Kitschiger Liebesroman oder intellektuelles Meisterwerk?

In „Schöne Welt, wo bist du?“ begibt sich Sally Rooney auf die Suche nach dem Sinn des Lebens

Von Laura HarffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Harff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist es, das einen guten Roman von einem Schlechten unterscheidet? Ist es die Handlung? Sprache, Stil und Metaphorik? Ein Gefühl von Verständnis und Verbundenheit, das uns beim Lesen zu den Figuren zieht?

Idealerweise eine Mischung aus allem, könnte man sagen. Aber gibt es nicht auch Romane, deren Inhalt man überhaupt nicht mag, die uns jedoch allein wegen der Art und Weise, wie sie geschrieben sind, begeistern (Lolita)? Oder Romane, deren Figuren eigentlich ziemlich unsympathisch sind und die man trotzdem großartig findet (Sturmhöhe)? Und was, wenn es einem Roman nicht nur an einem, sondern gleich an mehreren dieser Punkte mangelt? Kann es dann noch ein guter Roman sein?

Sally Rooneys neuester Roman Schöne Welt, wo bist du vereint eigentlich alles, was einen Roman zu einem schlechten macht. Eine banale Handlung, eine teils prätentiöse Sprache und Figuren, deren Unfähigkeit zu kommunizieren, Leser:innen in die Verzweiflung treiben. Und trotzdem kann man das Buch schwer aus der Hand legen und fragt sich noch Wochen später, ob man nun ein gutes oder ein schlechtes Buch gelesen hat.

Zur Handlung: Die erfolgreiche Romanautorin Alice zieht nach einem depressiven Zusammenbruch in ein leerstehendes Herrenhaus auf dem Land. Über Tinder lernt sie Felix kennen, der in einer Lagerhalle arbeitet, und lädt ihn kurzerhand zur Herausgabe der italienischen Übersetzung ihres neuesten Buches auf eine Reise nach Rom ein. Indessen sitzt ihre beste Freundin Eileen in Dublin auf den Scherben ihrer dreijährigen Beziehung und beginnt eine Affäre mit ihrem Jugendfreund Simon. Zwischenmenschliche Schwierigkeiten sind da vorprogrammiert und diese werden auch in aller Länge ausdiskutiert, aber selten geklärt. Bis man sich als Leser:in verzweifelt fragt, wie Menschen, die so unendlich viel verbal kommunizieren – ja, auch während des Sex – sich so missverstehen können. 

Kommunikationsprobleme, zum Beispiel aufgrund von Klassenunterschieden oder wechselnden Machtverhältnissen, sind typisch für Rooney-Werke, könnte man sagen. Man denke an ihren literarischen Welterfolg Normale Menschen, dessen Dynamik fast vollständig auf diesem Konzept beruht, aber auch an Gespräche mit Freunden. Doch der Charme des Erstlingswerks, der Gespräche mit Freunden innewohnt und die brillante Authentizität, die Marianne und Connell in Normale Menschen besitzen, fehlen in Schöne Welt, wo bist du.

Dabei sind Alice, Eileen, Simon und Felix den Figuren in den Vorgängerromanen gar nicht so unähnlich. Die bisexuelle Marxistin, die ihrer Zeit voraus ist und in Diskussionen gerne die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das stille, aber kluge hässliche Entlein von nebenan, mit dem in Kindheit und Jugend niemand befreundet sein wollte und das sich in der Großstadt (Dublin) zum schönen Schwan entwickelt. Der mittelalte, etwas spießige Mann, der ein fast schon etwas ungesundes Interesse an jüngeren Frauen besitzt, im Grunde aber ein guter Kerl ist. Und der einfache Typ vom Land, der aus eher ärmlichen Verhältnissen kommt, sich in Gesprächen mit Menschen aus der Stadt und aus höheren Schichten etwas fehl am Platz und fühlt, der im Pub um die Ecke unter Freunden jedoch aufblüht. Diese Figuren scheint Rooney zu kennen und mit ihnen scheint sie sich wohl zu fühlen. Nicht zuletzt, weil vor allem Alice definitiv autobiografische Züge trägt. Der einzige Unterschied zu den Vorgänger-Romanen: Wie Rooney sind ihre Figuren erwachsen geworden. Das studentische Leben zwischen Campus, Bars und WG ist dem Berufsleben gewichen.

Dass man sich den Figuren trotzdem so fremd fühlt, könnte dabei durchaus auch an der Erzählweise liegen. Statt einer autodiegetischen Erzählerin wie in Gespräche mit Freunden oder der wechselnden internen Fokalisierung in Normale Menschen, hat die irische Autorin in diesem dritten Roman eine externe Fokalisierung gewählt. Sie, die im Feuilleton als Beobachterin und literarische Stimme ihrer Generation gefeiert wird, lässt ihre:n Erzähler:in in die Rolle der Beobachter:in schlüpfen. Die Folge: eine sehr szenische Erzählweise mit einer Erzähler:in, die wie eine Kamera in die Szenerie hineinzufahren scheint, die Figuren in ihrem gewohnten Umfeld besucht, ihre Gespräche mithört. Grundsätzlich sehr interessant, aber nicht immer ausreichend, um die Protagonist:innen zu charakterisieren. Dies geschieht stattdessen über die oben erwähnten ausufernden Gespräche. Und über E-Mails, die zwischen Alice und Eileen hin- und hergeschickt werden.

Es sind diese E-Mails, die dazu führen, dass man dem Roman letztlich doch noch etwas abgewinnen kann. Der Besuch einer katholischen Messe mit dem gläubigen Simon führt zu einem Austausch über Glaube und Religion. Der Einkauf im Supermarkt hat eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit sozialer Ungerechtigkeit zur Folge. Alices Sinnkrise wird zu einer zerschmetternden Kritik am zeitgenössischen Roman (zu dem Schöne Welt, wo bist du ebenfalls gehört). Und auch die Frage, wie verantwortungsvoll es ist, Kinder in eine Welt zu setzen, die von der Klimakrise bedroht ist, wird aufgegriffen.

Diese E-Mails sind nicht nur klug und verknüpfen Themen wie Kapitalismuskritik, Sozialismus, Klimakrise und Zivilisationskollaps sowie Literatur, Kunst, Kultur und Geschichte nahezu mühelos mit der sonst so banalen Romanhandlung. Sie entsprechen auch vollkommen dem Zeitgeist.

Auf diese Weise werden die Leser:innen mit einer interessanten Frage konfrontiert, die einen letztlich fast vollständig mit dem Roman versöhnt: Wieso kehrt die Menschheit trotz drohender Apokalypse, trotz kriegerischer Auseinandersetzungen, trotz einer globalen Pandemie immer wieder (auch in der zeitgenössischen Literatur) zu den profanen Fragen des Alltags zurück: zu Liebe, Sex und zwischenmenschlichen Gefühlen? Die Antwort wird direkt mitgeliefert: “What if the meaning of life on earth is […] just to live and be with other people?” Ist Rooneys Roman also doch ein intellektuelles Meisterwerk, das sich seiner Banalität auf der Handlungsebene bewusst ist? Ist es nur auf der Oberfläche ein kitschiger Liebesroman mit einer tiefergreifenden Bedeutung, die sich in den E-Mails verbirgt?

Eines steht jedenfalls fest: Rooney sollte man im Blick behalten. Und wenn nicht längst schon geschehen, Normale Menschen lesen.

Titelbild

Sally Rooney: Schöne Welt, wo bist du.
Aus dem irischen Englisch von Zoë Beck.
Claassen Verlag, Berlin 2021.
352 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783546100502

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