Eine Zeitgeistreise

Wolf Doleys´ neues Werk verharrt in der Bestandsaufnahme

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als programmatisch kann der Untertitel von "Flimmerfrei" verstanden werden: Roman der Gegenwart. Nicht verheißungsvoll allerdings wird dieses Versprechen eingelöst, sondern eher enttäuschend. Farblos scheint nicht nur die Hauptfigur Frank Offroth zu sein, sondern auch die gesamtdeutsche Gegenwart.

Offroth, aus dem Ruhrgebiet stammend, wendet sich gegen das Elternhaus und macht als erfolgreicher Investmentbanker Karriere, die ihn bis nach Hongkong führt. Dort scheitert er durch eine Fehlspekulation, die seine Bank vollständig ruiniert. Er schreibt seine Kündigung und reist mit seiner Freundin, einer unfreiwillig im Bankgeschäft gestrandeten Germanistin und Philosophin, nach Deutschland. Schon am Düsseldorfer Flughafen wird das Paar von der Polizei empfangen, der Verdacht der Untreue und Urkundenfälschung erweist sich als unhaltbar, nach kurzer Haftzeit ist Offroth wieder auf freiem Fuß. Er besinnt sich auf eine alte Neigung aus der Jugendzeit, die Fotografie, und beschließt, von nun an seine Zeit dem Betrachten und Finden von optischen Ralitätsausschnitten zu widmen. Gleichsam nebenbei findet Offroth im Verlauf des Buches zwei Leichen, lernt ein Punkmädchen kennen und erkennt das wahre Wesen eines jeden Objektes, die Wahrheit jenseits des Objektivs seiner Kamera. Das Buch endet in der Beschreibung eines gewalttätigen Überfalls, dessen Opfer Offroth in New York überraschend wird.

Sowohl die Präsentation des Börsianers Offroth, der schon immer einen Hang zu den schöngeistigen Dingen des Lebens hatte, sich aber eine (wie er meint) gesunde Skepsis dem Wort gegenüber bewahrt hat, als auch die Selbstfindung durch die freie Fotografie bleiben oberflächlich. Doleys gelingt kein objektiver Blick, zu verstellt vom Zeitgeist bleiben seine Betrachtungen. Vor allem der Kunstgriff Doleys - eingebettet in vielerlei Zitate -, auch sich selbst aus seinem 1995 erschienen Gedichtband "ins blaue springen" zu zitieren, wirkt fadenscheinig. Er läßt Linda eben diesen Gedichtband Offroth in das Gefängnis bringen, zum Zeitvertreib.

Sich der bewährten Tradition bewußt, ein bestimmtes Motiv durchgängig in einem Roman zu plazieren, wählt Doleys die Farbe Blau. Er läßt sie hier flattern, dort blitzen und verteilt sie zu gleichmäßig, als daß es nicht bemüht wirkte. Die Beschreibung der Orte jedoch, die er seinen Helden Offroth besuchen läßt, sind in der Tat trotz jeder atmosphärischen Färbung fotografisch präzise und deutlich beschrieben. Jeder, der zum Beispiel den Standort Düsseldorf aus eigener Anschauung kennt, kann mühelos mit Offroth die Kö hinabwandern, einem Konzert in der Tonhalle lauschen oder die Bettler in der Altstadt betrachten. Da ist die Gegenwart tatsächlich gegenwärtig und fast penibel jedem Neubau angepaßt.

Beinahe gut ist Doleys nur, wenn man auf die größeren monologischen Passagen stößt, die er einigen der Randfiguren zubilligt. Dort sind Ansätze von überzeitlicher Gültigkeit zu finden, da sie sich auf generelle menschliche Geschicke wie Tod, Verlust, Liebe beziehen. Hier finden sich größere Zusammenhänge und allgemein gültige Formen, auch wenn keine in neuem Gewand daherkommt. Ansonsten aber bleibt "Flimmerfrei" fast stagnierend im eigenen Gegenwartsanspruch stecken und erfüllt die Erwartungen des Lesers nur, wenn sie nicht sonderlich groß waren.

Titelbild

Wolf Doleys: Flimmerfrei. Roman der Gegenwart.
Edition Lichtenberg, Odenthal 1997.
312 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3980373274

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Titelbild

Christa Wolf: Hierzulande Andernorts.
Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Sonja Hilzinger.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
240 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 363086998X

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