Mord in der Halligwelt

Mathijs Deen schildert in „Der Holländer“ das tödliche Ende einer brüchigen Freundschaft zwischen Wattwanderern

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Wattenmeer der Nordsee, deren bei Niedrigwasser freiliegenden Grund man als Watt bezeichnet, ist Schauplatz eines Mordfalls. Welch schöne Abwechslung für den Krimifreund: statt Großstadtmisere nun Hoch- und Niedrigwasser und Schlickebenen in der vor allem nachts gespenstischen Halligwelt mit ihren „schwimmenden Träumen“ (Theodor Storm). Dazu ein nur in diesem Genre neuer Autor: der 60-jährige Holländer Matthijs Deen, der in seinem Buch Über alte Wege jahrhundertealten Straßen auf unserem Migrations-Kontinent nachgegangen ist – kenntnisreich, spannend und unterhaltsam. Wer die gleichen Qualitäten in Deens erstem Krimi erwartet, wird nicht enttäuscht. Andreas Ecke, Träger des Europäischen Übersetzerpreises, lässt in der deutschen Fassung keine Wünsche offen. 

Bei der Schilderung des oft mystischen Wattenmeers tauchen Fachbegriffe auf; „Kreier“ zum Beispiel, ein schlittenartiges Holzgefährt, auf dem man die Reusen erreicht, und immer wieder „Peilstock“, ein Messstab für die Wassertiefe. Geografische Details finden sich auf der Karte, die auf dem Umschlag abgedruckt wurde.

Wer im Nordseeurlaub mal kurz nach Wattwürmern suchte, ahnt nicht, dass das Wattwandern auch Extremsport sein kann. Drei Männer aus Deutschland – Peter, Klaus und Aron – wollen ihren „Mount Everest“ bezwingen: den anstrengenden Marsch vom ostfriesischen Festland bis zur Insel Borkum. Nur selten sind die äußeren Voraussetzungen dem gewagten Unternehmen günstig, darum muss man die nahezu einmalige Chance nutzen.

Doch ausgerechnet Aron, der sich die Führungsrolle im Trio teils anmaßt, teils durch ein Fachbuch verdient hat, steigt aus. Er will mit seiner Frau Maria nach England fahren. Da wird der erfahrene Krimileser stutzig, als Klaus im Watt umkommt und sich beim überlebenden Peter kein Tatmotiv findet.

Gefunden wird Klaus an einer Stelle, wo die Grenzziehung zwischen den Niederlanden und Deutschland umstritten ist. Aus einem kleinen Lesefehler (1 Winkelsekunde statt 7) entsteht lächerliches Kompetenzgerangel.

Darunter leidet auch die umsichtige Geeske Dobbenga, „Opperwachtmeester“ beim niederländischen Grenzschutz, die einen Tag später in den Ruhestand gehen wollte. Nun muss sie bleiben und sogar für ihren inkompetenten Brigadekommandeur einspringen, der wütend ein deutsches Schiff beschädigt hat. Der Leser hält sie zunächst für die Hauptfigur – eine falsche Fährte, die freilich durch den Titel abgemildert wird.

Denn der recht spät ins Buch eingeführte „Holländer“, ein in Holland aufgewachsener Deutscher, an dem außer dem Vornamen Cupido nichts albern ist, ermittelt bei Bewohnern beider Länder – und das ohne dienstliche Rückendeckung, aber mit Geduld und Gespür. Ihm zur Seite steht ein junger Ermittler, der vom wortkargen Mann das Schweigen im rechten Augenblick lernt.

Die angebliche Freundschaft der drei Wattwanderer erweist sich als Illusion. Aron zeigt sich in einer älteren Videoaufnahme als egoistischer Kotzbrocken. Und es treten verwandtschaftliche Beziehungen zwischen einigen Beteiligten zutage. So kommen Ermittler und Leser der Lösung nahe. Zwar trägt das Mordmotiv auch krankhafte Züge, die Tat wurde aber mit Raffinesse begangen und verschleiert. Man bediente sich eines vertauschten Eiweißriegels und eines dreist erlogenen Alibis. Der strömungstechnisch rätselhafte Fundort der Leiche freilich hatte andere Ursachen. Den Tätern, die mit Hilfe eines digital gefälschten Rezepts auch Peter umbringen wollen, auf den sie von Anfang an zielten, wird die ausgefeilte Kriminaltechnik zum Verhängnis. Sie beweist, dass einige Sandkörner im Ohr des toten Klaus nicht vom Fundort stammen, sondern … 

Aber: kein Spoiler hier – sondern die Vorfreude auf den zweiten Fall des Holländers, in dem er hoffentlich von Anfang an die Führungsrolle übernimmt. Verdient hat er sich das, auch mit seinem lebensgefährlichen Einsatz im nächtlichen Wattenmeer, bei dem er dem depressiven Peter das Leben rettet.

Titelbild

Mathijs Deen: Der Holländer.
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke.
Mare Verlag, Hamburg 2022.
272 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783866486744

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