Romantik und Philosophie – sie gehören doch zusammen

Dajana Daum und Matthis Glatzel haben mit „Romantische Philosophie“ einen reichhaltigen Tagungsband ediert

Von Martin LowskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Lowsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Romantik und Philosophie passen nach dem allgemeinen Verständnis von Bildung nicht recht zusammen. Die Romantik, also diese künstlerische Bewegung um 1800, die die Macht des Ich und den ‚Zusammenhang der Dinge‘ in den Mittelpunkt stellte, befand sich im Kontrast mit der damals einflussreichen Kant’schen Auffassung, wonach das Ich zur Welt der Erscheinungen gehört und von der eigentlichen Realität gleichsam abgeschnürt ist. Dementsprechend erscheint das Thema ‚Romantik und Philosophie‘ nur selten in der Forschung und Lehre – das philosophische Denken ist das eine, das romantische Fühlen das andere. Der Romantiker Novalis wird gern als Dichter-Philosoph bezeichnet, aber allgemein zählt man seine wissenschaftstheoretischen Ausführungen nicht zur Philosophie, sondern sieht sie lediglich als ästhetische Erweiterungen von strukturellen Denkansätzen. Der jetzt erschienene, an der Universität Jena konzipierte Sammelband tritt der Trennung von Romantik und Philosophie entgegen; er steht in der Tradition von Manfred Franks Frühromantik-Analysen (1997) und den Untersuchungen (2012) von Arndt und Jaeschke zur Philosophie nach Kant. Zu dem komplizierten Verhältnis zwischen den beiden Bereichen passt auch, dass die Zeit der Romantik eine Epoche der Brüche war: Religiöse Normen hatten ihre Verbindlichkeit verloren, die feudale Ideologie des Mittelalters verschwand, die Zukunft war voller Ungewissheiten.

Eine sehr gute Einführung in den Problemkreis bietet der erste Beitrag (von Andreas Kubik) über die Rolle der „intellektuellen Anschauung“ in der Frühromantik. Kant hatte die Vorstellung einer intellektuellen Anschauung abgelehnt; er betonte das Gegeneinander und auch das Ineinander von sinnlicher Anschauung und intellektuellem Begriff. Der um eine Generation jüngere Johann Gottlieb Fichte (geboren 1762) bringt das „sich selbst darstellende Ich“ ins Spiel und erklärt dieses Ich zu einer weitgreifenden „intellektuellen Anschauung“. Der wiederum jüngere Friedrich Wilhelm Schelling (geboren 1775) führt an dieser Stelle den Begriff ‚Absolutheit‘ ein und verbindet das ‚absolute Ich‘ mit der Gottesidee. Auf diese Weise, hebt der Beitrag hervor, gewinnt die ‚intellektuelle Anschauung‘ ihre romantisch-kreative Ausrichtung, führt nämlich zur „Selbstproduktionsstruktur des Ich“.

Schelling steht auch im Mittelpunkt einer Studie (von Katia Hay) über die Rolle der Kunst im romantischen Denken. Im Kunstwerk sind endlich und unendlich eins; dass dies möglich ist, lehrt Schellings ‚Philosophie der Identität‘, die seine mythisch-romantische Zusammenschau prägt: Sein Traum ist die Wiederherstellung einer „wahren Mythologie“.

Zwei Aufsätze (von Sarah Goeth und Rylie Johnson) widmen sich dem bereits erwähnten Novalis und seiner von ihm so bezeichneten „Universalwissenschaft“. Seine weitgefächerten Betrachtungen über unser Wissen sind mehr als schlichte Ästhetik oder simple Systematik: Sie sind der Beginn des ‚relationistischen Denkens‘, das die heutige Mathematik kennzeichnet: Wichtig sind die Beziehungen zwischen den Dingen (etwa zwischen Punkt und Gerade), nicht die Frage nach dem Wesen der Dinge. Zugleich ist Novalis der Philosoph der Negativität: Nach ihm ist der Irrtum ein Instrument der Wahrheit, und Gotteserkenntnis die Folge davon, Gott für nichtexistent zu erklären. Weitere Arbeiten des Bandes befassen sich mit der Geschichtsphilosophie, dem Einfluss der Antike, der Skepsis bei Friedrich Schlegel („jedes System ist nur Approximation“, „Skepsis ist ewig“), der Intellektualität der Rahel Varnhagen (bei ihr steht: „Wissen um unser Wissen ist Philosophie“) und der romantischen Ethik (die Wissenschaft sein wollte).

Alle Texte dieses Bandes sind in klarer Sprache geschrieben, verlangen aber durch ihre Abstraktionen und zuweilen ungewohnten Begrifflichkeiten vom Leser eine gewisse Anstrengung. Diesem Jenaer Band sind viele interessierte Leser zu wünschen, macht er doch auf gründliche Weise sichtbar, dass die romantische Epoche auch philosophisch sehr ertragreich und von großer Nachwirkung war. Er ist auch ein kluges Seitenstück zu all den bildungsbürgerlich aufgemachten Romantik-Darstellungen, die ebenfalls auf dem Buchmarkt sind.

Titelbild

Dajana Daum / Matthis Glatzel: Romantische Philosophie. Vertreter – Positionen – Themen.
Frank & Timme Verlag, Berlin 2024.
240 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783732911011

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