so schien es mir, und ein Grund, sich textlich neu zu orientieren.

Rättig: Dirk von Lowtzow ist ja der Bernhard-Exeget überhaupt (lacht). Aber da taucht natürlich die Frage auf, wie weit Bernhard schon geschichtlich geworden ist. Es gab ja zu seinen Lebzeiten diese, ich nenne es mal, Bernhard-Welt. Überleg mal, was Heldenplatz mit Österreich gemacht hat! Das war ja kurz vor seinem Tod, aber was die Bedeutung angeht, vielleicht der absolute Höhepunkt seines Schaffens: Peymann, Heldenplatz, Burgtheater, die Kurt Waldheim-Geschichte, alles kam da zusammen, diese ganze unverarbeitete Vergangenheit Österreichs. Es ist ein so perfekter Text, der mit Mitteln des Theaters brillant umgesetzt wurde. Vielleicht übertreibe ich jetzt, aber ich frage mich: Wann hat das Theater in den letzten 30 Jahren noch einmal eine für die gesellschaftliche Debatte so prägende Rolle gespielt? Eine Gesellschaft wie in diesem Fall die Österreichische so aufzurütteln. Dieser Kosmos aus Gert Voss, Claus Peymann, das war für die ganze kulturelle Prägung dieser Jahre unheimlich bedeutend. Und irgendwie ist es seit seinem Tod weg.

Seiler: Die ganze Entwicklung in Bezug auf Österreich wurde ja bereits 1984 mit Holzfällen auf einen frühen Höhepunkt getrieben, aber natürlich ist sie in seinem gesamten Werk angelegt, das ist ja bekannt. Damals hat Franz Lampertsberger ihn ja verklagt hat und es wurden alle gedruckten Exemplare beschlagnahmt. Er hat in seinem Testament ja auch als Reaktion darauf, aber auch auf den Heldenplatz-Skandal ein allgemeines Aufführungs- und Publikationsverbot aller seiner Werke innerhalb der Grenzen Österreichs verfügt. Gut, die Bücher kamen ja eh aus Frankfurt…

Rättig: Ja, das ist wohl einer der berühmten Bernhard-Mythen. Aber klar, wenn man Bernhard auf die leichte Art lesen will, liest man ihn durch seine Skandale. Aber das ist ja wiederum alles Teil seiner Kunst und da war Peymann der perfekte Partner. Es gibt ja diese Geschichten… das muss so Anfang der 70er gewesen sein, bei den ersten Peymann-Inszenierungen auf den Salzburger Festspielen – bei Der Ignorant und der Wahnsinnige. Peymann wollte, dass der Saal absolut dunkel ist, es sollte Finsternis herrschen. Aber es gab nun mal bürokratische Vorschriften, die das verboten haben, die Notleuchte musste anbleiben. Das führte zu einem solchen Streit, dass Peymann die Aufführung in Salzburg zurückziehen wollte. Und so war es ja für Bernhard letztlich mit fast jedem Preis, mit allem. Diese Aufmerksamkeit zu erregen, den Skandal zu erzeugen, das gehörte irgendwie auch immer dazu. Aber gleichzeitig wird man den Texten nicht gerecht, wenn man meint, dass sie sich darin erschöpfen.

Seiler: Das würde ich anders sehen, bzw. ein Stück weiterdenken. Die öffentliche Skandalisierung war letztlich nur ein Weiterschreiben der Texte in einem anderen medialen Rahmen. Vor allem das Spätwerk funktioniert ja so, dass er einen kleinen Aufreger mittels seiner Übertreibungskunst ins Unendliche zu steigern versucht. Und genau diese Methode transzendiert auch die Texte, wenn sie in die mediale Welt transportiert werden. In Holzfällen steigert sich der Ich-Erzähler ja immer mehr in seinen inneren Monolog hinein, der Skandal liegt dann letztlich daran, dass der Text als Schlüsselroman gelesen und in eine andere mediale Sphäre transportiert wird, was zu einer öffentlichen Auseinandersetzung führt. Aber was passiert denn letztlich in Bezug auf den Plot? Der Ich-Erzähler sitzt am geselligen Tisch und steigert sich in seine Wut hinein.

Rättig: Aber genau darin liegt ja die große Kunstfertigkeit.

Seiler: Wenn man jetzt böse wäre, könnte man auch sagen: Es ist immer dasselbe.

Rättig: Natürlich, Er ist gerade deswegen nicht zuletzt auch ein Schriftsteller für Schriftsteller. Weil er seinen Stil ja immer weiter perfektioniert. Mein Favorit ist ja Auslöschung, da hat er seinen künstlerischen Höhepunkt erreicht. Ein einziger innerer Monolog…

Seiler: Wobei ich beim Thema Schriftsteller für Schriftsteller gerade vor kurzem eine interessante Bemerkung gehört habe. Ich habe ja jüngst mit einigen jungen Autorinnen und Autoren ein Round-Table-Gespräch geführt. Da habe ich die Frage gestellt, ob ein Literaturstudium, und entsprechend auch die Lektüre vieler Bücher, einen Schriftsteller eher hemmt oder beflügelt. Ich kenne das vor allem auch von Rockmusikern, die ganz häufig erzählen, dass sie niemals Musik hören. Auf jeden Fall hat Leonhard Hieronymi gesagt, das Schlimmste, was ein angehender Schriftsteller tun könne, sei Bernhard zu lesen. Das macht Dir alles kaputt, dann kannst du keine Zeile mehr schreiben.

Rättig: Da sind wir wieder am Anfang: Bernhard unterwirft alles seinem Takt und lässt Dir keine Chance!

Seiler: Ja, denn alle Schriftsteller verarbeiten ja irgendwie das Gelesene, wenn sie eine eigene Stimme suchen. Aber wie willst Du so etwas verarbeiten. Das hört man sogar, um wieder aufs Thema zu kommen, auf jenen ersten Tocotronic-Alben. Es scheint da keinen Ausweg aus dem Bernhard-Duktus zu geben. Wie auch?

Rättig: Thomas Bernhard öffnet keine Räume, er schließt sie. Da wo er ist, gibt es nichts anderes mehr. Ich habe mich ja früher sehr intensiv mit Heiner Müller beschäftigt. Allein die unendlichen Anschlussmöglichkeiten an die Hamletmaschine, welche Räume sich da öffnen! Das sehe ich bei Bernhard nicht. Er ist so monolithisch, dass man sich wahrscheinlich nicht mal an ihm reiben kann, weil er das Dialogische und die Auseinandersetzung gar nicht möglich macht.

Seiler: Wichtig hierbei ist mir auch das Monolithische des Werks, also des Gesamtwerks, auch das scheint mir einzigartig. Du hast vorhin Auslöschung herausgegriffen, aber auch das reiht sich in das Gesamtwerk ein. Ich erinnere mich daran, dass, als wir uns früher oft über Bernhard unterhielten, immer wieder die Frage auftauchte: ‚Welches war das Buch mit dem Kegel, welches das mit dem Turm, bei welchem fährt er extra in die Schweiz, um sich eine Zeitung zu kaufen‘, usw. Für mich unterstreicht das die Bedeutung der Bücher im Kontext zueinander. Bei Roberto Bolaño sehe ich das auch ganz stark, aber da funktioniert es auf andere Weise.

Rättig: Es ändern sich mit der Zeit aber meines Erachtens zwei Dinge: Das eine ist die Tonalität, das andere der Grad, inwieweit es zu einer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft wird. Ich muss bei Bernhards Büchern immer an das denken, was er in Korrektur abhandelt: Eine so perfekte Einrichtung, dass als Lösung nur der Tod bleibt. Das sind Bernhards Bücher: So perfekt eingerichtet, dass der Inhalt dann tot ist, dass dann nichts mehr übrig ist.

Seiler: Das Frühwerk erscheint uns beiden allerdings etwas schwieriger als das Spätwerk. Ich würde die These wagen, dass das Frühwerk noch mehr literarischen Konventionen anhängt, die er erst nach und nach abschüttelt – auch wenn das in Bezug auf Bernhard schon eine kühne These ist.

Rättig: Nein, das ist schon richtig. Aber bereits in Korrektur versucht er, etwas völlig anderes zu erschaffen. Man muss ja auch mal sehen, wo er herkam. Er war Gerichtsreporter, dann hat er diese, meiner Meinung nach, nicht besonders guten Gedichte geschrieben, und dann kommt es plötzlich mit Frost zum Urknall. Und wenn wir über persönliche Leseerlebnisse sprechen können: Ich konnte dieses Buch beim ersten Anlauf nicht lesen. Ich musste immer wieder aufhören. Mich hat diese klaustrophobe Bergwelt richtig runtergezogen, ich konnte diese Beklemmung nicht aushalten. Bestimmt eines der düstersten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Ich dachte erst, ich fasse dieses Buch nicht mehr an. Erst einige Zeit später, mitten im Sommer bei prallem Sonnenschein habe ich mich dann drangewagt. Wie siehst Du Frost?

Seiler: Ich habe es auch häufiger versuchen müssen, aber mich hat das nicht so runtergezogen, mir war es eher aufgrund der vielen Landschaftsbeschreibungen zu zäh. Überhaupt kann ich mit den frühen Texten nicht soviel anfangen, ich sehe die Bücher zu sehr im Kontext der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, das ist möglicherweise ungerecht, aber vielleicht bin ich da zu wenig Germanist (lacht).

Rättig: Aber ich muss sagen, dass ich durch Bernhard einen Blick auf das Existenzielle bekommen habe. Ich merke immer wieder in meinem Alltag als Journalist, wie schnell man über Dinge hinweghuscht. Aber das Existenzielle auf eine solche Weise auszuloten, sich so in etwas reinzuknien, wie er es als Schriftseller tut, das ist schon bemerkenswert: Wie er sich sortiert und sich dann in eine bestimmte Situation hineindenkt und sich von dort ausgehend minutiös mit der Situation auseinandersetzt. Es ist bei Bernhard oft eine Art Modellversuch: Ich baue eine existenzielle Situation – der Tod der Eltern in Auslöschung etwa, oder das Wesen der Schwester in Korrektur – und ich baue so lange, bis ich diese existenzielle Situation in den Griff bekomme. Und wenn es 700 Seiten dauert, dann sei es eben so.

Seiler: Seine Texte haben tatsächlich immer diesen Modellcharakter. Oft steht da ein Grundkonzept, oder sogar nur ein Titel. Daher sind auch die Untertitel so wichtig, die er im Spätwerk immer hat.

Rättig: Irgendwann hat er gemerkt, dass er die Untertitel braucht.

Seiler: Gibt es noch eine Lieblingsgeschichte zu Bernhard?

Rättig: Auf jeden Fall. Ich hatte 2011 das Glück, für die Kulturzeit einen Bericht über die autobiografischen Bände zu machen, die gerade in einer Hörbuchedition herauskamen, und habe dazu Gert Voss und Claus Peymann interviewt. Voss hat die Hörbücher eingesprochen und auch für uns gelesen. Peymann erzählte mir dann, dass er immer noch wiederholt von Bernhard träumt, dass er ihm pausenlos im Traum erscheint, und es scheint immer der gleiche Traum zu sein: Peymann sitzt in einem Lokal, plötzlich erblickt er Bernhard, der da auch sitzt. Er geht dann auf ihn zu und sagt: „Sie sind doch der Bernhard!“ Und Bernhard sagt: „Jaja“. Darauf Peymann: „Aber sie sind doch tot, wie können sie hier sitzen?“ Und dann sagt Bernhard zu ihm: „Ach, rufen sie mich doch einfach wieder an, sie haben doch meine Nummer!“ Und dann merkt Peymann, dass er die Nummer natürlich nicht mehr hat. Er nannte das einen Phantomschmerz, der ihn immer wieder heimsucht. Das zeigt auch wieder, wie Bernhard alles dominiert – auch über den Tod hinaus.