Mit den Steinen sprechen
Vor 100 Jahren wurde der Georg-Büchner-Preisträger Erich Fried geboren
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls der Schriftsteller Erich Fried am 17. Oktober 1987 den Georg-Büchner-Preis entgegennahm, war er bereits deutlich sichtbar von seiner schleichenden Krankheit gezeichnet. Dennoch holte er in der erlauchten Runde der Darmstädter Akademie noch einmal zu einem verbalen Keulenschlag aus, als er in seiner Dankesrede provokant behauptete: „Es ist wahrscheinlich, dass dieser Zwanzigjährige (gemeint ist Georg Büchner) sich in unserer Zeit zur ersten Generation der Baader-Meinhof-Gruppe geschlagen hätte.“ So war Erich Fried: einerseits vor allem wegen seiner Lyrik geachtet, geschätzt und mit Preisen dekoriert und andererseits ein politisch fragwürdiger, kaum zu bändigender Poltergeist.
So wurde Fried vom damaligen Berliner Polizeipräsidenten Klaus Hübner wegen Beleidigung angezeigt und später vor Gericht gestellt. Fried hatte in einem Leserbrief im Spiegel am 7. Februar 1972 die Todesschüsse eines Polizeibeamten als „Vorbeugemord“ bezeichnet. Der Prozess in Hamburg endete im Januar 1974 mit einem Freispruch. Heinrich Böll war als Gutachter hinzugezogen worden und hatte zu Frieds Gunsten ausgesagt.
Der Name Fried stand vor allem für politische Lyrik, die auf große Breitenwirkung ausgelegt war. Er produzierte Gedichte am Fließband, sein Mitteilungsbedürfnis war immens. Allein in seinen letzten vier Lebensjahren publizierte Fried die Gedichtbände Angst und Trost (1984), einen Sammelband Frühe Gedichte (1986), Um Klarheit (1986), Vorübungen für Wunder (1987) und Am Rande unserer Lebenszeit (1987) sowie den autobiographischen Prosaband Mitunter sogar Lachen (1986), in dem er fragmentarisch aus seiner bewegten Vita erzählt. Seine Gedichte wurden in viele Sprachen übersetzt, sogar ins Chinesische und Vietnamesische.
Erich Fried wurde am 6. Mai 1921 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren. Nachdem sein Vater 1938 von der Gestapo ermordet worden war, floh der 17-jährige Gymnasiast nach England, wo er sich in den ersten Jahren als Hilfsarbeiter, Milchchemiker, Bibliothekar und Glasarbeiter durchschlug. 1944 erschien in London sein erster Gedichtband Deutschland. Später arbeitete er als Kommentator für das deutschsprachige Programm der BBC. 1964 kündigte er diesen Job aus Protest gegen den Vietnam-Krieg. Spätestens seit dieser Zeit war Fried einer der lautstärksten Gegner jedweder Form der militärischen Auseinandersetzung. Vor allem in der Friedensbewegung fanden seine kurzen Epigramme ein lebendiges Echo. Fried zu zitieren, galt in linken Kreisen als „in“. Aus seiner Affinität zur politischen Linken hat er nie einen Hehl gemacht, aber dem osteuropäischen Kommunismus stand der undogmatische Humanist äußerst kritisch gegenüber: „Ein Sozialismus ohne Demokratie ist kein Sozialismus.“
Erich Fried, das war nicht nur der auflagenstarke Lyriker, sondern auch ein sprachbegabter Shakespeare-Übersetzer. Außerdem übertrug er Werke von T.S. Eliot, Dylan Thomas, Graham Greene und Sylvia Plath ins Deutsche. Der politische Lyriker Fried hatte aber auch eine ganz andere, eine sehr sensible, einfühlsame und poetische Seite. Er hat zarte Liebeslyrik und sinnliche Gedichte voller Lebensfreude verfasst: „auch der Kampf zwischen Gefühl und Verstand/ auch das bleibt/ für sehr lange Zeit./ Schau nach vorn,/ denk nicht zurück,/ bewahr die schönen Stunden Dir im Herzen,/ atme durch und lieb das Leben,/ denn Leben ist es,/ was für immer bleibt.“
In der Jury-Begründung anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises hieß es ein Jahr vor seinem Tod treffend: „Erich Frieds Gedichte sind in ihrer Knappheit von lapidarer Sprachkraft und Einfachheit.“ Ein solches Gedicht trägt den Titel „Entwöhnung“: „Ich soll mich nicht gewöhnen/ wenn ich mich auch nur an den Anfang gewöhne/ fange ich an, mich an das Ende zu gewöhnen.“
Am 22. November 1988 ist Erich Fried, der überaus erfolgreiche Lyriker, den alle Bevölkerungsschichten verstanden haben, im Alter von 67 Jahren in einer Klinik in Baden-Baden nach einem langen Krebsleiden gestorben. Sein Grab befindet sich auf dem Londoner Friedhof Kensal Green. Er konnte ganz schlicht und doch äußerst prägnant „dichten“: „Zu den Steinen/ hat einer gesagt:/ seid menschlich./ Die Steine haben gesagt:/ Wir sind noch nicht/ hart genug!“
An Erich Frieds 100. Geburtstag am 6. Mai finden an der Universität Wien verschiedene Veranstaltungen statt, die vom Schriftsteller Robert Schindel eröffnet werden. Am 8. Mai wird per Livestream im Internet eine künstlerische Gala zu Ehren des gebürtigen Wieners übertragen. Mitwirkende sind unter anderen der Filmregisseur Klaus Fried (Erich Frieds jüngster Sohn), der Musiker Konstantin Wecker und die Liedermacherin Barbara Thalheim mit ihrem Jazztrio. Am 8. Mai ab 16 Uhr ist die Veranstaltung unter dem Link „www.jungewelt.de/erich-fried“ zu sehen.
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