All American Musician

Zum 80. Geburtstag Bob Dylans

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

1.

Bob Dylan1Dass Bob Dylan einmal 80 Jahre alt werden würde, hätte man zu bestimmten Zeiten nicht gedacht. Mitte der 60er Jahre führte er ein aufreibendes Leben. Es stand zu befürchten, dass er wie manche Popstars, von Hank Williams bis Elvis Presley, nicht alt würde. Doch sein Leben hat er damals wieder in den Griff bekommen. Ihn rettete, dass er sich 1966 für Jahre aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückzog. Er gab nur wenige Konzerte und unternahm erst 1974 wieder eine Tournee, zusammen mit seiner alten Begleitgruppe, die nun „The Band“ hieß und selbst berühmt geworden war. Drei ihrer fünf Mitglieder hat er, wie viele andere Musiker-Kollegen, inzwischen überlebt.

Dass Bob Dylan mit 80 bekannter denn je sein würde, war gleichfalls nicht zu erwarten. Seine Karriere war ein Auf und Ab, mehr als einmal auch geprägt vom Zerwürfnis zumindest mit Teilen seines Publikums. Doch seit Dylan 2016 den Literaturnobelpreis erhalten und im vorigen Jahr auch wieder ein respektables Album veröffentlicht hat, genießt er fast uneingeschränkte Achtung. Er ist ein Denkmal zu Lebzeiten geworden – allerdings eines, von dem man nicht weiß, ob es schon ganz fertig ist.

 

2.

In fast 60 Jahren hat Dylan 39 Studioalben veröffentlicht – die Liveaufnahmen seiner Konzerte und die Veröffentlichungen seiner Bootleg Series nicht mitgerechnet. Manche von ihnen wie Highway 61 Revisited oder Blonde On Blonde sind legendär geworden, andere sind schon vergessen, nicht zu Unrecht. Es ist leichter, die besten zehn seiner LPs als die eine große zu nennen. Nur bei der Wahl seines besten Songs sind sich die meisten Kritiker einig: Sie votieren für Like A Rolling Stone. Aber auch darüber kann man diskutieren. Unbezweifelbar hingegen ist, dass sich einige Verse Dylans den Fans eingeprägt haben und manche Titel wie Bringing It All Back Home geradezu sprichwörtlich geworden sind: ein sicheres Zeichen für die Popularität eines Musikers.

So beeindruckend wie Dylans Werk ist seine Resonanz. Sie ist nicht nur in den Verkaufszahlen seiner Alben und der Vielzahl seiner Konzerte auf der ganzen Welt fassbar. Längst gibt es auch zahllose Dylanologen: Chronisten seiner Karriere und Exegeten seiner Lyrics, in Zeitungen wie an Universitäten, das Internet nicht zu vergessen. Hinzu kommen die vielen Künstler, die seine Songs aufgenommen haben, von Joan Baez bis Carla Bruni, von Elvis Presley bis Neil Young, von The Byrds bis U2.

Dylans Œuvre ist allerdings heterogen. Es wird nur zusammengehalten durch seine verschiedenen ästhetischen Interessen, die auch über die Musik hinausgehen. Mit unterschiedlichem Erfolg hat er sich in fast allen Stilen der amerikanischen Popmusik der letzten 100 Jahre versucht: von Folk und Blues über Rock und Country bis zu Gospel und Jazz. Zu den musikalischen Vorbildern, denen er gehuldigt hat, gehören u.a. Woody Guthrie, Jimmie Rodgers, Elvis Presley, Johnny Cash und selbst ein Frank Sinatra. Die Reihe der Autoren, die ihn angeregt haben, ist womöglich noch länger.

In der Geschichte der populären Musik ist Dylan eine zentrale Figur geworden. Er hat sie wie wenige verändert. In seiner Karriere hat er sich an das Prinzip moderner Poetik gehalten, das Ezra Pound in die Formel „Make it new!“ verknappt hat. Der Anspruch ständiger Innovation hat Dylans Werk lange bestimmt. Die Musik und mehr noch die Texte hat er, fast von Album zu Album, neu gemacht. Für sein Publikum nicht immer erkennbar hat er dabei aus einem großen musikalischen und literarischen Reservoire geschöpft. So ist er ein Modernist und ein Traditionalist zugleich. Seine Neuerungen sind meist Erneuerungen von Traditionen.

Sein Repertoire hat er auf diese Weise fortlaufend erweitert, nicht selten gegen alle Erwartungen. Das ist am deutlichsten in den großen Sprüngen seiner Karriere zu erkennen: vom Folk zum Rock, vom Rock zu Country, von Country zum Gospel, vom Gospel zum Blues und vom Blues zum Jazz oder Folk Jazz. Die künstlerische Spannweite ist dabei groß; sie reicht vom Protestsong bis zur Tanzmusik, von der Ballade bis zum Gebet. Bei allen Veränderungen des musikalischen Stils sind seine großen politischen Anliegen, Antirassismus und Antimilitarismus, jedoch deutlich geblieben.

Dylans vielleicht größte Innovation dürfte die neuerliche Personalunion von Sänger, Musiker und Dichter sein. Er hat diese alte, aus der Antike bekannte Einheit unter den Bedingungen der populären Musik des 20. Jahrhunderts wiederhergestellt. In der Moderne, in der Lyrik und Musik, besonders die populäre, meist unverbunden nebeneinander existierten, ist sie fast ganz verloren gegangen. Dylan hat diese Trennung wieder aufgehoben, nicht als Einziger, doch als Erster. Dadurch hat er eine künstlerische Souveränität, nicht zuletzt über sein Repertoire, erlangt, die vor ihm Popmusikern fehlte, selbst Stars wie Elvis Presley.

Dass Popmusik ernsthafter wurde und die lange eng gezogenen Grenzen kommerzieller Unterhaltung überschritten hat, ist vor allem Dylan zu verdanken. Seine anspruchsvollen Texte stehen für diesen Wandel. Nicht wenige von ihnen, von Desolation Row bis Murder Most Foul, sind Montagegedichte, wie er sie etwa bei T.S. Eliot und Ezra Pound kennengelernt hat. Techniken der modernen Lyrik, die nicht zu Unrecht als elitär galt, hat Dylan populär gemacht und einem größeren Publikum nahegebracht. Ineins damit hat er der Popmusik neue Themen erschlossen, jenseits von Liebesglück und Liebesleid, nicht nur politische, auch religiöse, bis hin zu apokalyptischen Visionen.

Der populären Musik hat er einen künstlerischen Ehrgeiz verliehen, den sie vorher nicht besessen hatte. Er hat sie zum Ort der Auseinandersetzung mit dem Leben und der eigenen Zeit gemacht. Dabei hat er nicht nur den Mut gehabt, dem Publikum lange und rätselhafte Texte zuzumuten. Seine Musik und zumal seinen Gesang hat er nicht nur am Anfang auch einer modernen Ästhetik der Hässlichkeit unterworfen, die er vor allem Mitte der 60er Jahre pflegte. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, sich schon wenig später im Bel Canto der Country Music zu üben.

Dem Populismus der populären Musik, dem nicht jeder so viel Charme geben konnte wie die frühen Beatles, hat er sich gleichwohl mehr als einmal verweigert. Vor allem in seiner Rock- und in seiner Gospel-Phase wuchs die Entfremdung zwischen ihm und seinem Publikum rasant und schlug zeitweilig in Feindseligkeit um. Dass Dylan seinen Fans bedeutete, er werde sich ihrem Geschmack nicht fügen, war ein Teil der Zumutung. Tatsächlich hat er sich ihm nicht gebeugt. Am Ende ist er immer nur seiner künstlerischen Subjektivität verpflichtet gewesen. Das hat ihn gelegentlich etwas einsam,  ihn aber auch zu einem Idol des Individualismus gemacht.

3.

Was Dylan als Künstler auszeichnet, ist ebenso deutlich wie das, was ihm fehlt. Er ist mehr ein Songwriter als ein Schriftsteller, mehr ein Sänger als ein Komponist. Als Musiker wie als Autor ist er nicht zuletzt ein rezeptives Talent von großer Aufnahmebereitschaft. Seine Texte sind voller Anspielungen und Zitate, auch nicht gekennzeichneten. Über diese Tatsache ist unter Kritikern mehr als einmal Streit entstanden, der zeitweise erbittert geführt wurde. Dabei ist mitunter übersehen worden, dass Dylan als Montagekünstler alles, was er vorfindet, zu seinem Material macht, mit dem er nach eigenen Vorstellungen verfährt. In der Bearbeitung liegt bei ihm die Originalität.

Mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit hat Dylan sich immer wieder scheinbar Neues zu eigen gemacht, das tatsächlich oft alt, aber nicht unbedingt noch bekannt war. Die Kehrseite dieser Fähigkeit zur raschen Verarbeitung ist ein Mangel an Geduld. Dylans Verwandlungen haben meist etwas von Experimenten mit ungewissem Ausgang. Seine Dynamik hat, obwohl sie auch Programm ist, nicht immer mit artistischem Kalkül zu tun, nicht selten bloß mit Unrast. Nicht nur die Technik, auf die ein anspruchsvoller Sänger und Musiker nicht verzichten kann, auch die Kunst kam dabei oft zu kurz. Der ständige Neueinsatz, reizvoll, mitunter auch provokativ, verhinderte kontinuierliche Entwicklung. Vieles hat Dylan nur ausprobiert, angefangen, aber nicht vollendet. Lange Zeit wirkten selbst seine Studioalben improvisiert.

Bob Dylan2Die Distanz, die sich im raschen Wechsel ausdrückt, mag in der Persönlichkeit oder im Konzept begründet sein, vielleicht auch in beidem. Dylans künstlerische Methode war von Anfang an das Rollenspiel, dem er auch Kleidung und Frisur angepasst hat. Oft wirkte es so authentisch, dass die Fans die nächste Verwandlung verwirrte. Dabei ist kaum zu übersehen, dass die Maske Dylans Gesicht als Künstler ist. Seine Person und sein Leben sind kaum in seinen Songs enthalten. Seine private Existenz hat er schon längst vor der Neugier der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Bei allem offensichtlichen Selbstbewusstsein, das ihn die meiste Zeit durch seine Karriere getragen hat, fehlte Dylan nicht selten Sicherheit im Umgang mit den eigenen künstlerischen Mitteln. In vielem ist dieser ‚Rimbaud des Rock‘, wie er als jugendliches Genie genannt wurde, ein Dilettant geblieben, nicht nur in seiner unglücklichen Liebe zu Film und Malerei. Auch seine Auftritte litten oft darunter. Seine Zuhörer danken ihm seine Bühnen-Präsenz jedoch mit wachsender Verehrung. Dabei mag auch viel Nostalgie im Spiel sein. Viele feiern in Dylan und seinen alten Songs auch die eigene Jugend.

Die Musik der 60er und frühen 70er Jahre, die Dylan geprägt hat, ist inzwischen wie die Kultur, die sie mitgeschaffen hat, Geschichte. Doch die Verbindung zu ihr hält er bis heute aufrecht, allerdings mit immer neuen Interpretationen vor allem in seinen Konzerten und mit den nicht immer zwingenden Archiv-Veröffentlichungen der Bootleg Series. So versucht er, die Deutungshoheit über seine Songs zu behalten und zugleich ihre Zirkulation nicht abreißen zu lassen, auch wenn sie nicht zu Hits werden. Bob Dylan ist nicht zuletzt ein guter Geschäftsmann, wie nicht erst seit dem Verkauf seiner Songrechte manifest geworden ist. Seine weltweit vermarktete Musik gehört auch deshalb längst nicht mehr zu einer Gegenkultur. Dylan ist im Mainstream angekommen, teils weil der ihn aufgenommen, teils weil es ihn dahin gezogen hat. Das mag außer mit seinem Geschäftssinn und seiner Beharrlichkeit mit seinem großen Traum zu tun haben: ein All American Musician zu sein. Darin ist er heute konkurrenzlos.