Einsam in der Fremde

Die Journalistin Gabriele Riedle illustriert in ihrem satirischen Roman “In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg.“ das Dilemma internationaler Krisenberichterstattung

Von Martin SchönemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Schönemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gabriele Riedle, Jahrgang 1958, weiß, wovon sie spricht. Sie ist Journalistin und war seit der Jahrtausendwende in etlichen Kriegs- und Krisengebieten der Welt als Reporterin unterwegs. 2016 verlor sie im Zuge der Sparmaßnahmen in der deutschen Medienbranche ihren Job, seitdem unterrichtet sie junge Journalisten, und sie betätigt sich als Romanautorin. Mit ihrem dritten Roman kehrt sie thematisch zu ihrem langjährigen Berufsfeld zurück: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. erzählt die Geschichte einer offenbar autobiografisch angelegten, aber stark stilisierten Reporterfigur, die in den Krisengebieten der Welt die Wahrheit und das Abenteuer sucht und dabei sich selbst verliert.

Der Plot des Romans ist geradlinig und einfach: Die Ich-Erzählerin setzt ein mit einer Wehklage über den Tod ihres Reporterfreundes Tim. Dann erzählt sie die Vorgeschichte dazu, beginnend mit einem Rückblick auf ihren ersten Einsatz in Kabul, wo sie kurz nach der Invasion amerikanischer Truppen 2001 eintrifft. Sie erlebt die Situation in Kabul als berauschenden, frühlingshaften Neubeginn: Auf der Straße sieht sie verschleierte Frauen mit modischen Pumps und traditionell bärtige Männer, die Händchen halten. Aber bald wird klar, dass die Veränderungen nur die von westlichem Militär und westlichen Reportern bevölkerte Landeshauptstadt betreffen und dass es die Aufgabe der Reporter ist, für das westliche Publikum darüber zu berichten. Der Blick der Einheimischen ist nicht gefragt.

Das wiederholt sich an anderen Krisenschauplätzen, an die die Protagonistin geschickt wird: in Papua-Neuguinea, in Nigeria, in der Mongolei. Alle Einsätze beginnen und enden unvermittelt, sind voller abenteuerlicher Erlebnisse, die der heimatlichen Chefredaktion gemeldet werden können; bei der Erzählerin selbst aber schwinden mit jeder Reise die Illusionen über den Sinn der Berichterstattung, schwächt sich das berauschende Erlebnis der Fremde ab.

Fast eine Erlösung erscheint es da, als sie für eine Reise nach Liberia mit dem Fotografen Tim zusammengespannt wird, denn ansatzweise entwickelt sich eine Beziehung zu diesem, es entsteht Hoffnung auf ein Ende der einsamen Reisen. Doch auch dieser Einsatz endet abrupt und konsequenzlos. Am Ende wird die Auslandsredaktion der Erzählerin geschlossen, Tim in Lybien erschossen, Kabul den Taliban überlassen und sie selbst bleibt allein in ihrer tristen Charlottenburger Wohnung zurück.

Es ist die einfache, bewegende Geschichte einer Enttäuschung, von der die Autorin mit großem erzählerischen Aufwand abzulenken versucht, mit ellenlangen Sätzen, mit sich wiederholenden und immer wieder variierten Anmerkungen, mit einer Überfülle an Beobachtungen und Gedanken. So gerät die eigentliche Geschichte immer wieder ins Stocken. Auch die Begegnung mit Tim wird mehr angedeutet als erzählt: „Tim Mann, ich Frau (…), so einfach war das“. Es scheint fast, als schäme sich die Autorin, den Lesern ihre Geschichte zu offenbaren.  

Dieser Umstand macht die Lektüre von In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. streckenweise recht mühsam. Und doch lohnt sie sich: In Riedles Roman blüht das Beiwerk. Es gibt immer wieder treffende Beobachtungen, etwa über die Marketingstrategen, die in den Redaktionen mit den Jahren immer mehr Macht gewinnen: Riedle portraitiert sie als „Eisenten“, die die Auslandsreportagen nur als Umrahmung ihrer Anzeigen auffassen und später ganz ablehnen. Den Kern des Problems trifft auch das mehrfach wiederkehrende Bild von der Reportagereise als Drogentrip, um der heimischen Spießigkeit zu entfliehen. Offenbar sieht Riedle genau hin – und sie versteht auch, was vor sich geht: Dass die Reporter eine ganz ähnliche Funktion wie die Soldaten haben, denen sie folgen, die sie begleiten. Wie hohl die Rede von den flachen Hierarchien im Medienbetrieb ist. Wie beziehungslos die Reporter den Gegenständen ihrer Reportagen gegenüberstehen.

All diese klugen Beobachtungen lässt Riedle wie nebenbei fallen und vergräbt sie anschließend in einem Wust von Exkursen. Spricht sie zum Beispiel an einer Stelle einmal Folgen des Kolonialismus konkret an, fügt sie gleich an: „und so hing das alles zusammen, Monrovia und der Bryant Park, Liberia und Manhattan, und ob wir wollten oder nicht, lebten wir doch alle in derselben Realität, hier, dort, …“. So erscheinen die angesprochenen Zusammenhänge unausweichlich, irgendwie schicksalhaft, der konkreten Aussage ist die Kraft genommen. An einer anderen Stelle zeigt sich die Erzählerin begeistert von der äußeren Erscheinung des Geliebten, bricht jedoch die Lobrede sofort nach der einleitenden Erwähnung seines weißen Hemds mit der pauschalen Erklärung ab, er sei eben einfach „der schönste aller Männer, zumindest aller englischen“, denn die seien bekanntlich nicht schön. Kaum entfährt der Autorin ein deutliches Wort, wird es wieder versteckt.

Allerdings sind diese Versteckspiele oft von großer Komik. Etwa, wenn es über ein Schiff der US-Marine heißt, dass es „mit zweitausend außergewöhnlich mutigen Marines unaufhörlich von irgendwoher nach irgendwohin unterwegs war, um, wer weiß wo, einzugreifen und, wer weiß wo, irgendjemanden zu retten“. Oder wenn ein mongolischer Schaufelradbagger als eine Mischung aus Panzer und Einfamilienhaus beschrieben wird.

Im Grunde ist In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. ein mühsam an ein skizzenhaftes Handlungsgerüst gehefteter Essay über die Unmöglichkeit, mit spontanen Reportagereisen an die jeweils aktuellen Brennpunkte der Welt irgendeine relevante Wahrheit an den Tag zu bringen. Obwohl nirgends direkt ausgesprochen, zielt der Text auf eine grundsätzliche Kritik dieses Kriegsreporterwesens. Er demonstriert an seiner Protagonistin eindringlich, wie eine aus dem Geist von 1968 inspirierte Aufklärungs- und Abenteuerlust von der ökonomisierten Medienindustrie in den Dienst genommen wird. Die Erzählerin entflieht als mutige, freiheitliebende Wahrheitssucherin ihrer spießigen schwäbischen Heimat, aber sie wird schnell zur abhängigen Textproduzentin, die westlichen Zeitschriften ein paar exotische Textbausteine zu liefern hat. Dystopisch zugespitzt nimmt die Autorin auch ein Ende dieser Entwicklung vorweg: Auslandsberichterstattung wird ganz eingespart oder lebt nur als bezahltes Propagandaprodukt, als „Embedded Journalism“, weiter.

Als Roman mag Riedles Text weniger gelungen sein, doch steckt er voller kluger Gedanken und Beobachtungen. Wer sich für die Funktionsweise von Medien interessiert, sollte ihn lesen, die Perlen in ihm suchen.

Titelbild

Gabriele Riedle: In Dschungeln, in Wüsten, im Krieg. Eine Art Abenteuerroman.
AB - Die andere Bibliothek, Berlin 2022.
259 Seiten , 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783847704478

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