Einer der wichtigsten Bühnenautoren der Weimarer Republik
Veronika Schuchter hat eine erste umfangreiche deutschsprachige Biografie über Ernst Toller vorgelegt
Von Manfred Orlick
Ernst Toller (1893-1939) war in der Weimarer Republik der international bekannteste deutsche Dramatiker. Viele seiner Stücke, die zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Werken des literarischen Expressionismus gehören, publizierte er aus dem Gefängnis, sodass er zahlreiche Premieren nicht miterleben konnte.
Die Philologin Veronika Schuchter, Senior Scientist am Institut für Germanistik an der Universität Innsbruck, hat nun die erste umfassende deutschsprachige Biografie Ernst Tollers vorgelegt. Sie war u. a. Mitherausgeberin der kritischen Briefausgabe in zwei Bänden (Wallstein Verlag 2018). Zurückgreifend auf diese Arbeit will die Autorin, wie sie in ihrer Einleitung betont, „Tollers Biografie um einige Klischees ärmer und um einige Nuancen reicher machen“. Die Darstellung erfolgt in sieben Kapiteln chronologisch – von Kindheit und Jugend, über die Studienzeit, Politisierung, Gefangenschaft und sein Schriftstellerdasein in der Weimarer Republik bis hin zu den Exiljahren.
Am 1. Dezember 1893 wurde Ernst Toller als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Samotschin (Kolmar, Polen) geboren. Nach dem Abitur begann er im Frühjahr 1914 in Grenoble ein Jurastudium, meldete sich jedoch kurz darauf als Freiwilliger für den Ersten Weltkrieg. Aus gesundheitlichen Gründen wurde Toller jedoch vom Militärdienst freigestellt, sodass er sein Studium in München fortsetzen konnte. Im Kreise des Literaturwissenschaftlers Artur Kutscher machte er unter anderem Bekanntschaft mit Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Kurt Eisner. Toller politisierte sich, begeisterte sich für sozialistische Ideen und entwickelte sich zu einem radikalen Kriegsgegner.
Im November 1918 schlug sich Toller auf die Seite der Revolution und war während der Münchner Räterepublik Vorsitzender des Zentralrats sowie Abschnittskommandant der „Roten Garde“. Nach der Niederschlagung der Räterepublik wurde er steckbrieflich gesucht und wegen Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, die Toller in Eichstätt und später in Niederschönenfeld absaß. Trotz aller Widrigkeiten war die Haftzeit, wie Schuchter betont, in literarischer Sicht Tollers produktivste Phase. Fast im Jahresrhythmus verfasste er die expressionistischen Stücke Die Wandlung (1919), Masse Mensch (1921), Die Maschinenstürmer (1922), Der deutsche Hinkemann (1923) und Der entfesselte Wotan (1923). Die Proben und Uraufführungen seiner Stücke fanden jedoch ohne ihn statt. Alle Anträge auf zeitweilige Haftentlassung waren abgelehnt worden. Selbst die Fürsprachen von Thomas Mann und Gerhart Hauptmann hatten keine Wirkung. Die Biografin wirft einen kurzen Blick auf den Inhalt und die Aufführung der Stücke sowie auf die Zeitkritik.
In der Haftzeit entstanden außerdem die Gedichtbände Das Schwalbenbuch und Vormorgen (beide 1924), die eine autobiografische Verarbeitung seiner Gefängniserfahrungen waren. Die Schwalben, die in seiner Gefängniszelle nisteten, waren für Toller eine Hoffnung und eine Metapher für die Freiheit. Er dokumentierte zudem den Gefängnisalltag und dessen Eintönigkeit in etwa 350 erhaltenen Briefen.
Als Toller am 15. Juli 1924 entlassen und gleichzeitig aus dem Freistaat Bayern ausgewiesen wurde, war er eine literarische Berühmtheit. Über Leipzig ging er nach Berlin. In den folgenden acht Jahren bis zu seiner Emigration nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 konnte Toller seinen schriftstellerischen Erfolg genießen. Diese Zeitspanne ist, so Schuchter, erstaunlicherweise biografisch wenig erschlossen. Sein autobiografischer Text Eine Jugend in Deutschland, der 1933 im Amsterdamer Querido Verlag veröffentlicht wurde, endete ebenfalls mit seiner Freilassung aus Niederschönenfeld. Zunächst stand Toller im Rampenlicht und er besuchte Aufführungen seiner Stücke. Danach unternahm er zahlreiche Reisen, u. a. nach Ägypten und Palästina, in die Sowjetunion, nach Skandinavien und in die USA. Seine Reiseeindrücke veröffentlichte Toller unter dem Titel Quer durch Reisebilder und Reden (1930).
Von einer Schweiz-Reise kehrte er im Februar 1933 nicht wieder nach Deutschland zurück. Seine Bücher wurden hier verboten und schließlich verbrannt. Im August wurde er auch auf die Erste Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches gesetzt. 1934 übersiedelte er nach London, wo er zu den Mitbegründern des deutschen Exil-P.E.N. gehörte. Toller wurde zu einer Symbolfigur des deutschsprachigen Exils. 1935 heiratete er die 18-jährige Schauspielerin Christiana Grautoff (1917-1974) und das Paar reiste ein Jahr später in die USA. Hier hielt er Vorträge und versuchte sich als Drehbuchautor in Los Angeles. Zurückgekehrt nach New York reiste er nach Spanien, um sich vom Spanischen Bürgerkrieg ein Bild zu machen, und rief ein internationales Hilfsprojekt für die notleidende Zivilbevölkerung ins Leben. Seine Bemühungen wurden jedoch mit dem Sieg des Franco-Regimes im März 1939 beendet. Die schweren Jahre des Exils und das Scheitern seiner Bemühungen führten zu einer schweren Depression. Am 22. Mai 1939 nahm sich Ernst Toller in seinem Zimmer im New Yorker Mayflower Hotel das Leben. Auf der Trauerfeier sprachen Oscar Maria Graf und Sinclair Lewis und Thomas Mann ließ durch seinen Sohn Klaus ein Grußwort verlesen.
Schuchter konzentriert sich hauptsächlich auf den Revolutionär und politischen Denker; die Lebensgeschichte Tollers bettet sie dabei in die Ereignisse der deutschen Geschichte der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ein. Die Biografie schließt zwar mit Tollers Tod ab, jedoch werden sein Nachleben, seine Wirkung und die posthume Rezeption bereits in den vorhergehenden Kapiteln behandelt. Einige historische Abbildungen, Literaturhinweise sowie ein umfangreiches Personenregister, das von Tollers zahlreichen persönlichen Verbindungen zeugt, ergänzen die Neuerscheinung.
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