Spannend geschriebene Lebensgeschichte einer widersprüchlichen Schriftstellerpersönlichkeit

Zum 75. Todestag von Klaus Mann legt Thomas Medicus eine umfangreiche Biografie vor

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klaus Mann ist eine der tragischen Figuren der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, angefangen von dem schwierigen Verhältnis zum übermächtigen Vater, über die enge Beziehung zur Schwester Erika, dem Outing seiner Homosexualität bis zur großen Einsamkeit in der Emigration. Zu seinem 75. Todestag am 21. Mai 2024 hat der Journalist und Germanist Thomas Medicus eine voluminöse und detailreiche Biografie vorgelegt, die neben Leben und Wirken von Klaus Mann auch die Innenansichten der Familiendynastie vermittelt. Weiterhin ist die intellektuelle Auseinandersetzung Manns mit seiner Zeit ein wichtiger Bestandteil der Biografie. Vorausgegangen waren drei Jahre mit umfangreichen Recherchen der Tagebücher, der Korrespondenz, von sechs Essaybänden und nicht zuletzt der Romane.

In seinem Prolog „Tod in Cannes“ liefert Medicus gleich ein Resümee von Manns nomadenhaftem Leben, das von einem Gefühl der Einsamkeit und von Todessehnsucht beherrscht war. „Klaus Mann hatte viele Facetten, Neigungen, Begabungen. […] ein Mann voller Tragik und Rätsel, ein Mensch mit Geheimnis.“ Danach wird versucht, dieses geheimnisvolle, vagabundierende Leben in sieben chronologischen Kapiteln auszubreiten. Am 18. November 1906 im Münchner Stadtteil Schwabing geboren, war Klaus (Heinrich Thomas) der älteste Sohn von Thomas Mann (1875-1955) und dessen Ehefrau Katia (1883-1980); nur um ein Jahr jünger als seine Schwester Erika (1905-1969), mit der er zeitweise eine Privatschule besuchte. Mit Erika, den jüngeren Geschwistern Golo (1909-1994) und Monika (1910-1992) und Nachbarskindern gründete er als Vierzehnjähriger den „Laienbund Deutscher Mimiker“, der kleine Theaterstücke aufführte.

Nach dem Gymnasium wechselte er 1922 auf das Internat der Odenwaldschule, die er aber bereits ein Jahr später wieder verließ, nachdem er sich in einen Mitschüler verliebt hatte. Im Juni 1924 verlobte er sich mit Pamela Wedekind, der Tochter des Schriftstellers Frank Wedekind. Das Paar zog nach Berlin, wo Mann als Theaterkritiker arbeitete. Bereits mit achtzehn Jahren besaß Klaus Mann eine klare Vorstellung: er wollte Schriftsteller werden. So entstanden neben den Theaterkritiken erste Kurzgeschichten, die in Zeitschriften und Zeitungen erschienen.

Mit Der fromme Tanz (1926) veröffentlichte Klaus Mann einen der ersten Homosexuellen-Romane in der deutschen Literatur, in dem er sich zu seiner Homosexualität bekannte. Das Echo der Kritiker war jedoch geteilt; Vergleiche mit dem berühmten Vater blieben nicht aus. Medicus setzt sich ausführlich mit dem heftigen inner- wie außerfamiliären Konflikt und dem Spagat des Vaters zwischen Ehe und Homosexualität auseinander. „Welches literarische Terrain der Sohn auch betrat, der Vater war wie in einem schriftstellerischen Wettlauf immer schon am Ziel, eben auch, was die Homoerotik betraf.“ Mitte der 1920er Jahre schrieb Klaus Mann auch einige Dramen, von denen aber nur Anja und Esther (1925) erfolgreich war. Mit seinen homoerotischen Andeutungen sorgte das Stück für Schlagzeilen in den Gazetten.

Ab 1927 reiste Klaus Mann viel, u.a. unternahm er mit seiner Schwester eine achtmonatige Weltreise, die Medicus unter dem Titel „Flucht nach Amerika“ detailliert beschreibt. Auf ihrer Erfolgswelle besuchten die beiden Dichterkinder auch Japan, Korea und die Sowjetunion und Anfang 1930 Nordafrika.

1929 erschienen ein Novellenband mit dem Titel Abenteuer und Alexander. Roman der Utopie, für den sein Freund Jean Cocteau das Vorwort schrieb. Mit Kind dieser Zeit (1932) legte Mann dann seine erste Autobiografie vor, in der er anschaulich seine Kindheits- und Jugendjahre bilanzierte. In dem Kapitel „Auf Messers Schneide“ beleuchtet Medicus die konfliktreiche Verbundenheit von Klaus Mann zu den Dichtern Stefan George und Gottfried Benn.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Klaus Mann über Amsterdam, Zürich und Prag nach Paris. Die Biografie widmet sich nicht nur eingehend dem europäischen und amerikanischen Exil von Klaus Mann, sondern streift auch immer wieder den Exilalltag der Familie Mann. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt musste sich Klaus Mann, der sich bisher für die Volksfront eingesetzt hatte, als Emigrant neu erfinden, was nach Medicus‘ Ansicht ein schmerzhafter Prozess war. In der europäischen Emigration entstanden die Romane Symphonie Pathétique. Ein Tschaikowsky-Roman (1935), Mephisto (1936) und Der Vulkan (1939), die allesamt im Amsterdamer Querido Verlag erschienen. In dem Roman Der Vulkan, mit dem er endlich die Anerkennung des Vaters fand, erzählte er vom Schicksal sehr unterschiedlicher deutscher Emigranten in den Exil-Zentren wie Paris, Zürich, Prag, Amsterdam und den USA.

In den USA verfasste Mann seine zweite (englischsprachige) Autobiografie The Turning Point (1942, dt. Der Wendepunkt 1952) und redigierte die avantgardistische Zeitschrift Decision. A Review of Free Culture, doch der Publikation war kein Erfolg beschieden und sie musste nach einem Jahr eingestellt werden. 1943 wurde Mann schließlich Soldat der US-Armee und ging mit einer Propagandaabteilung nach Italien.

Nach der Entlassung aus dem Armeedienst im September 1945 wechselte Mann häufig seinen Wohnsitz und strebte zunächst eine neue Karriere als Drehbuchautor an. In der Nachkriegswelt fand sich der „lebende Tote“ (so Medicus) jedoch nicht zurecht; er war ausgebrannt und leer. Die letzten Jahre waren geprägt von Drogenabhängigkeit, Geldnot, wachsender Isolation, enttäuschenden Amouren und Todessehnsucht. Im Frühjahr 1949 besaß er keine Lebensenergie mehr. Am 21. Mai 1949 starb Klaus Mann in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten mit nicht einmal 43 Jahren. Beigesetzt wurde er auf dem dortigen Cimetière du Grand Jas. Er hinterließ weder den Eltern noch den Geschwistern, nicht einmal für Erika ein paar Abschiedszeilen.

In seiner Biografie des ruhelosen und schillernden Schriftstellers verzichtet Medicus bewusst auf psychologische Spekulationen und moralische Wertungen, vielmehr lässt er neben Leben und Werk von Klaus Mann auch die Epoche der 1920er bis 1940er Jahre lebendig werden. Ebenfalls großen Raum erhält das Netzwerk der Exilautoren mit ihren politischen und kulturellen Diskursen. Sehr hilfreich sind zudem die Verzeichnisse der Primär- (auch von Thomas Mann) und Sekundärliteratur sowie das Namensregister.

Titelbild

Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024.
544 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783737101547

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