Wolfgang Tarnowski folgt den Spuren im Leben und Werk von Thomas Mann
Eine Begegnung mit seinem Umfeld und den Bedingungen, die sein Werk geprägt haben
Von Manfred Orlick
Der Arzt und Biochemiker Wolfgang Tarnowski (1931-2018), der von 1978 bis 1983 Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg war, widmete sich auch verstärkt wissenschaftlichen Studien zu Themen der Kunst und Literatur. Dazu gehörten Darstellungen zu Leben und Werk von Ernst Barlach und Thomas Mann. Bereits 1997 erschien im Verlag Ellert & Richter gemeinsam mit dem Fotografen Gert von Bassewitz die Bilderreise Auf Thomas Manns Spuren, die 2007 eine zweite, überarbeitete Auflage erhielt.
Zum diesjährigen Thomas Mann-Doppeljubiläum, 150. Geburtstag (6. Juni) und 70. Todestag (12. August), ist nun der Bild-Text-Band Auf den Spuren von Thomas Mann erschienen. In seiner Einleitung Thomas Mann (1875-1955): ein Leben in Ruhm und Einsamkeit beleuchtet Tarnowski den Rang von Thomas Mann in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, der sich selbst gern als „Spätgekommener und Letzter“, als „Abschließender und Vollender“ gesehen hat. Danach hatte er sein Leben eingerichtet, mit größter Disziplin und abgeschirmt von seiner Frau Katia (1883-1980). Die Selbststilisierung verfehlte auch nicht ihre Wirkung nach außen, die ihm „die Aura eines Wissenden“ verlieh. Mit seinem Dichterruhm wuchs so ebenfalls die Legendenbildung.
Anschließend widmet sich Tarnowski in sechs Kapiteln den Lebensphasen von Thomas Mann – beginnend mit seiner Jugend und Schulzeit in Lübeck, über seine ersten Schritte als Schriftsteller, die Jahre in München, das lange Exil in der Schweiz und den USA bis hin zu seinem Lebensabend und dem Tod in der Schweiz. Kompakt und sachlich führt Tarnowski durch die wichtigsten Lebensstationen von Thomas Mann mit gelegentlichen Blicken auf die Familie Mann. Jedes einzelne Familienmitglied war eine Ausnahmeerscheinung. In kaum einer Familie waren so viele künstlerische Talente versammelt.
Die Hintergründe und Entstehungen der wichtigsten Werke macht Tarnowski mit ihrer Vielschichtigkeit ebenfalls sichtbar. Häufig kam Mann dabei die Inspiration für seine Protagonisten aus seinem eigenen Umfeld. Thomas Mann war ein aktiver Zeitzeuge der Jahrhundertwende 1900 und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch seine Entwicklung vom überzeugten Monarchisten zum engagierten Demokraten wird dargestellt, ebenso wie die tiefgreifende Störung seines Gleichgewichts und seine homosexuellen Neigungen, die er jedoch nicht auslebte.
Die einzelnen Kapitel sind mit zahlreichen historischen Abbildungen, zumeist aus dem Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich, illustriert, die mit aussagekräftigen Bildlegenden versehen sind. Ergänzt werden die Kapitel mit einigen großformatigen Farbaufnahmen, die Lebensorte von Thomas Mann oder Handlungsorte aus seinen Werken mit ihrem heutigen Erscheinungsbild zeigen. Obwohl sich inzwischen viel verändert hat, sind die Übereinstimmungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart oft erstaunlich.
Die Neuerscheinung punktet außerdem mit einer mehrseitigen und illustrierten Zeittafel und dem Verzeichnis der Hauptwerke. Abschließend werden die wichtigsten Wirkungs- und Gedenkstätten, Bibliotheken und Archive zu Thomas Mann in Bild und Text mit vielen Informationen vorgestellt – von dem Lübecker „Buddenbrookhaus“ über das Wohnhaus in München, die „Villa La Tranquille“ in Sanary-sur-Mer, das Thomas Mann House in Pacific Palisades, das Thomas-Mann-Archiv Zürich bis zu den Literaturarchiven in München und Marbach. Auf den Spuren von Thomas Mann ist ein idealer Einstieg in Leben und Werk von Thomas Mann.
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