Luisa auf Abwegen
Reinhard Kaiser-Mühlecker beleuchtet in seinem Roman „Brennende Felder“ die Untiefen seiner narzisstischen Hauptfigur und mit unnachahmlicher Authentizität die Beschwernisse des bäuerlichen Lebens
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseReinhard Kaiser-Mühlecker passt ganz und gar nicht in unseren schnelllebigen Literaturbetrieb, denn der Niederösterreicher bewirtschaftet nebenbei noch den von den Eltern übernommenen Bauernhof. Als er 2008 mit dem schmalen Roman Der lange Gang über die Stationen debütierte, wirkte seine Prosa über das bäuerliche Leben wie ein Relikt aus vergangener Zeit, wie eine Art verspäteter Heimatroman. Doch längst ist der 41-jährige Schriftsteller dem Status des Geheimtipps entwachsen, hat etliche Preise eingeheimst und gilt neben Peter Handke als heimlicher Star der österreichischen Gegenwartsliteratur. „Es kommt immer wieder vor, dass ich angesprochen werde, auf der Tankstelle oder im Supermarkt oder wo. Man ist mir und meinem Tun zugeneigt“, hatte Kaiser-Mühlecker jüngst in einem Interview mit dem Wiener „Standard“ erklärt. Seine Nachfolgewerke offenbarten ein herausragendes sprachliches Talent, und Kaiser-Mühlecker erwies sich darüber hinaus als exzellenter (Natur)-Beobachter und subtiler Menschenkenner.
In seinem inzwischen achten Roman erzählt der Autor zum ersten Mal aus der Perspektive einer weiblichen Protagonistin. Jene Luisa Fischer kennen wir ebenso wie ihre beiden Halbbrüder Alexander und Jakob aus Vorgängerwerken. Sie hat zwei Kinder aus früheren Partnerschaften, die in Schweden und Dänemark bei unterschiedlichen Vätern leben. „Ihre beiden Ex-Männer, die Väter ihrer Kinder waren schrecklich gewesen, der eine wie der andere, in gewisser Hinsicht eigentlich richtige Monster, von denen sich zu trennen ihr im Innersten nicht schwergefallen war“. Selbstkritik ist nicht die Stärke der Hauptfigur.
Luisa hat mit ihrer Familie und vor allem auch mit ihrer bäuerlichen Herkunft gebrochen, spricht von einem „Nebel der Erinnerung“. Kaiser-Mühlecker beleuchtet mit großer Akribie das Innenleben seiner Protagonistin, die sich ständig neu erfinden will – eine rastlose dauersuchende Frau.
Irgendwann brennen die Felder und die Erntemaschinen, keine Brandstiftung, sondern durch die ungewöhnlich hohen Temperaturen in Brand gesetzt. Luisa kann (zumindest hinter vorgehaltener Hand) eine gewisse Schadenfreude nicht leugnen. Reinhard Kaiser-Mühlecker lässt uns en passant auch noch auf kluge Weise an den Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft teilhaben. „Die Vorhersagen werden ungenauer, die Wetterphänomene heftiger und die Zeitfenster für die Arbeiten kleiner“, hatte der Autor kürzlich erklärt.
Mit all diesen Widrigkeiten, die der knüppelharte Alltag in der Landwirtschaft mit sich bringt, will Luisa nichts mehr zu tun haben. Robert, ihr Stiefvater, den sie Bob nennt und mit dem sie eine Beziehung hat, kommt eines Tages mit einer schweren Gesichtsverletzung heim und spricht von einer „alten Geschichte“. Es geht in Kaiser-Mühleckers Niederösterreich alles andere als beschaulich zu, denn Robert Fischer kommt auf höchst mysteriöse Weise ums Leben. Unfall oder doch Mord, wie Luisa vermutet?
Beziehungsglück ist Luisa nicht beschieden. Auch mit Bauernfunktionär Ferdinand Goldberger, mit dem sie zusammenzieht, obwohl sie ihn zunächst für Roberts Tod verantwortlich gemacht hatte, findet sie kein Glück. Zwischen Luisa und Goldberger steht dessen autistischer Sohn Anton.
„Ja, Hass. Und wann war er aufgekommen in ihr, dieser Hass, über den sie seit Wochen, ja Monaten Abend für Abend wieder nachdachte, weil sie ihn nicht verstand? Den sie gar nicht wollte. Den sie nicht einmal kannte.“, resümiert sie ihre Beziehung zu Goldberges Sohn. Gab es solche Gefühle schon früher? In ihren gescheiterten Beziehungen?
Irgendwann versucht sich Luisa als Schriftstellerin, die schreibend mehr über sich selbst erfahren will. „Sie hatten alle keine Ahnung und würden sich noch wundern, wenn ihr Buch erst einmal fertig war. Konnte nicht mehr sehr lang dauern, auch wenn sie vielleicht noch einmal von vorne anfangen müsste.“
In Brennende Felder hat Reinhard Kaiser-Mühlecker die seelischen Untiefen seiner narzisstischen Hauptfigur mit großer Bravour beleuchtet und mit unnachahmlicher Authentizität die Beschwernisse des bäuerlichen Lebens beschrieben. Seine Naturliebe und eine geradezu fotografische Beobachtungsgabe sind zwei der Erfolgsfaktoren seiner Romane.
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