Ein Erfolgs-Autor, der um literarische Anerkennung rang

Zum 100. Geburtstag von Ephraim Kishon hat Silja Behre eine erste Biographie vorgelegt

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem Jahr wäre der israelitische Schriftsteller und Regisseur Ephraim Kishon am 23. August hundert Jahre alt geworden. Schon zu Lebzeiten erreichten seine Bücher eine Auflagenhöhe von über 40 Millionen, davon allein in Deutschland 35 Millionen. Zwischen den 1960er und 1980er Jahren feierte er im deutschsprachigen Raum seine größten Erfolge. Seine Bücher führten die bundesdeutschen Bestsellerlisten an. Die humoristischen Familiengeschichten mit „der besten Ehefrau von allen“ und den drei Kindern Rafi, Renana und Amir dominierten die Auslagen und Bücherregale in den Buchhandlungen. Das Publikum stand Schlange bei seinen Lesungen und Signierstunden. Unter dem Namen „Lieben Sie Kishon?“ wurden die Satiren von Kishon auch mehrfach im Fernsehen gesendet. Später folgten eine Videokassette mit sieben Folgen der Fernsehserie und eine Schallplatte mit sechs Sketchen.

In ihrer Biografie, der ersten deutschsprachigen Kishon-Biografie, geht die Historikerin Silja Behre neben Leben und Werk des Schriftstellers der Frage nach, warum Kishon mit seinen humoristischen Geschichten ausgerechnet beim deutschen Publikum seinen größten Erfolg hatte?

Ephraim Kishon wurde unter dem Namen Ferenc Hoffmann in Budapest in eine ungarisch-jüdische Familie geboren und wuchs in der ungarischen Hauptstadt auf. In der vollkommen assimilierten Familie wurde jedoch kein Jiddisch gesprochen. Schon früh wurde seine Schreibbegabung erkannt. Ein Hochschulstudium war ihm jedoch aufgrund der antisemitischen Gesetze verwehrt, so dass er 1942 eine Ausbildung zum Goldschmied begann. 1944 wurde er in ein Arbeitslager deportiert, wo ihm aber ein Jahr später die Flucht gelang. Außer ihm überlebten nur seine Eltern und die Schwester Agnes die Judenverfolgung, während der Großteil seiner Familie im Holocaust ermordet wurde. Nach dem Krieg konnte Kishon ein Studium an der Budapester Akademie für Metallskulptur beginnen und absolvierte 1948 sein Diplom als Metallbildhauer und Kunsthistoriker. Nebenbei schrieb er satirische Theaterstücke und Glossen für verschiedenen Zeitungen.1946 hatte er die gebürtige Wienerin Eva Klamer geheiratet. Das junge Paar floh dann 1949 nach Israel, um dem kommunistischen Druck in Ungarn zu entkommen.

Hier erst setzt Behres Biografie im Wesentlichen ein. Zunächst wohnte das Paar in einem mehrheitlich von Ungarn bewohnten Kibbuz, ehe man nach Tel Aviv zog. Dort erlernte Kishon das Modernhebräische in kürzester Zeit und schrieb in dieser Sprache bald seine ersten Geschichten, die er unter dem Namen Ephraim Kishon veröffentlichte. Ab 1952 veröffentlichte Kishon dreißig Jahre lang in der Ma‘ariv, der größten Tageszeitung Tel Avivs, Kolumnen über das alltägliche Leben des kleinen Mannes. Aus diesen Texten entstanden später viele seiner Sammelbände.

Im November 1955 feierte Kishon am Braunschweiger Staatstheater mit seinem Stück Die große Protektion gewissermaßen seine „Deutschland-Premiere“ („Europa-Premiere“). Das Stück war, noch ehe Jahre später seine Satire-Bände erschienen, eine von deutscher Seite organisierte Versöhnungsinitiative. Dass Kishons Werke schließlich über das kleine Land Israel hinaus bekannt und erfolgreich wurden, war das Verdienst seiner Übersetzer. Die Zusammenarbeit mit ihnen beleuchtet Behre ausführlich, vorrangig die Übersetzertätigkeit von Friedrich Torberg (1908-1979) aus Wien, der selbst Schriftsteller war. Fast zwanzig Jahre prägte er mit seinen Übersetzungen Kishons Erfolg beim deutschsprachigen Publikum. Torberg gilt als der „Erfinder des deutschen Kishon“ und war von Beginn an Teil der Erfolgsgeschichte. Die Beziehung zwischen Kishon und Torberg ist in rund tausend Briefen dokumentiert. Die beiden Autoren waren das „winning team“ des Langen Müller Verlages, wo Kishons Bücher bis heute erscheinen.

Den Auftakt bildete der Satireband Drehn Sie sich um, Frau Lot! (1961), der bereits zwei Jahre zuvor in den USA ein Bestseller war. Es folgten unzählige Satirebände für Steuerzahler, Autofahrer, Einsteiger, für die netten Nachbarn, die Familie, die Hausapotheke, zum Einschlafen oder für „die beste Ehefrau von allen“ (1981). Kishon hatte 1959 in zweiter Ehe die Pianistin Sara Lipovitz (1931-2002) geheiratet, die 1996 mit Mein geliebter Lügner selbst eine satirische Antwort auf die Geschichten ihres Ehemannes gab. Entscheidend für den Kishon-Erfolg war sicher auch, dass viele seiner Satiren keinen direkten Israel-Bezug hatten und so auch in anderen Ländern spielen konnten. Wortgewandt karikierte er allgemeinmenschliche Torheiten mit Witz und Ironie.

Ende der 1980er Jahre erschienen erste Kishon-Bücher schließlich auch in der DDR, wo Kishon bereits 1960 mit der Humoreske Spitalsbelagerung in der Anthologie Welthumor des Ostberliner Eulenspiegel Verlags vertreten war. (Selbst in der nachgelassenen Privatbibliothek von Walter Ulbricht soll sich ein Exemplar von Kishons Band Blaumilchkanal aus dem Jahr 1971 befunden haben.) Nach der Wende erlebten die Kishon-Bände eine Renaissance nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern im gesamten ehemaligen Ostblock.

In einem Interview betonte Kishon einmal: „Dass ich ein Jude bin, hat fast keinen Einfluss auf mein Schreiben.“ In seinen Büchern erwähnte er nur selten seine Holocaust-Erfahrungen mit Zwangsarbeit und Deportation. Nur in wenigen Texten oder in den Klappentexten fanden sich Andeutungen zur NS-Zeit. Gelegentlich hatte Torberg mit einem Gespür dafür, was man den Nachkriegsdeutschen zumuten konnte, auch allzu scharfe Pointen entschärft. Viele sehen darin einen Grund für den Erfolg beim deutschsprachigen Lesepublikum. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 und dessen Folgen meldete sich Kishon mit dem Satireband Pardon, wir haben gewonnen. Vom Sechstagekrieg bis zur Siegesparade 1 Jahr danach (1968) zu Wort. Doch Kishons politische Stellungnahmen irritierten die deutsche Leserschaft, sie entsprachen nicht den Erwartungen an einen Unterhaltungsautor. Behre zeigt den Zwiespalt zwischen dem „satirischen und dem „politischen“ Kishon, der zu einer Politisierung des Buchmarktes führte, die bis heute die Rezeption israelitischer und jüdischer Literatur prägt.

Eingehend gibt sie auch Auskunft darüber, wie es nach Torbergs Tod mit Kishons Büchern in Deutschland mit anderen Übersetzern weiterging. Ab dem Essay Picasso war kein Scharlatan. Randbemerkungen zur modernen Kunst (1985) schrieb Kishon seine Bücher dann selbst in deutscher Sprache. Breiten Raum nehmen ebenfalls Kishons Beziehungen zu seinen verschiedenen Verlegern ein. Nach ersten Taschenbuch-Ausgaben bei dtv und rororo wurde der Ullstein Verlag von Axel Springer Kishons Taschenbuch-Heimat.

In den beiden abschließenden Kapiteln widmet sich Behre dann der Person Kishon und seiner Familie. Kishon hatte sich Anfang der 1980er Jahre in der Schweiz niedergelassen und 2003, nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau, die österreichische Schriftstellerin Lisa Witasek (*1956), die 2012 in ihren Erinnerungen Geliebter Ephraim ein sehr persönliches Bild ihres Ehemannes zeichnete. Den literarischen Erfolg hatte Kishon zum großen Teil auch seiner Familie zu verdanken, die ihn wie ein „Unternehmen“ unterstützte. Allen voran seine Ehefrau Sara, die oft die Rolle der Initiatorin übernahm oder den Weg für Publikationen im Ausland ebnete. Hier geht Behre auch der Frage nach, wie viel von Kishons Familie in den Büchern steckt. Er selbst äußerte einmal dazu, dass er zwei Familien hat: die wirkliche, die nicht sehr oft gesehen wird, und die andere, die idealisierte, die nur in seinem Kopf wohnt.

Kishons Karriere war ein Leben zwischen Publicity und Privatsphäre. Getrieben wurde er von einem ständigen Produktionszwang, verbunden aber mit der Ernüchterung, dass ihm in Israel zwar die wichtigsten Literaturpreise zuerkannt wurden, die literarische Anerkennung in Deutschland, wo er eigentlich seine größten Erfolge hatte, jedoch weitgehend versagt blieb. Ephraim Kishon starb am 29. Januar 2005, fünf Monate nach seinem 80. Geburtstag, in seinem Appenzeller Haus an einem Herzanfall.

Ergänzt wird die Biografie durch einige Abbildungen und einen umfangreichen Anhang mit 46 Seiten Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie zwei Registern, die die Lektüre erleichtern.

Titelbild

Silja Behre: Ephraim Kishon. Ein Leben für den Humor.
Biographie.
Langen Müller Verlag, Stuttgart 2024.
415 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783784437163

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