Jedem Ende wohnt ein Zauber inne

In „Ex“ fragt sich Katja Lewina, wie beziehungsfähig sie ist

Von Miriam SeidlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Seidler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Biographien sind heute nicht mehr so klar strukturiert wie in früheren Zeiten. Eheschließung und Familiengründung kennzeichnen nur noch den Beginn eines Lebensabschnitts und begründen nicht zwangsläufig eine lebenslange Partnerschaft. Dieser Lebensabschnitt kann bereits nach wenigen Jahren mit einer Scheidung und dem Beginn einer neuen Partnerschaft sein Ende finden. So kann eine moderne Biographie auch anhand der unterschiedlichen Lebensabschnittspartner erzählt werden. Diese Struktur liegt Katja Lewinas neuem Buch Ex zugrunde. Jedes Kapitel ist einem Mann gewidmet, mit dem die Autorin liiert war. Den Anstoß für den Beziehungsreigen gibt die Begegnung mit Paolo. In Paolo war Katja Lewina sechzehn Jahre vor Beginn der Arbeit an Ex unsterblich verliebt, doch trotz der großen Zuneigung ging die Beziehung schnell in die Brüche. Nun hat Katja, inzwischen dreifache Mutter, Paolo aus einer Laune heraus kontaktiert. Das Wiedersehen liest sich wie in einem Groschenroman: Die beiden können der gegenseitigen Anziehungskraft kaum widerstehen und statt gemeinsam die Geburtstagsfeier eines Bekannten zu besuchen, landen sie erst einmal auf der Couch. Nach dem Sex machen sie sich dann doch noch auf zur Feier, wo die Vertrautheit der beiden ebenso wenig zu übersehen ist wie ihre Verliebtheit. Bevor sie sich trennen, wird dann an der Bahnhaltestelle noch das Scheitern der Beziehung vor sechzehn Jahren aufgearbeitet. Man ist ja nun erwachsen und kann reflektierter mit den eigenen Gefühlen, wie den früheren Verletzungen umgehen:

So ist das also, wenn man endlich spricht. Die zweite Wahrheit kommt ans Licht. Die des:der andere:n. Sechzehn Jahre lang ging ich durch mein Leben in der Gewissheit, von ihm sitzen gelassen worden zu sein. Brutal verlassen. In seiner Geschichte bin ich diejenige, die brutal gewesen ist. Und ich fürchte, er hat recht.

In diesem Moment begreife ich, dass die Geschichten, die ich mir über mich und meine Beziehungen, all die anderen Beziehungen in meinem Leben, erzähle, nur zu einem Teil stimmen, und zwar zu meinem. Auf dieser Seite sind die Dinge sonnenklar; natürlich, ich habe Fehler begangen, Charakterschwächen bewiesen, schlecht gewählt zuweilen, auch das. Doch wenn es je ein wahres Opfer gab in meinen Erinnerungen, dann war das sicher ich.

Damit ist der Ausgangspunkt für Lewinas neues Buch gesetzt. Sie wird mit den zehn wichtigsten Ex-Partnern sprechen, ihre jeweilige Beziehung und vor allem deren Scheitern erkunden. So ist Ex gewissermaßen die Fortsetzung von Lewinas 2020 erschienenem Buch Sie hat Bock. Darin begibt sich die Autorin auf eine Spurensuche nach der weiblichen Lust und ihrer Verdrängung im Alltag. Sie prangert nicht nur das symptomatische Fehlen einer Sprache für das weibliche Genital an, sondern plädiert auch mit vielen Beispielen aus ihrer eigenen sexuellen Biographie für mehr Freiheit in Paarbeziehungen.

Im neuen Buch nun geht es einerseits um die Frage, ob und wie eine offene Beziehung gelingen kann – neben der neuen Verliebtheit mit Paolo gibt es auch noch Julius, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet ist und mit dem sie zwei Kinder hat. Andererseits erforscht die Autorin ihre eigene sexuelle und emotionale Entwicklung, indem sie mit den Partnern der vergangenen 20 Jahre über ihre jeweilige Partnerschaft spricht und die begangenen Fehler diskutiert. Wie in der Ausgangsüberlegung schon deutlich wurde, geht es dabei vor allem auch um unausgesprochene Erwartungen und das falsch interpretierte Verhalten des Anderen, die zu Verletzungen führen und wie ein Katalysator das Ende der Beziehung beschleunigen können.

Das alles ist durchaus Stoff für einen Roman, doch fiktionales Erzählen ist nicht die Sache von Katja Lewina. In Sie hat Bock begründet sie ihr Herangehen an das Thema damit, dass im Persönlichen das Politische erst greifbar werde. Allerdings spielt im neuen Buch der Aufklärungsgedanke weniger eine Rolle. Vielmehr scheint die Autorin einem Trend des Buchmarktes zu folgen: Autofiktionales Erzählen ist aktuell in Mode – wie beispielsweise Julia Schochs gerade bei dtv erschienener Roman Das Liebespaar des Jahrhunderts bestätigt, dessen Klappentext explizit auf die Nähe zur Biographie der Autorin verweist. Es wird von den Verlagen wohl angenommen, dass bei Leserinnen und Lesern der Wunsch bestehe, sich nicht in ein imaginiertes Leben zu vertiefen, sondern wie in den sozialen Medien auch in gedruckter Form am Leben anderer Menschen teilzuhaben.

So wundert es nicht, dass nun ebenfalls das „ganz gewöhnliche, ganz alltägliche Chaos der Liebe“ – wie es Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim in ihrer Untersuchung zum Wandel der Geschlechterverhältnisse beschreiben – auch den Buchmarkt erobert. Ein Merkmal der neuen Beziehungen, die in der soziologischen Untersuchung hervorgehoben wird, ist die Diskursivität, die in der Gegenwart Paarbeziehungen kennzeichnet. Alles muss besprochen und verhandelt werden. Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr. So scheint es nur zwangsläufig, dass auch Journalist*innen und Autor*innen ihre eigenen Erfahrungen kaum verfremdet zur Diskussion stellen und das eigene Ringen um eine geglückte Beziehung wie um die eigene Freiheit immer wieder in den Fokus stellen. Dabei dient die Soziologie durchaus ein Stückweit als Folie, vor der Bestätigung für die eigenen Verhaltensweisen gesucht wird. Interessanterweise zitiert Katja Lewina nicht die 1990 erschienene Untersuchung, sondern greift auf aktuelle Analysen zurück: Warum Liebe endet von Eva Illouz, Trennt euch! von Thomas Meyer oder Jeder ist beziehungsfähig. Der goldene Weg zwischen Freiheit und Nähe von Stefanie Stahl sind einige der Titel, die die strukturellen Prozesse hinter den eigenen Erfahrungen offen zu legen versuchen. So werden die Erlebnisse der Autorin einerseits anschlussfähig für die Erfahrungen von Leserinnen und Lesern, andererseits wird der Band dadurch selbst zu einem Stück Lebenshilfe, wenn immer wieder suggeriert wird, dass das Scheitern einer Beziehung ein alltäglicher, meist sogar zwangsläufiger Prozess sei.

Katja Lewina beschreibt ihre Spurensuche äußert unterhaltsam in einer alltagsnahen Sprache. Immer wieder reflektiert sie selbstkritisch ihr früheres Ich. Der leichte Plauderton trägt dazu bei, dass beim Lesen das Gefühl einer Vertrautheit entsteht. Und doch beginnt man als Leser*in immer wieder zu zweifeln. Tut sie ihren früheren Partnern nicht unrecht, wenn sie ihre Beziehung in aller Öffentlichkeit seziert? Möchte man die Einträge aus Paolos Tagebuch tatsächlich lesen? So entsteht beispielsweise ein Unbehagen, wenn die eigentlich recht harmlose Schilderung von Paolos erstem Besuch in der Familienwohnung beschrieben wird. Gemeinsam mit den drei Kindern sitzt das Paar am Esstisch:

Unauffällig wischt er eine Fußsohle an der anderen ab, es kleben wohl Krümel an seinen lila Socken. Auch seine Unterhose wird lila sein, fällt mir in diesem Augenblick ein, darauf legt er Wert, und dann denke ich an das, was sich unter der Unterhose befindet … Du meine Güte!, die Kinder. Ganz ruhig. Zurück zu den lila Socken.

Will ich das als Leserin wissen? Hat die voyeuristische Teilhabe an den Phantasien der Autorin einen Mehrwert? Soll ich als Leserin hier als prüde entlarvt werden, wenn ich einen Moment des Fremdschämens erlebe? Oder lenkt diese Selbstbeobachtung nicht vielmehr von den zentralen Fragen dieser Episode ab. Wie reagieren die Kinder auf den Mann, der zu Besuch kommt? Wie wird in der Familie die offene Beziehung der Eltern diskutiert? Was würde die Trennung von Julius für die Kinder bedeuten?

Das Thema ist komplex, doch zunehmend weckt der Selbsterkundungstrip der Autorin beim Lesen Wiederwillen. Am offensichtlichsten vielleicht, wenn der Ehemann Julius bereits in den Kreis der Ex-Partner aufgenommen wird. Hier ist aufschlussreich zu verfolgen, dass die Offenheit der Autorin ihren beiden Partnern gegenüber wohl doch an ihre Grenzen stößt, wenn es darum geht, die aktuelle Dreiecksbeziehung zu reflektieren und damit beiden Partnern gerecht zu werden. Nur weil man mit einem Partner über die parallel geführte Beziehung spricht, ist diese nicht weniger verletzend – zumal sich beide sehr viel Mühe geben, den aktuellen Beziehungsstatus zu diskutieren und aufrecht zu erhalten. Zum 10. Hochzeitstag erhält Katja Lewina von Julius ein Geschenk: 

Heute habe ich endlich einen Verlobungsring bekommen, und ja, er macht sich traumhaft schön an meinem linken Ringfinger, und ja, ich werde ihn tragen, tragen, tragen. Doch wenn ich ehrlich bin: Er kommt zu spät.

Und so entsteht beim Lesen der Eindruck, dem Scheitern einer Beziehung beizuwohnen, das aber nicht als Scheitern wahrgenommen werden will. Interessanterweise wird hier das Modell der Lebenspartnerschaft implizit als Argumentationsgrundlage aufgerufen. Auch wenn sich ein Paar gut versteht, im Alltag harmoniert und zu Beginn der Beziehung ineinander verliebt war, so kommt jede Beziehung nach einigen mehr oder weniger guten Jahren an ihr Ende und muss durch eine andere abgelöst werden, die wieder sexuelle Anziehung und den Reiz des Neuen verspricht. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, sich für die Recherche auch nach Sachbüchern umzusehen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Beziehungen auf Dauer Bestand haben können? Der Lebenslauf der Liebe könnte sich wesentlich komplexer darstellen, als ihn Katja Lewina beschreibt.

Titelbild

Katja Lewina: Ex.
DuMont Buchverlag, Köln 2022.
208 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783832181468

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch